Schokolade herzustellen ist eine Kunst. Nun gehen die Forscher an die Grundbestandteile. Kakaobutter wird die optimale Fettstruktur eingeimpft, Mikroblasen sorgen für Cremigkeit und der Kakao – kommt er künftig aus dem Labor?
Zürich - Das leichte Knacken zwischen den Zähnen, das Schmelzen auf der Zunge, das Feuerwerk an Aromen. Ein gutes Stück Schokolade ist für viele ein Glücksmoment. Um es zu fertigen braucht es hochwertige Zutaten, viel Erfahrung und ein tiefes Verständnis von Chemie und Physik.
Maßgeblich ist die Kakaobutter, ein Gemisch von Triclyceriden. Diese können in sechs verschiedenen Kristallformen vorliegen, wobei fünf für Verdruss sorgen. Entweder bescheren sie eine niedrige Schmelztemperatur, was zu klebrigen Fingern führt, oder einen wachsartigen Geschmack. Am günstigsten ist eine Kristallform namens Beta V. Damit flüssige Schokolade beim Erstarren viele solcher Kristalle bildet, muss sie sorgsam abgekühlt werden.
Kündigt sich hier eine Revolution an?
Es könnte einfacher gehen, behaupten Forscher von der University of Guelph in Kanada. Man müsse der geschmolzenen Kakaobutter lediglich rund ein Tausendstel Phospholipide – genauer Phosphatidylcholin und Phosphatidylethanolamin – beimischen und sie dann rasch auf 20 Grad Celsius abkühlen. So erhalte man eine Schokolade mit „optimaler Mikrostruktur, Oberflächenglanz und mechanischer Festigkeit“, wie das Team um Alejandro Marangoni in „Nature Communications“ schreibt.
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Kündigt sich hier eine Revolution an? Der Traditionshersteller Lindt & Sprüngli reagiert zurückhaltend. „Nach unserer Erfahrung gibt es bis zur Anwendung in der Produktion noch einige Hürden zu überwinden“, sagt eine Sprecherin. In der Grundlagenforschung werde mit vereinfachten Modellen gearbeitet. „Bei der Praxisanwendung kommen viele Faktoren hinzu, etwa die Art der Kakaobutter, die Verwendung anderer Fette oder die Verfügbarkeit der Rohstoffe.“
Chocolatiers ist die Wirkung von Lecithin schon länger vertraut
Erich Windhab von der ETH Zürich forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten über Schokolade. Er sagt: „Dass Phospholipide die Kristallisation verbessern, haben wir schon 2010 gezeigt.“ Den empirisch arbeitenden Chocolatiers sei die Wirkung schon länger vertraut: Sie geben traditionell rund 0,3 Prozent Lecithin in die Schokomasse, um sie fließfähiger zu machen. „Lecithin ist ein Gemisch von Phospholipiden, die sind also bereits heute in der Schokolade drin“, erklärt der Forscher. „Neu ist, dass Marangonis Team zwei bestimmte Arten extrahiert und hinzugefügt hat.“
Ob dieser Ansatz industriell genutzt wird, bezweifelt er. Die Extraktion sei teuer und die Hersteller müssten zwei neue Inhaltsstoffe auflisten, die bisher nicht im Standardrezept für Schokolade stehen. Gut möglich, dass dafür eine gesonderte, aufwendige Zulassung nötig ist. Hersteller wie Lindt & Sprüngli dürften daher weiter jene Methode nutzen, die Windhab und Kollegen entwickelt haben. Dabei werden Kristalle vorab erzeugt und als „Impfkeime“ in die flüssige Schokoladenmasse gegeben auf dass sich dort möglichst viel Kakaobutter in der gewünschten Konfiguration anordnet. Die Schoko-Forschung an der ETH fokussiert auf „Genuss ohne Reue“ – weniger Fett und Zucker bei gleichem Geschmack. Die Wissenschaftler versuchen es unter anderem mit Mikroluftblasen, kleiner als ein Zehntel Millimeter. „Das fühlt sich im Mund an wie Mousse au Chocolat und reduziert die Kaloriendichte enorm“, sagt Windhab. Man esse dann auch nicht mehr als sonst, denn bei cremiger Konsistenz reiche eine kleinere Portion, haben die Forschungen ergeben.
Gesucht ist der Genuss ohne Reue
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An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften forscht man an einer besonders nachhaltigen Schokolade. Sie erübrigt den teils umweltschädlichen Anbau und langen Transport der Kakaobohnen. Der Rohstoff gedeiht im Labor. Er basiert auf Bohnen aus Puerto Rico. Die werden angeritzt und bilden einen Schorf, Kallus genannt. „Diese Zellen geben wir nach einer Vorkultur in einen Tank mit einem Rührwerk, dazu ein Nährmedium mit Mineralstoffen, Aminosäuren sowie Phytohormonen“, erläutert der Lebensmittelprozessentwickler Tilo Hühn. „Nach 28 Tagen können wir die kultivierte Zellmasse ernten und daraus Schokolade machen.“
Kakao aus dem Labor statt vom Baum
Es gehe ihnen nicht darum, die Kakaobauern ihrer Einkünfte zu berauben, sagt er. „Aber wir müssen mit unseren Ressourcen verantwortungsvoller umgehen und die Wertschöpfungsnetzwerke regenerativ umgestalten.“ Kakao aus dem Labor, „gefüttert“ mit Extrakten aus Zuckerrüben und Leguminosen aus zertifiziertem Anbau ums Eck sei allemal günstiger als Rohstoffe von anderen Kontinenten, für die Wälder weichen müssen und die mit Pestiziden besprüht werden. „Zum Ausgleich werden die Bauern in Südamerika an den Einkünften der Zellkultur-Schokolade beteiligt.“
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Im nächsten Schritt soll das Verfahren auf Industriegröße wachsen. „Für die Zellkultur braucht es nicht so viele spezielle Apparate“, sagt Hühn. „Das geht in einer modernen Brauerei.“ In zwei Jahren, schätzt er, ist die Technologie soweit. Dann kommt die Zulassungsprozedur. Der Forscher ist optimistisch. „Wenn wir das schaffen, könnte das einen Innovationsschub für die ganze Lebensmittelbranche sein.“
Der mühsame Weg von der Kakaobohne zur Schokoladentafel
Rösten
Kakaobohnen werden geröstet, bei rund 150 Grad Celsius bilden sich die typischen Aromen und die Schalen werden brüchig. Der Kakaokernbruch wird gemahlen. Dabei entsteht Reibungswärme, die die enthaltene Kakaobutter schmelzen lässt. Es entsteht ein intensiv duftender Kakaobrei. Diesem werden je nach Rezept Zucker, Milchpulver, zusätzliche Kakaobutter, Nüsse oder weitere Gewürze hinzugefügt.
Conchieren
Den zartschmelzenden Charakter erhält die Schokolade durch das Conchieren, 1879 von Rodolphe Lindt erfunden. Dabei wird die Masse geknetet und gerührt und auf bis zu 90 Grad erwärmt. Dadurch verdunstet Wasser, das sonst den gelösten Zucker auskristallisieren ließe.
Lecithin
Jetzt wird meist noch Lecithin hinzugefügt, damit die feinen Bestandteile nicht wieder verklumpen. Dann muss die Masse behutsam über längere Zeit abgekühlt werden.