Eine Generation von Hechingern, die überregional bekannt wurden (von links): Siegbert Alber, Klaus Kinkel, Walter Overbeck und Reinhard Kleinmann. Im Rückblick auf den Tod von Klaus Kinkel hat Adolf Vees, ebenfalls ein Vertreter dieser Generation, seine Gedanken zu Zeit und Personen aufgeschrieben. Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Stadtgeschichte: Private Anmerkungen von Adolf Vees im Blick auf den Tod von Klaus Kinkel

Als Klaus Kinkel am 4. März starb, machte dies bundesweit viele Menschen betroffen, die ihn als Bundespolitiker kannten. In Hechingen war die Trauer privater Natur, denn Kinkel war hier aufgewachsen, hatte viele Kontakte gehalten.

Hechingen. Für Adolf Vees, der einst mit ihm die Schulbank drückte, war dies Anlass, aus einer ganz privaten Perspektive zurückzublicken. Dazu orientiert er sich an einem Foto. Wir drucken seinen Text hier im Original ab.

"Ich möchte lieber der Erste hier als der Zweite in Rom sein". Wir wissen nicht, ob die Herren auf unserem Bild dieses Wort des griechischen Schriftstellers Plutarch gekannt haben, das er beim Anblick einer kleinen Stadt in den Alpen dem römischen Staatsmann Caesar zuschrieb.

Die vier stattlichen Gestalten, die in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für dieses Foto vor der baden-württembergischen Landesvertretung in Bonn posieren, sind in Bonn, Berlin, Straßburg oder Brüssel nicht (ganz) die Ersten geworden. In jugendlicher Unbekümmertheit hat es einer von ihnen einmal in Hechingen versucht. Bundesweit bekannt jedoch und auch viel bewundert wurden alle vier in ihren politischen und journalistischen Hoch-Zeiten der reiferen Jahre.

Wer sind die Herren? Siegbert Alber, Klaus Kinkel, Walter Overbeck und Reinhard Kleinmann. Der schmerzliche Tod von Klaus Kinkel lässt uns noch einmal an sie zurückdenken. Sie wollten etwas tun, draußen in der Welt, für die Menschen. Und wollten doch Hohenzollern bleiben. Hechinger. Sie trafen sich hin und wieder. Und plötzlich war da die Idee eines Hohenzollern-Vereins. Hohenzollern in der Fremde.

Wir sehen vier verträglich beieinander stehende Individualisten. Freundlich. Offenbar sind sie nicht zusammengekommen, um alte Erinnerungen auszutauschen. Ganz im Gegenteil. Sie schauen nach vorn. Sie sind zuversichtlich. Und vor allem: Sie zeigen die beiden grundlegenden Haltungen, mit denen engagierte und verantwortungsbewusste Menschen der Welt begegnen: zum Einen die gesammelte Kraft, die zum Ordnen und Gestalten drängt, zum anderen die Fähigkeit, äußere Krisen und eigene Nöte aufzunehmen, um sie in Versöhnung umzuformen. Eine Begabung, für die wir heutzutage gerne den Begriff der Resilienz verwenden.

Das Bild rührt uns an. Wir spüren: Nach der Erfahrung des Unrechts und der Gewalt, die unser Land über die Mehrheit der europäischen Völker, und über Hunderttausende unserer deutschen Mitmenschen gebracht hat, suchen die Herren in zollerischer Traditions- und Heimatbindung Hoffnung und Wege für eine bessere, friedlich geordnete Welt.

Das hohenzollerische Bewusstsein ist, was jeder Hohenzoller weiß und im Blut hat, etwas Kostbares. Es ist Schwabentum, aber – bei allem Respekt vor dem Anderen – nicht das württembergische Luthertum, auch nicht der badisch-alemannische Calvinismus, vermischt mit alt-österreichischer Katholizität. Es ist im Wesentlichen und im besten Wortsinn liberal und fromm, mit ein paar Einschübseln von Untertanengeist.

Man denke an die zollerische Revolution der Jahre 1848/49, an Paul Levi, den aufrechten Hechinger Reichstagsabgeordneten mit seinem Engagement für Frieden und soziale Gerechtigkeit, an Friedrich Wolf, den Dichter und Armenarzt in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das Zollerisch - Hechingische war lange und blieb es in Teilen bis heute: eine untergründige Mischung aus vormoderner Grafen- und Fürstenverehrung mit einem Neben- und Miteinander katholischer und jüdischer Bürger, dem eine moderne protestantische Preußenherrschaft im 19. Jahrhundert noch einmal Form und Halt gab – und nicht zuletzt Glanz und Größe.

Die vier Herren wissen um den Ruhm ihrer Stadt als orpheisches Hechingen, aber eben auch um ihre Schuld. Nach dem Untergang der jüdischen Gemeinde, nach Preußens Zerschlagung und baden-württembergischer Verwaltungsreform sind zollerische Kunst- und Musenliebe, Hechinger Juden und preußische Korrektheit keine aktuellen Begriffe mehr, so dass in unseren Tagen einem in Geschichte wenig bewanderten Zeitgenossen zu Hechingen meist nichts anderes einfällt als "Kleinstadt an der B 27, da, wo die Burg Hohenzollern steht."

Von links nach rechts stellen sich dar: Siegbert Alber, Jahrgang 1936, aufgewachsen in der Silberbugstraße, promovierter Jurist und Honorarprofessor für Europarecht an der Universität Saarbrücken, der es zum Generalanwalt und Mitglied des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg gebracht hat und über mehrere Sitzungsperioden Mitglied des Deutschen Bundestags sowie Abgeordneter und Vizepräsident des Europaparlaments war.

Der 1936 geborene Klaus Kinkel, ein am Obertorplatz aufgewachsener Bub, der es schaffte, aus dem Ministerbüro von Hans-Dietrich Genscher heraus als bundesrepublikanischer Justiz- und Außenminister ein eigenständiger Politiker zu werden.

Walter Overbeck, Waisen- und Flüchtlingskind, Pflegesohn der Familie Hentsch-Gabor am Markt, ein profunder Kenner der Europa-Politik, lange Jahre in leitender Position beim Südwestfunk in Baden-Baden.

Reinhard Kleinmann, ein 1933 in Münster geborener Hohenzoller, dessen Vater aus Sickingen stammte, als Junge zurückgekommen nach Hechingen, wo er 1952 Abitur machte. Er war einer der ersten auf dem Mainzer Lerchenberg, der dem Zweiten Deutschen Fernsehen aus der Wiege half, später Chefredakteur des Südwestfunks, "der Profi der politischen Berichterstattung", wie er gerne genannt wurde.

Zugegeben, wir Hier-Gebliebenen und nach Lehr- und Wanderjahren Zurückgekehrten sind auf sie alle ein wenig stolz.