Horb - Schon vor der Gemeinderatsitzung am Dienstag hatte Hermann Walz (ULH) ein schlechtes Gefühl: "Mich wundert, dass meine Wahl zum Vize-Ortsvorsteher von Talheim auf der Tagesordnung steht. Normalerweise bestätigt der Gemeinderat die Entscheidungen des Ortschaftsrats."

Das Wahl-Drama: Es startet gegen 18.08 Uhr. Auf dem Tisch liegt die Drucksache 164/2018. Der Beschlussvorschlag: Walz bis zur Kommunalwahl nach dem "in der Gemeindeordnung vorgesehenen Wahlverfahren" zu wählen. Im Sachvortrag heißt es: "Über den Vorschlag des Ortschaftsrates hat der Gemeinderat in Form der Wahl nach Paragraf 37 der Gemeindeordnung zu entscheiden. Hiernach werden Wahlen geheim mit Stimmzetteln vorgenommen. Es kann offen gewählt werden, wenn kein Mitglied des Gemeinderats widerspricht."

OB Peter Rosenberger (CDU) erklärt: "Wir haben das bisher immer  in der Form der Einigung gemacht." Diesmal aber nicht. Markus Pagel, Fraktionsvorsitzender der Offenen Grünen Liste, grätscht dazwischen: "Ich beantrage eine geheime Abstimmung."

Rosenberger antwortet: "Wenn ein Gemeinderat den Antrag stellt, müssen wir geheim abstimmen. Haben wir für den Notfall Stimmzettel dabei?" Joachim Patig, Fachbereichsleiter Zentrale Steuerung, gibt grünes Licht. 

Zur Person: Florian Ganswind ist Redaktionsleiter in Horb.

Um 18.10 Uhr wird die Sitzung unterbrochen, die Wahlurne aufgebaut, die Stimmzettel von einer Rathaus-Mitarbeiterin ausgegeben. Walz sitzt zwischen seinen ULH-Fraktionskollegen Martin Raible und Rodolfo Panetta und schaut ernst.

Dann geht Patig nach vorne, schüttet die Urne aus. Er zählt zunächst die Zahl der abgegeben Stimmen: 26 – so viele wie an diesem Abend stimmberechtigt sind. Die Zählkommission mit Ilse Breitmaier, Michael Keßler, Peter Rosenberger, Alfred Seifriz und Jürgen Grassinger schauen gespannt auf die Zettel.

Dann sortiert Patig nach Ja- und Nein-Stimmen. Der Haufen mit den Nein-Stimmen wird immer größer. 

Um 18.20 Uhr ist Patig fertig. OB Rosenberger verkündet das Ergebnis: "Es haben alle abgegeben. Es gibt sechs Ja-Stimmen und 20 Nein-Stimmen. Damit ist die Wahl von Hermann Walz zum stellvertretenden Ortsvorsteher erst einmal nicht durchgeführt."

Die Wahl des Ortschaftsrats Talheim am 25. Oktober – sozusagen für ungültig erklärt. Damals war zunächst Silke Wüstholz gegen Walz angetreten. Erstes Ergebnis: sechs zu sechs Stimmen. Im zweiten Wahlgang siegte dann Walz: mit sieben zu fünf Stimmen.

Doch wie geht es jetzt weiter? Rosenberger erklärt: "Mit zwei Drittel Mehrheit kann der Gemeinderat jetzt einen Personal-Vorschlag machen. Ich denke, wir unterbrechen die Sitzung noch einmal, damit die Fraktionen besprechen können, ob sie diesen Weg wählen oder ob man diese Entscheidung dem Ortschaftsrat überlässt."

Die nächste Unterbrechung. Walz, der als AfD-Sympathisant gilt, geht vor die Tür. Er sagt: "Jetzt ist die Berliner Demokratie auch in Horb angekommen. Da sieht man, wie der Gemeinderat mit Kritikern umgeht."

Um 18.33 Uhr sind alle wieder am Tisch. Und alle Fraktionen – außer die ULH – entscheiden, dass sie die Entscheidung an den Ortschaftsrat zurückgeben. SPD-Fraktionschef Thomas Mattes sagt: "Wir haben uns über den Vorschlag des Ortschaftsrates hinweggesetzt. Es wäre nicht gut, dem Ortschaftsrat jetzt einen Kandidaten vorzuschlagen." Walz: "Ich bin auch dafür, dass der Ortschaftsrat entscheidet – damit sich der Gemeinderat mit seiner Lachnummer noch mal brüskieren lassen kann."

Die Abwahl von Walz – ein Zuschauer kommentiert: "Das zeigt, wie weit sich die Kernstadt von den Ortsteilen entfernt hat und die Entscheidungen des Ortschaftsrats ignoriert."

Auf der Facebook-Seite der ULH wird die Entscheidung des Gemeinderats ebenfalls kommentiert: "Das Demokratieverständnis der Systemlinge ist auch in Horb angekommen. Kritiker sind unerwünscht." SPD-Stadträtin Viviana Weschenmoser bezieht hier Stellung: "Ich habe mit Nein gestimmt bei der Frage, ob Hermann Walz zum stellvertretenden Ortsvorsteher ernannt werden soll oder nicht. Ich hätte geheim so abgestimmt und auch offen.

Meine Begründung gebe ich auch ehrlich an: Walz bekennt sich immer und immer wieder zur AfD und deren Positionen. Ich finde es einigermaßen schwach, dass er ein Mitgliedschaft nicht öffentlich macht oder zugibt, aber das erhärtet meine Bedenken eher, als dass es sie schwächt." Für sie stehe ohne Zweifel fest: "Rechtskonservative, nationalistische, faschistische und menschenverachtende Positionen, so wie sie die AfD einnimmt, dürfen weder in Deutschland noch sonst irgendwo in der Welt jemals wieder normal wirken."

Pro und Kontra: Mutiger Schritt oder oberlehrhaftes Verhalten?

Der Horber Gemeinderat hat sich gegen das Votum des Talheimer Ortschaftsrats gestellt, Hermann Walz zum stellvertretenden Ortsvorsteher zu machen. Richtige Entscheidung?

Pro: Darf sich der Horber Gemeinderat das Recht herausnehmen, den Talheimer Ortschaftsrat zu übergehen? Also nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch? Ja, er darf – und er muss es sogar. Das Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben, das schwören die Stadträte zu Beginn einer jeden Legislaturperiode. Und in diesem Fall ließ es das Gewissen einfach nicht zu. Freilich: Die Empfehlungen eines Ortschaftsrates müssen respektiert werden, sonst wäre das Stadtteil-Parlament überflüssig. Aber man darf nicht vergessen: Nur sieben der zwölf Talheimer Ortschaftsräte wollten Hermann Walz zum Vize-Ortsvorsteher machen. Ein klares Votum sieht anders aus. Ein klares Zeichen hat dafür nun der Horber Gemeinderat gesetzt. Walz turtelt mit der AfD – das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Nun hat der Gemeinderat der Stadt, in der die AfD 2015 ihren Landesparteitag veranstaltete, unterstrichen: Für Rechtspopulismus und Ausländerfeindlichkeit ist in Horb kein Platz. Danke für diese Zivilcourage. Mehr davon!

Zur Person: Tim Geideck ist Reporter der Lokalredaktion Horb.

Kontra: Er mag zu Recht aufgrund seiner politischen Einstellungen umstritten sein, doch die Ablehnung des Gemeinderats von Hermann Walz als stellvertretender Ortsvorsteher in Talheim ist dennoch bedenklich. Der ULH-Gemeinderat gilt zwar als AfD-Sympathisant und hat sich auch schon den ein oder anderen Lapsus geleistet (beispielsweise mit Meinungsäußerungen auf VR, dem russischen "Facebook"). Aber in Talheim hatte er bei der Kommunalwahl 2014 eine breite Basis an Wählern hinter sich und die sechstmeisten Stimmen. Seine Parteivorliebe spielte da nur eine untergeordnete Rolle. Bei der Wahl zum Ortsvorsteher holte er immerhin vier Stimmen im Gremium. Und der Ortschaftsrat wählte Walz selbst (knapp) zum Stellvertreter. Das zeigt, dass er auch dort durchaus anerkannt wird. Diese Entscheidung sollte man respektieren. Aber so begeben sich die Stadträte in die Rolle von Oberlehrern. Doch die Talheimer sind keine dummen Schüler.

Zur Person: Florian Ganswind ist Redaktionsleiter in Horb.