Einige Anwohner finden, dass die geplante Wohngemeinschaft für Suchtkranke zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht in ein Wohngebiet gehört. Foto: Lajko

Anwohner protestieren gegen Ansiedlung der "Treppe" im Kohlstädter Hardt und sehen die Stadt in der Pflicht.

Freudenstadt - Auf der "Sonneninsel über Freudenstadt" – auch bekannt als Wohnbaugebiet Kohlstätter Hardt – herrscht helle Aufregung. Einige Anwohner protestieren gegen den geplanten Bau einer sozialtherapeutischen Einrichtung der "Treppe" – und sehen die Stadt in der Verantwortung.

So schreibt "eine junge Familie" auf www.schwarzwaelder-bote.de, sie werde ihren "gefassten Entschluss für einen Bauplatz in Freudenstadt nicht umsetzen". Der Grund: die geplante soziale Einrichtung der Freudenstädter psychosozialen Hilfsgemeinschaft "Die Treppe".

"Die Treppe" hat vergangenen Sommer ein Grundstück im Neubaugebiet Kohlstätter Hardt gekauft, Ecke Karl-von-Hahn-Straße/Am Kohlstätter Hardt. Dort soll eine sozialtherapeutische Einrichtung für chronisch und mehrfachbeeinträchtigte Abhängigkeitskranke entstehen, erklärt Sonja Baur, Geschäftsführerin der "Treppe". In dieser Einrichtung sollen Alkohol- und Medikamentenabhängige medizinisch und therapeutisch begleitet werden, die bereits eine Therapie hinter sich haben und nun wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können. Vorgesehen sind 18 Betreuungsplätze. Der Neubau im Kohlstätter Hardt wird das Haus Silberwald in Hallwangen ersetzen, das den aktuellen Standards nicht mehr entspreche, erklärt Baur.

Die Stadtverwaltung hat die direkten Anwohner über das Bauvorhaben informiert. Laut Statement der Stadtverwaltung sei sie nicht verpflichtet, alle Anwohner im Vorfeld zu informieren. Dies hatten einige Anwohner gefordert. Dass das Bauvorhaben der "Treppe" zu so einem Aufschrei führt, findet Oberbürgermeister Julian Osswald ernüchternd: "Wir alle wollen tolerante und offene Bürger sein – wenn es aber ans Eingemachte geht, dann ist plötzlich Schluss mit der Toleranz." Das Verhalten der Anwohner sei im völlig unverständlich, schließlich werde dort "Inklusion gelebt". Trotzdem nehme die Stadtverwaltung die Ängste und Sorgen der Anwohner ernst. Osswald und Bürgermeister Gerhard Link wollen mit ihnen das offene Gespräch suchen.

Einige Anwohner protestieren dennoch. Kohlstätter Hardt sei als Wohngebiet ausgeschrieben gewesen, daher passe die Einrichtung der "Treppe" einfach nicht dort hin, erklärt beispielsweise Anwohner Daniel Fischer. Schon vor ein paar Jahren habe der alevitische Kulturverein im Kohlstätter Hardt ein Gemeindezentrum bauen wollen, und auch dagegen wurde protestiert: In dem Wohngebiet seien die Parkplätze zu knapp für große Feste im Kulturzentrum. Der Kulturverein habe das verstanden und von seinem Bauvorhaben abgesehen. "Es geht darum, einfach dieses Thema Wohngebiet zu verteidigen", erklärt Fischer.

Und warum der Groll auf die Stadt Freudenstadt? Die habe schlecht informiert, sagt Fischer. Er sei enttäuscht, dass die Stadt "so auf Profit aus" sei – das Grundstück der "Treppe" sei für Mehrfamilienhäuser vorgesehen gewesen.

Auch Anwohner Markus Hofmeister findet, die Stadt habe die Anwohner mit der Ausschreibung des Kohlstätter Hardt als reines Wohngebiet getäuscht. Bürgermeister Link sieht das anders: Es sei ein allgemeines Wohngebiet und soziale Einrichtungen stellten damit eine zulässige Nutzung dar. Seitens der Stadt und der Baurechtsbehörde gebe es keine Bedenken.

Eltern haben Angstum ihre Kinder

Markus Hofmeister aber hat "Angst um die Kinder, die hier oben aufwachsen". Er befürchtet, sie könnten über Abhängigkeitskranke in Kontakt zu Alkohol kommen. Außerdem befürchtet er ein zweites Objekt seitens der "Treppe", das schwer erziehbare Jugendliche beherbergen soll.

Diese Angst kann Sonja Baur den Anwohnern nehmen. Es bestehe zwar die Option, das Nachbargrundstück zu kaufen, um die geplante Einrichtung zu erweitern. Eine zweite Einrichtung sei aber nicht geplant.

Anwohner Klaus Jekal fragt sich, ob die soziale Einrichtung im Wohngebiet "Sinn macht". Er versteht die Bedenken von Eltern, die sagen: "Wie erkläre ich das meinem Kind, wenn es fragt, was das für Leute sind?" Jekal findet, über diese Einrichtung müsse man einfach reden, um Ängste abzubauen. Denn dass diese entstehen, findet er nachvollziehbar und meint, das müsste auch der Stadt einleuchten.

Sonja Baur indes ist von dem Widerstand der Anwohner gegen den Bau der Einrichtung "sehr überrascht gewesen". Bisher sei keines der Projekte der Treppe "so auf Bedenken gestoßen". Kann sie die Bedenken nachvollziehen? "Nein", erklärt die Geschäftsführerin. Natürlich verstehe sie, dass Eltern Angst um ihre Kinder haben. Die Verknüpfung dieser Ängste mit der "Treppe" verstehe sie aber nicht. Trotzdem will sie die Bedenken der Anwohner nicht bewerten – diese seien ja alle subjektiv.

Auch Alexandra Conrad hat Angst davor, dass Kinder über die Suchtkranken mit Alkohol in Berührung kommen. Schließlich sei die Rückfallquote von Suchtkranken sehr hoch, erklärt die Anwohnerin. Durch die Nähe zum Krankenhaus habe es schon kleinere Vorfälle gegeben, bei denen Kinder im Kohlstätter Hardt von Menschen mit Bierflaschen in der Hand, wie Conrad das vorsichtig formuliert, "angepöbelt" worden seien. Außerdem fühlt sie sich von der Stadt "hinters Licht geführt".

Auch Alexander Reimann fehlt das Verständnis, warum die Stadt das Bauvorhaben der "Treppe" so kurzerhand durchziehen muss und niemanden informiere. Er sorgt sich, wie die soziale Einrichtung mit dem Waldkindergarten und dem zweiten geplanten Kindergarten im Kohlstätter Hardt zusammenpassen soll. Reimann befürchtet, die Einrichtungsbewohner würden aufgrund ihrer Suchtproblematik teils nicht mehr zurechnungsfähig sein und dann in diesem Zustand auf die Kinder treffen.

In Beschwerdebriefen, die die Verwaltung erhalten hat, wurden diese und andere Befürchtungen geäußert. Seitens der Verwaltung heißt es: "Dass die Bewohner für Kinder gefährlich sein sollen, ist menschenverachtend. So etwas kann man nicht tolerieren."

Sonja Baur betont, dass die "Treppe" jederzeit bereit sei, die Anwohner weiter zu informieren. Bereits am Dienstag gab es auf Wunsch einer Anwohnerin ein Informationsgespräch. Baur lädt Interessierte zur Besichtigung des Haus Silberwalds in Hallwangen ein. So könnten sich die Anwohner einen "persönlichen Eindruck" verschaffen. In Hallwangen habe es seit dem Bestehen der Einrichtung seit 1982 keine Zwischenfälle mit Nachbarn gegeben, erklärt die Geschäftsführerin.

Die Anwohner des Kohlstätter Hardt treffen sich heute ab 13.30 Uhr im Dobel, um sich auszutauschen und über ihr weiteres Vorgehen zu beraten.