Neue Runde, neues Glück – darauf hoffen viele Spieler. Oft endet der Wunsch nach Gewinn allerdings mit Schulden. Foto: Hopp

Betroffener berichtet über Spielsucht. Sozialarbeiter kritisieren steigende Zahl der Automaten.

Horb - Mit 14 Jahren hat er das erste Mal sein Taschengeld in den kleinen Schlitz eines Automaten gesteckt. Später verschwand sein Lehrlingsgehalt in den bunt blinkenden Geräten. Heute ist er 35 Jahre alt, hat 35.000 Euro Schulden und die Spielsucht unter Kontrolle – hofft er.

Angefangen hat es aus Spaß, geendet hat es mit Schulden und Depressionen – wie bei vielen, die die Sucht nach dem Kick, nach dem Moment, in dem der Automat Geld ausspuckt, nicht mehr im Griff haben. "Es ist ein Glücksgefühl, wenn man gewinnt", sagt er. Sein größter Gewinn seien 2000 Euro an einem Tag gewesen. "Aber die waren innerhalb von vier Tagen wieder weg." 500 Euro an einem Tag in den Automaten zu stecken – für den 35-jährigen Horber Andreas S. (Name von der Redaktion geändert) gehörte das lange zum Alltag.

Dass jetzt in Horb weitere Automaten aufgestellt werden, sieht er äußerst skeptisch. Auch in Freudenstadt und in anderen Gemeinden steigen die Anfragen von Investoren, die Vergnügungsstätten eröffnen wollen. Die Räte diskutieren, ob und wie sie diese Entwicklung kontrollieren können.

"Ein zusätzliches Angebot an Automaten erhöht auch die Nachfrage", ist sich der Betroffene sicher. Die Statistik der Suchtberatungsstelle der Diakonie in Freudenstadt und Horb gibt ihm recht. "Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre haben wir einige spielsüchtige Klienten betreut, Ende der 1990er ist die Zahl gesunken. Dazu beigetragen hat unter anderem, dass es zu dieser Zeit starke Reglementierungen für Automaten gab. Damals hatte Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern die wenigsten Automaten. Es war Schlusslicht im positiven Sinn", erklärt Sozialpädagoge Sigmund Hänel von der Beratungsstelle in Freudenstadt. "1999 hatten wir gar keinen Klienten mehr und dachten schon, das Problem habe sich erledigt."

Doch seit Anfang des Jahrzehnts ist die Zahl der Automaten gestiegen – und auch die Zahl der Klienten, die die Diakonie betreut. Elf waren es im Jahr 2009. "Und wenn es mehr Automaten gibt, wird die Zahl der Süchtigen wahrscheinlich weiter steigen. Diese Auswirkung merken wir dann vielleicht in drei, vier Jahren, wenn die Betroffenen Hilfe suchen." Denn bis sich die Spieler eingestehen, dass sie ihr Verhalten nicht mehr im Griff haben, vergehe oft viel Zeit.

Mit 28 Jahren die erste stationäre Therapie

Bei Andreas S. waren es mehr als zehn Jahre. Er überzog sein Konto immer weiter, den Kredit bei einer Bank löste er mit einem Kredit bei einer anderen Bank ab. Die Schuldenspirale drehte sich – trotz festen Gehalts. Irgendwann vertraute er sich seinem Vorgesetzten in der Firma an – und stieß auf Verständnis. Der Chef organisierte Hilfe für ihn, mit 28 Jahren machte er die erste stationäre Therapie – damals allerdings noch ohne ambulante Nachsorge. Ein Fehler, wie er heute weiß. Nach ein paar Monaten zog es ihn doch wieder in die Kneipen – und an die Automaten. Mit dem Geldverlust komme auch die depressive Stimmung, sagt er.

Nach Angaben von Kliniken haben etwa 35 Prozent der Betroffenen, die eine stationäre Therapie beginnen, bereits einen Selbstmordversuch hinter sich.

Andreas S. kennt solche Suizidgedanken. Die zweite Therapie folgte im März dieses Jahres. Seitdem kommt er regelmäßig zu Gesprächen mit der Horber Suchtberaterin.

"Das erste Jahr ist das schwierigste für die Betroffenen", weiß Susanne Henning. Einige Süchtige würden von sich aus Hilfe suchen, andere würden von ihren Angehörigen dazu gedrängt. "Die Sensibilität für das Thema hat zugenommen. Es kommen oft die Eltern oder Ehefrauen, die um Rat fragen", sagt sie.

Die Betroffenen sollten ihr Geld von Personen verwalten lassen, denen sie vertrauen, raten die beiden Experten aus Horb und Freudenstadt. "Einige haben beispielsweise keine eigene Geldkarte mehr, um die Ausgaben unter Kontrolle zu haben." In der Therapie gehe es darum, die Gründe für die Sucht herauszufinden. "Es könnte unter anderem an einer sehr autoritären Vaterfigur liegen. Das projizieren einige unbewusst auf den Automaten. Gegen den können sie endlich einmal gewinnen, was sie gegen ihren Vater vielleicht nicht konnten", gibt Hänel ein Beispiel. Eine weiterer, oft schwieriger Schritt für die Betroffenen sei, sich eine andere Freizeitbeschäftigung zu suchen und damit meist auch einen neuen Bekanntenkreis.

Andreas S. hat das Dartspielen für sich entdeckt. Mit einer Gruppe trainiert er und fährt zu Wettbewerben. Kein einfaches Hobby für ihn, denn in Kneipen, in denen Dart gespielt wird, stehen in der Regel auch die verlockenden Spielgeräte. "Ich kenne in Horb keine Kneipe ohne Automaten", sagt er. "Und ich merke, dass viele junge Männer spielen." Die spicht er mittlerweile an, regt sie zum Nachdenken über ihr Verhalten an. Er hat seit März nicht mehr gespielt, geht strikt an den Automaten vorbei – "aber der Kitzel bleibt".

Weitere Informationen:

Rat für Betroffene und deren Angehörige gibt es in Freudenstatt unter Telefon 07441/884014 und in Horb unter Telefon 07451/4059.