Welche Gefahren bringt der neue Mobilfunkstandard 5G mit sich? Foto: Burgi

Auch viele Mediziner sehen Technik kritisch. Reaktionen reichen von Drohungen bis zu Häme.

Freiburg/Mainz/Magdeburg - Sie weisen auf mögliche Gefahren hin und bekommen Drohmails. Sie legen Studien vor und erfahren krachende Häme, werden als Quacksalber und Aluhutträger bezeichnet. Doch der Kreis an Ärzten und Forschern, die sich kritisch mit Mobilfunk im Allgemeinen und mit dem geplanten 5G-Ausbau im Besonderen auseinandersetzen, vergrößert sich.

In Wolf Bergmanns Haus in Freiburg steht das Telefon kaum still. Viele interessieren sich für den Mediziner: Bürger, Reporter, das Fernsehen. "Es tut sich was – und zwar im ganzen Land." Eine Welle schwappt nicht nur über seine Heimatstadt Freiburg, wo sich Aktionsbündnisse gegründet haben, die die Breisgaumetropole 5G-frei halten wollen. "Immer mehr Leute sind alarmiert" und teilen Bergmanns Meinung, dass viele Infos über die Langzeitwirkungen von Elektro-Smog noch fehlen. "Darunter sind auch viele, die noch vor Kurzem dem Thema neutral gegenüber standen oder die Skeptiker belächelten."

Offener Brief

Ende April berichtete unsere Zeitung darüber, dass bundesweit Ärzteinitiativen beim Ausbau der fünften Mobilfunkgeneration und damit 5G auf die Bremse drücken, weil sie mögliche Risiken durch die zusätzliche Strahlungsbelastung und die Langzeitfolgen nicht genügend erforscht sehen. Bergmann, Arzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie, war einer der Mediziner, der einen offenen Brief an Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mitunterzeichnete, zusammen mit Barbara Dohmen, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Umweltmedizin, sowie Jörg Schmid, Facharzt für Psychiatrie, vom Stuttgarter Ärztearbeitskreis digitale Medien.

Der Preis für die Gesundheit durch die aufgrund des Ausbaus hervorgerufene zusätzliche Strahlenbelastung sei zu hoch. Zur Begründung ihres von 30  Ärzten unterschriebenen offenen Briefs heißt es: Zu den bereits installierten zahlreichen Dauer-Funkemittenten sollen nun der Bevölkerung weitere ununterbrochene Hochfrequenz-Expositionen "zugemutet" werden. Im Klartext: das geplante 5G-Netz mit einer "unübersehbaren Flut von neu zu installierenden Sendern" und der Pflichteinbau von Smart-Metern in Haushalten. "Erst untersuchen, dann einführen", bringt es ein Mediziner auf den Punkt. "5G ist ein Experiment am Menschen, mit unbekanntem Ausgang", warnt ein anderer.

Unter anderem berufen sich Mobilfunk-Kritiker auch auf eine Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), einer Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese stuft elektromagnetische Felder, die auch bei der Nutzung von Mobiltelefonen entstehen, als "potenziell krebserregend" ein, was das Deutsche Ärzteblatt im November 2011 verbreitete. Mittlerweile hat auch die Organisation IPPNW, ein Verbund atomkritischer Ärzte, ein Moratorium gefordert, mit dem Ziel, den 5G-Ausbau zu stoppen und zunächst die Risiken zu klären. Landesweit bilden sich weitere Ärzteinitiativen und Gruppen. Und selbst das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hält weitere Forschungen über die gesundheitlichen Folgen elektromagnetischer Strahlung für nötig.

Für Forscherin liegen Risiken auf der Hand

Wer sich für mögliche Risiken interessiert, könnte sich mit Diana Henz vom Institut für Sportwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz unterhalten. Auch sie würde den Brief an Minister Scheuer unterschreiben. Für die Forscherin liegen die Risiken buchstäblich auf der Hand: Sobald sie mit einem leistungsstarken Gerät in menschliche Gehirne leuchtet, die elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sind, und beobachtet, in welcher Hinsicht Veränderungen sichtbar werden.

Und es passiere so einiges, wenn "wir regelmäßig Strahlung ausgesetzt sind" – ob am Arbeitsplatz oder zuhause, ob durch Laptop oder Handy: Die 37-jährige Neurowissenschaftlerin geizt nicht mit dem Begriff "Stress fürs Gehirn". Etwas genauer ausgedrückt: Ohne einen Dauerbestrahlungs-Cocktail weise das Gehirn bei Testpersonen eine Mischung aus Alpha- und Beta-Frequenzen auf (wobei der Alpha-Anteil überwiege). Bereits nach einer halben Stunde am Handy oder Laptop (und Wlan-Nutzung) drängen sich die Gammafrequenzen vor. "Für das Gehirn bedeutet das Stress pur; es wird auf Dauerleistung umgepolt." Die bereits messbaren Folgen: Schlaflosigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und Burn-out bei "Dauerberieselung".

Interessant für sie, interessant für diejenigen, die die Studie 2014 anstupsen: Eigentlich sollte Henz für einen Sportverband erforschen, wie sich "Handys neben Bett und Wlan-Router in der Nähe" auf die Fitness auswirken. Aufgrund der Ergebnisse, sagt Henz, seien die Recherchen ausgeweitet worden, auf Tests am Arbeitsplatz und zuhause. "Auf lange Sicht", sagt die Wissenschaftlerin, "führt die Exposition zu dauerhaften Veränderungen."

Belastung des menschlichen Organismus

Wie sieht sie die Diskussion um mögliche Risiken beim 5G-Ausbau? Auch Henz mahnt zur Vorsicht. Auf Basis ihrer Studienerkenntnisse "erwarten wir eine deutlich stärkere Belastung des menschlichen Organismus". Deshalb laufen in Berlin in den nächsten Wochen die ersten EEG-Pilotmessungen im 5G-Testbetrieb an. Erste Vortests zeigten bereits eine alarmierende Richtung an, berichtet Henz: "Aufgrund der bisherigen Studienergebnisse zur Wirkung von Mobilfunk erwarten wir bei 5G aufgrund physikalischer Gegebenheiten eine deutlich stärkere Belastung des menschlichen Organismus." Macht sich das Institut nicht anfällig für Kritik, wenn auch Methoden zur Abschirmung von Strahlung getestet werden? Henz verneint: "Unsere Publikationen sind wissenschaftlich fundiert. Es sind experimentelle Laborstudien unter streng kontrollierten Bedingungen."

Und wie reagieren die Uni-Kollegen auf die Arbeit des Instituts mit 50 Mitarbeitern? Ihre Erfahrungen decken sich passgenau mit denen anderer Forscher und Ärzte: "Hinter vorgehaltener Hand signalisieren einige Interesse, offiziell aber nicht". Die Angst vor Häme, Isolation oder gar dem Karriereende bremse viele aus. Mit gespaltenen Emotionen kennt sich die 37-jährige Henz gut aus: von Drohbriefen ("viele wollen diese Ergebnisse nicht wahrhaben"), über Häme und dem Versuch der Rufschädigung reiche das Spektrum. Ein Kollege, der nicht genannt werden will, spricht von wirtschaftlichen Interessen: Man wolle unliebsame Informationen unter Verschluss halten.

Unterstützung von einer Professorin

Unterstützung erhält Henz auch von einer Professorin aus Sachsen-Anhalt, Brigitte König von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Medizinische Fakultät). Ziel ihrer Untersuchungen war es, die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf die Gehirnaktivität und die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle, zu untersuchen. Das Ergebnis deckt sich mit denen von Henz: "Die bestrahlten Immunzellen zeigten einen erhöhten Stoffwechsel und Zeichen einer Aktivierung ihrer Mitochondrien. Dies ist als Stressreaktion zu werten". Zudem konnten bestrahlte Immunzellen einen zweiten Reiz, nur noch vermindert abwehren. "Dies ist als eine herabgesetzte Immunantwort zu werten." Damit ist für König die Konsequenz klar: "Weitere gut geplante Experimente unter Einbeziehung von exzellenten Messtechnikern müssen auf jeden Fall folgen." Mögliche Risiken der Mobilfunfunkstrahlung auf den menschlichen Organismus sieht sie durchaus: "Wahrscheinlich gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift."

Was bedeuten ihre Forschungsergebnisse nun für 5G? Brigitte König mahnt zur Vorsicht: "Man sollte genau analysieren, welche Auswirkungen 5G haben könnte. Es muss doch möglich sein, objektiv das Thema anzugehen", fordert sie. Ohne beißende Kritik und Häme.

Ohne Grabenkämpfe geht es wohl nicht

Doch ohne Grabenkämpfe geht es wohl nicht: Es gebe in der Wissenschaft viele Beispiele dafür, sagt König, dass Thesen zunächst als irrerelevant verworfen, später aber gefeiert wurden: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du."

Doch nicht nur in der Ärzte-und Forscherszene wird Skepsis laut. So sehen Versicherungen andere Risikopotenziale: Hacker könnten die Geschwindigkeit und das Volumen von 5G nutzen, um schneller Daten zu erfassen. Zu den größten Bedenken gehören mögliche Datenschutz- und Sicherheitsverletzungen sowie Spionage. Cyber-Expositionen nehmen mit 5G signifikant zu weil 5G-Technologie auch für das "Internet der Dinge" benutzt werden kann. Dieses erhöhe die Anzahl potenzieller Schnittstellen, die für Hacker-Angriffe interessant sind, heißt es in einer Bewertung.