Wirtschafts-Experte Ulrich Hermani im Gespräch mit Michael Theurer über die Industrie 4.0 Foto: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Wirtschafts-Experte Ulrich Hermani spricht über Industrie 4.0 und die Auswirkung auf den Menschen

Was macht die digitale industrielle Revolution mit den Menschen? Mit der Arbeit? Das war das große Thema im Projektraum 42 in den Aktiv-Arkaden. Wirtschafts-Experte Ulrich Hermani und Michael Theurer, Horbs FDP-Bundestagsabgeordneter, diskutieren über die Arbeit 4.0.

Horb. Die Reinhold-Maier-Stiftung mit Verwaltungsrat Timm Kern (FDP) hat eingeladen. Der große Raum ist wieder voll – wie beim liberalen Bildungsgipfel mit NRW-Kultusministerin Yvonne Gebauer (wir berichteten). Ulrich Hermani – der Industrieprofi. War bei Stihl, Trumpf und 20 Jahre lang Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagebauer. Er bringt Fakten auf den Tisch.

Knapp 97 Prozent aller Unternehmer sagen laut einer IAO-Umfrage 2016, dass menschliche Arbeit in fünf Jahren noch wichtig sein wird: bei Planung, Steuerung, Ausführung und Überwachung der Produktion. Hermani: "Die apokalyptischen Szenarien wie von Osborne und Frey, dass 42 Prozent aller Deutschen in Berufen arbeiten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent in den nächsten 10 bis 20 Jahren automatisiert werden können, wurden hinreichend widerlegt. Weil diese Umfrage unter Robotik-Experten gemacht wurden. Allerdings wird es Umschichtungen geben, so eine IAB-Studie: Dabei geht es um 920 000 Arbeitsplätze. 490 000 fallen weg, 430 000 entstehen bis zum Jahr 2025 neu."

Hermani betont auch, dass sowohl die Arbeitgeberseite als auch die Gewerkschaften positiv zur Veränderung stehen. Zitiert dabei den IG-Metall Vorsitzenden Jörg Hofmann: "Wenn nicht wir das schaffen, wer dann?" Der Industrie-Profi: "Aufgrund des Fachkräftemangels wird das produzierende Gewerbe alles dafür tun, seine Mitarbeiter zu behalten. Und wenn sich die Anforderungen ändern, die Mitarbeiter durch geeignete Fort- und Weiterbildungen in der Mannschaft halten." Das braucht kein Arbeitslosengeld Q, sondern eine Weiterbildung in den Unternehmen.

Und was heißt das für die Arbeit 4.0? Laut Hermani enorme Freiräume für die Arbeitnehmer: "Digitalisierung und flexible Produktion eröffnen neue Spielräume für mobiles und agiles Arbeiten und mehr Freiheit, sich die Arbeitszeit und den Arbeitsort selbst auszuwählen." Dazu müssen aber auch gesetzliche Normen wie die Höchstarbeitszeit von acht Stunden täglich oder elf Stunden Ruhezeit wegfallen. Hermani: "Unternehmensleitungen, Betriebsräte und Beschäftigte können selbst dafür sorgen, dass es nicht zu einer Entgrenzung der Arbeit kommt. Kluge Unternehmen wissen, dass man keine Politik gegen die Interessen der Mitarbeiter machen kann. Erst recht nicht in Zeiten des Fachkräftemangels."

Was sagt der Politiker dazu? Theurer: "Die Digitalisierung hat begeisterte Anhänger, aber löst auch enorme Ängste aus. Es gibt Stimmen und Studien, die sagen, dass in den nächsten fünf Jahren 3,4 Millionen Arbeitsplätze wegfallen könnten. Es kommt also darauf an, ob die, die rausfallen, neue Arbeit finden. Klar ist auch: Dinge, die technisch möglich sind, werden gemacht. In China werden schon soziale Gutpunkte vergeben, die später eine Rolle bei der Studienplatzvergabe oder der Ausreise spielen. Putin sagt: ›Wer die künstliche Intelligenz beherrscht, beherrscht die Welt.‹ Ich stimme Ulrich Hermani zu: Wir in Deutschland und Europa müssen versuchen, vor die Welle zu kommen – sonst machen es andere, deren politisches System uns nicht entspricht!"

Als politische Forderung hat seine Partei verlangt, die europäische Höchst-Wochenarbeitszeit von 48 Stunden in Deutschland zu übernehmen. Tägliche Höchstarbeitzeit: 12 Stunden. Theurer: "Wenn dieser eine Tag dann innerhalb der Woche wieder ausgeglichen wird."

Das löst natürlich Diskussionen unter den Zuhörern aus. Ein Mann fragt: "Ich arbeite jetzt in der Reha. Ich denke, die Digitalisierung 4.0 führt bei den Menschen dazu, dass sich unsere Betten noch mehr füllen."

Theurer: "Ich sehe das nicht so negativ. Die junge Generation geht ganz spielerisch mit diesen Herausforderungen um. Ich sehe in dieser Wandlung der Arbeitwelt eine kulturelle Herausforderung, denn die Ökonomisierung greift hier zu kurz. Philosophen, Theologen oder Sozialpsychologen sollten dringend in die Debatte einbezogen werden."

Hermani: "Wir können es uns gar nicht mehr leisten, Leute zurückzulassen. Allein durch den demografischen Wandel verlieren wir in den nächsten 20 Jahren sechs Millionen Beschäftigte!"

Oliver Riese: "Ich halte es für ganz wichtig, dass man den – so sagt der Schwabe – Unterschied zwischen Käpsele und Nicht-Käpsele nicht macht. Auch die Nicht-Käpsele müssen in die Industrie integriert werden."

Der nächste will wissen, was von einer Roboter-Steuer zu halten ist. Theurer: "Seit Jahren sind die Investitionen in Deutschland geringer als die Abschreibungen. Ich denke, wir sollten die Rahmenbedingungen für Investitionen in neue Technik attraktiver machen – denn ohne diese Investitionen können wir unseren Wohlstand nicht verteidigen."

Der nächste Fragestellerist ganz skeptisch. Er befürchtet, dass irgendwann die Maschinen sich selbst reproduzieren und den Menschen beherrschen. Theurer: "Unsere Gesellschaft muss sich dieser Herausforderung stellen. Die Technik muss unseren Vorstellungen von Freiheit und Menschenwürde entsprechen. Dazu gehört auch, dass wir unsere staatlichen Institutionen digitalisieren. Damit die Ämter und Behörden durch die Digitalisierung freie Kapazitäten bekommen, um sich um die eigentlich wichtigen Zukunftsaufgabe zu kümmern: Die Grundrechte jedes Bürgers in der digitalen Welt durchzusetzen!"