Prominenter Platz für zwei Gerlinger Hausfrauen: Berichterstattung im „Guardian“. Foto: StN

Kanzlerin Angela Merkel hat „die schwäbische Hausfrau“ als Vorbild für sparsames Wirtschaften international bekannt gemacht. Dank intensiver Recherchen weiß man nun auch, wo sich das Zentrum des schwäbischen Hausfrauentums befindet: in Gerlingen.

Gerlingen - „Nordwestlich an die Landeshauptstadt Stuttgart angrenzend liegt Gerlingen, eine attraktive und selbstbewusste Stadt mit 19.000 Einwohnern.“ So beginnt das Selbstporträt der Stadt Gerlingen im Internet. Es folgen Hinweise auf die „landschaftlich reizvolle Lage“, auf die mehr als 1200-jährige Geschichte des Ortes, auf seine Kundenfreundlichkeit, sein Vereinsleben und seine günstigen Steuerhebesätze. Von seinen schwäbischen Hausfrauen ist nicht die Rede. Anderswo sehr wohl.

Am Dienstag erschien im britischen „Guardian“, der drittgrößten Zeitung der Insel (Auflage: 216 000 Exemplare) ein 180-Zeilen-Bericht über Gerlingen als jenem Ort in Baden-Württemberg, der das von der Bundeskanzlerin gepriesene schwäbische Hausfrauentum in Reinkultur verkörpert. „Schaffe, schaffe Häusle baue: Deutschlands Musterbeispiele für Sparsamkeit“ („Work, work to build a house“: Germany’s paragons of thrift“) steht als Überschrift auf dem Titelblatt – direkt unter einem Bild, das Prinz William und seine Kate in der Südsee zeigt. Prominenter geht’s nicht.

Im Innenteil des Blatts, das in Großbritannien mehrfach zur „Zeitung des Jahres“ gekürt wurde, erstrahlen zwei Gerlingerinnen in Großformat: die „schwäbischen Hausfrauen“ Waltraud Maier, Vorsitzende der örtlichen Landfrauen, und Heide Sickinger, Bäuerin vom Grundhof. Der Fotograf hat sie an einem Tisch im Gerlinger Stadtmuseum platziert. Das Foto signalisiert dem Betrachter: So sehen die Frauen aus, von denen die Welt sparen lernen kann.

Im Gespräch mit den beiden Damen fand die aus London angereiste Wirtschaftsredakteurin des „Guardian“, Julia Kollewe, das Bild der sparsamen und fleißigen Schwäbin offenbar bestätigt. „Eine Hausfrau hält die Familie zusammen und das Geld“, wird Waltraud Maier zitiert und erklärt, „dass die Menschen hier nie über ihre Verhältnisse leben“. Kreditkarten würden nur im Urlaub verwendet, vorausgesetzt natürlich, es sei genügend Geld auf dem Konto.

Auf der Suche nach den Wurzeln der Sparsamkeit landet die Autorin beim Pietismus, der die Geisteshaltung des „Schaffe, schaffe Häusle bauen“ hervorgebracht habe. Bei Heide Sickinger hört sich das so an: „Schwaben fühlen sich schuldig, wenn sie nicht arbeiten.“ Den „Guardian“-Lesern teilt sie einen Ausspruch ihrer Schwiegermutter mit: „Opa hätte nie ein Auto gekauft, sondern ein Feld.“

Beim Rundgang durch die „kleine, verschlafene Stadt“ stellte die Redakteurin aus London überrascht fest: „Sie finden keine Luxusboutiquen in Gerlingen. Dennoch haben die Einwohner mehr Kaufkraft – schätzungsweise 500 Millionen Euro pro Jahr – als jede andere Stadt in Baden-Württemberg.“ Auch wegen Bosch. „Gerlingen ist wohlhabend, weil viele Bosch-Manager dort leben“, heißt es in dem Zeitungsbericht. Zu Stuttgart bemerkt die Redakteurin: „Auch die nahe gelegene Landeshauptstadt hat nicht viele Luxusgeschäfte.“ Ganz anders Bayern: „Vergleichen Sie das mit der Münchner Theatinerstraße, wo Sie internationale Marken wie Dolce & Gabbana, Armani und Swarovski antreffen.“

Nicht, dass die Gerlinger etwas gegen Luxus hätten. Man stellt ihn nur nicht zur Schau: „Die Leute auf der Straße tragen weder besondere Hüte noch Schmuck“, heißt es im „Guardian“. Ein Ausdruck, der sich der Autorin eingeprägt hat, ist „hälinga reich“. Von den schwäbischen Hausfrauen Sickinger und Maier lernte sie außerdem, dass man Lebensmittel nicht beim Discounter, sondern beim Bauern, Metzger oder auf dem Wochenmarkt kauft. Die schwäbische Hausfrau ist bescheiden, aber qualitätsbewusst.

Wie aber kam der „Guardian“ überhaupt auf Gerlingen? Hier kommt Catharina Raible, die Leiterin des Stadtmuseums, ins Spiel. Seit einem Jahr bietet sie kostümierte Führungen mit einer original „schwäbischen Hausfrau“ an. Auf einen entsprechenden Hinweis im Internet war zunächst ein Redakteur der Deutschen Welle gestoßen, der diese Idee zum Aufhänger für ein Filmporträt über Gerlingen machte. Diese Entdeckung machte auch die „Guardian“-Redakteurin. Ihr Gerlingen-Bericht ist Teil einer Artikelserie über das „zufällige Imperium“ Deutschland.

Martina Koch-Haßdenteufel, Erste Beigeordnete der Stadt, zeigt sich über die kostenlose Werbung erfreut: „Gerlingen kommt in den Berichten positiv weg.“ Museumschefin Catharina Raible sieht das ebenso. Als Paradestadt des Schwäbischen sieht sie Gerlingen gut getroffen. Gut möglich, dass das Thema „schwäbische Hausfrau“ demnächst einen Ehrenplatz im Stadtmuseum bekommt. Und die Kostümführungen werden natürlich fortgesetzt – gleich an diesem Sonntag um 11 Uhr im Stadtmuseum (Eintritt fünf Euro). Am Freitag, 5. Oktober, um 17.30 Uhr führt eine „schwäbische Hausfrau“ durch die nun international bekannte Stadt. Das Motto: „Kehrwoche und Vesper“. (Teilnahmegebühr 15 Euro). Anmeldungen unter: stadtmuseum@gerlingen.de.