Sie wenden sich mit den Nöten der sozialen Einrichtungen an die Öffentlichkeit (von links): Alfred Zahn, Cornelia Graf, Geschäftsführerin der Regionalstelle der Paritätischen, Tamer Öteles, Ulf Hartmann und Marcus Abel, Kreisverbandsvorsitzender für Tuttlingen. Foto: Marcel

Von einer "Explosion" der Jugendhilfefälle, fehlenden Heimplätzen und Helfern in der Betreuung von Geflüchteten, die am Limit sind, berichten Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ein Hilferuf – auch mit Blick auf stark steigende Kosten.

Kreis Rottweil - Immer mehr Arbeit und stark gestiegene Kosten: So könnte man das Dilemma kurz zusammenfassen, in dem viele soziale Einrichtungen in diesen Tagen stecken. Jetzt gingen Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg damit an die Öffentlichkeit, man traf sich im interkulturellen Zentrum, dem ehemaligen Gasthaus Hasen in Rottweil, das der Freundeskreis Asyl in diesen Treffpunkt verwandelt hat.

Dramatische Lage in den Jugendämtern

Wie dramatisch die Lage beispielsweise in den Jugendämtern im Schwarzwald-Baar-Kreis ist, das berichtete Alfred Zahn: "Wir haben fast eine Explosion der Jugendhilfefälle, die Jugendämter schaffen es nicht mehr!"

Viel Aufarbeitung nötig

Hier sei dringend mehr Personal nötig, die Resilienz bei Jugendlichen sei durch Corona, den Ukrainekrieg und die gestiegenen Preise sehr runtergegangen, viele hätten mit Traumata aus der Coronazeit zu kämpfen. Und wer zwei Jahre darunter leide, brauche vier Jahre Unterstützung, um es aufzuarbeiten, so Zahn.

Im Schwarzwald-Baar-Kreis fehle es zudem an Heimplätzen, "bei Inobhutnahme müssen die Sachbearbeiter jetzt entscheiden, welcher Fall der schlimmere ist!" Diese Kostensteigerungen machen auch den sozialen Einrichtungen zu schaffen, stellte Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Landesverbands, klar.

Organisationen kommen an die Grenzen

Multiple Krisensituationen und hohe Preise, "viele Organisationen kommen gerade an ihre Grenzen." Zwar redeten Bund und Land von finanzieller Unterstützung, so Hartmann, "aber sie schieben diese heiße Kartoffel hin und her."

Die Bundesregierung denke nur an Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, und nun habe Ministerpräsident Kretschmann zwar einen Betrag von 30 Millionen Euro in den Raum geworfen, das sei aber viel zu wenig. "Für die Wirtschaft sind 2,6 Milliarden im Topf!" Zudem könne eine soziale Einrichtung keine Rücklagen bilden, könne nicht in Energiesparmaßnahmen investieren. "Es ist zu befürchten, dass Beratungsstellen schließen und Wohngruppen zumachen müssen."

Tamer Öteles, Sprecher der Paritätischen in der Region, rechnete vor: 30 Millionen für alle Einrichtungen im Land, das wären pro Stadt- und Landkreis gerade mal je eine Million – eben viel zu wenig. Dabei schränkte der Geschäftsführer der Stiftung Lernen-Fördern-Arbeiten seine Kritik gerne ein: Nicht alle Einrichtungen bräuchten Hilfe, und die Zusammenarbeit mit den kommunalen Kostenträgern sei gut. Aber man warte heute noch auf zugesagte Gelder aus der Coronakrise, "was ist, wenn wir auf die jetzt zugesagten Gelder auch so lange warten müssen?"

Ernstzunehmendes Problem

Hilfsgelder müssen schnell und unbürokratisch kommen, unterstrich Ulf Hartmann. Der auch betonte: Dass soziale Einrichtungen heute wie Unternehmen geführt werden müssen, "das ist ein ernstzunehmendes Problem."

Einst privatisierte Kliniken und ein Gesundheitsminister, der schon laut darüber nachdenke, das Rad hier wieder zurückzudrehen, das müsse doch zu denken geben.

Tamer Öteles betonte zudem, dass in vielen Bereichen wie der beruflichen Bildung die Träger keinen kommunalen Ansprechpartner mehr haben, weil die Ausschreibungen bundesweit gemacht werden müssen. "Da werden die Kosten dann einfach durchgereicht."

Mit Blick auf die zunehmende Ökonomisierung der sozialen Einrichtungen, betonte Öteles: "Das dient nicht immer dem Gemeinwohl." Das werde auch hier im Hasen deutlich: "Im Spital drüben sind 120 Ukrainer. Und die klopfen natürlich hier an." Womit die ehrenamtlichen Helfer damit natürlich schwer an ihre Grenzen kommen.

Nicht nur ein Problem des Geldes

Dass die Wohlfahrtsverbände in die Gestaltung von Fördertöpfen dringend miteinbezogen werden müssen, stellte Ulf Hartmann klar. "Es ist aber nicht nur ein Problem des Geldes", ergänzte Tamer Öteles, "wir haben ein gutes System in Baden-Württemberg." Es gehe auch um die Frage der Priorisierung. Und den Fachkräftemangel. "Wir freien Träger sind bereit, mehr auszubilden." Aber auch hier werde mehr Unterstützung von Land und Bund dringend gebraucht.