Polizisten müssen mehr sehen und ertragen als Menschen in der Normalbevölkerung. Und manchmal ist dieses "mehr" einfach zu viel. (Symbolbild) Foto: Pixabay

Polizeibeamte sind oftmals mit schweren Straftaten konfrontiert, die auch bei ihnen seelische Spuren hinterlassen können.

Freiburg - Noch immer ist die Todesursache der 14-jährigen Ayleen aus Gottenheim bei Freiburg nicht endgültig geklärt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass das Mädchen offenbar tagelang tot im Wasser lag, bevor es gefunden wurde. Eine Tatsache, die man sich nicht vorstellen will und die für die Hinterbliebenen eine übergroße Belastung darstellen muss.

Starke seelische Belastung

Aber was passiert mit den Ermittlern, die in so einem Fall einen Leichenfund bearbeiten müssen? Der Freiburger Psychologe und Psychotherapeut Joachim Kepplinger beschäftigt sich mit der Frage, wie Polizisten die Belastungen ihres Jobs seelisch verarbeiten und wie ihnen geholfen werden kann, wenn ihnen Tod und Verbrechen über den Kopf zu wachsen drohen. Als Leiter des Instituts für Management und Personalgewinnung an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen befasst er sich mit Psychosozialem Gesundheitsmanagement und weiß: Polizisten müssen mehr sehen und ertragen als Menschen in der Normalbevölkerung. Und manchmal ist dieses "mehr" einfach zu viel.

Hilfe nötig

Polizisten haben das, was Kepplinger "ein erheblich erweitertes Weltbild" nennt: Schon in ihrer Ausbildung erleben sie an Tat- oder Unfallorten Dinge, die anderen Menschen erspart bleiben: "Polizisten haben ein anderes Weltbild als wir. Man darf nicht versuchen, sie psychologisch bei der Verarbeitung von Dingen zu unterstützen, die sie selbst als normal erleben." Manchmal erleben aber auch Ermittler Ausnahmesituationen: Etwa eine Massenkarambolage mit vielen Toten und Verletzten oder ein erweiterter Suizid, der eine ganze Familie auslöscht, Internet-Ermittlungen zu Kinderpornografie. Oder Einsätze, die aus irgendeinem Grund zu nah heranrücken an die persönlichen Lebensumstände der Beamten und sich so "der private Film und der berufliche Film" überlappen, wie Kepplinger es nennt. Solche Arbeitseinsätze können traumatisieren und machen Hilfe nötig.

Beratung auf Augenhöhe

Die Zeiten, in denen Polizisten frei nach dem Motto, ein Indianer kenne keinen Schmerz, mit ihren seelischen Nöten allein gelassen wurden, gehören der Vergangenheit an. Mittlerweile gibt es in jeder Dienststelle psychologisch geschulte Kollegen, an die sich Polizisten wenden können. Sie geben eine erste Beratung auf Augenhöhe und vermitteln weitere Hilfe. "Die Idee ist, dass es schnelle Hilfe und die Gesprächsmöglichkeit im Kollegenkreis gibt", so Joachim Kepplinger. Polizei sei "eine eigene Welt", in der es wichtig sei, "Insider" als psychologische Ersthelfer zu haben. Bei besonders drastischen Einsatzlagen werden die Kollegenhelfer automatisch an den Ort des Geschehens geholt. Hier sei es wichtig, die richtige Distanz zu wahren. "Die professionelle Rolle schützt die Beamten ja auch im Einsatz vor schwierigsten Eindrücken und Erlebnissen."

Der Dosis-Effekt

Bei der psychologischen Unterstützung für belastete Polizisten gehe man nach "einer Interventionspyramide" vor. Diese reicht vom kleinstmöglichen Gesprächsangebot, etwa die gemeinsame Abschlussbesprechung eines Einsatzes, bis hin zur Trauma- oder Psychotherapie für Ermittler mit Belastungsstörungen. Klar ist: irgendwann können auch ein erweitertes Weltbild oder psychologische "Krücken" wie Galgenhumor oder Zynismus nicht mehr über das hinweghelfen, was manche Tatorte an Schreckensbildern im Kopf eines Ermittlers hinterlassen. Das sei so, als laufe ein Krug über, in dem man immer wieder etwas eingefüllt habe, so Joachim Kepplinger: "Man nennt das auch den Dosis-Effekt."

Um zu sehen, ob ein Polizist Hilfe bei der Verarbeitung schlimmer Erlebnisse im Arbeitsalltag benötigt, setzen die Psychologen sogenannte "Screening-Bögen" ein, mit denen abgefragt werden kann, wie gut ein Polizist zehn Tage nach einem schwerwiegenden Einsatzgeschehen mit seinen Erlebnissen seelisch klarkommt: Ist eine Belastung noch spürbar? Bessert sich die Symptomatik oder hält sie an? Nach vier bis fünf Wochen gilt es zu entscheiden, ob es mehr braucht als die organisationsinterne Nachsorge, etwa die Überleitung in eine professionelle Psychotherapie stattfinden muss.

Ursprung im zweiten Weltkrieg

Wie gut oder schlecht ein Mensch generell mit traumatischen Erlebnissen zurechtkomme und inwieweit sie sein Leben beeinflussen, hänge aber auch sehr stark von jedem Einzelnen ab. Wird die Person angemessen sozial unterstützt, verfügt sie über angemessene Bewältigungsstrategien und eine psychische Widerstandskraft? Diese sogenannte Resilienz ist eine Art psychisches Immunsystem, so der Freiburger Psychotherapeut weiter. Die "Resilienzforschung" hatte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Ursprung in der Beobachtung, dass manche Holocaust-Überlebende es trotz erlittener Traumata unter der Nazi-Herrschaft später gut schafften, sich ein Leben aufzubauen, anderen gelang dies hingegen nicht.

Hilfsangebote in einer aktuellen Krise gibt es jedenfalls auch für sie, wie David Fritsch, Leiter der Stabstelle Öffentlichkeitsarbeit beim Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart betont: "Je nach Einzelfall stehen den Angehörigen verschiedene Hilfs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. So arbeiten beispielsweise Notfallseelsorger des Landes Baden-Württemberg eng mit Rettungs- und Hilfsdiensten zusammen und werden bei Bedarf hinzugezogen."