Bis 2040 will Baden-Württemberg klimaneutral werden. So werde das nichts, moniert nun der Klima-Sachverständigenrat, fordert ein drastisches Umdenken und hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, das es in sich hat.
„Nicht wirkmächtig genug“, „viel zu kleinteilig“ oder zu bürokratisch - das Urteil des Klima-Sachverständigenrats an der Klimaschutzpolitik der Landesregierung ist deutlich. Mit den bisherigen Erfolgen beim Klimaschutz könne nicht einmal das Zwischenziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent zu senken, erreicht werden.
21 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990
„Wir brauchen in allen Sektoren eine völlig neue Dimension der Treibhausgasminderung, sowohl was die jährlichen Minderungsmengen als auch was die Minderungsgeschwindigkeiten angeht“, sagte Maike Schmidt, Vorsitzende des Expertengremiums am Freitag in Stuttgart.
Lediglich um 0,4 Prozent sei der Ausstoß von Treibhausgasen im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Im Vergleich zum Jahr 1990 seien die Emissionen um 21 Prozent gesunken.
Wie sieht es in den einzelnen Sektoren aus?
Schlecht: Mehr Stromerzeugung aus Steinkohle
Energie:Besonders schlecht hat sich die Lage in der Energiewirtschaft entwickelt. Dort sind die Emissionen im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr sogar um rund 10 Prozent angestiegen. Als Grund nennen die Sachverständigen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise. Diese habe zu einer massiven Steigerung der Stromerzeugung aus Steinkohle geführt. „Damit wurde der seit dem Jahr 2018 erzielte Klimaschutzfortschritt in der Energiewirtschaft zunichte gemacht“, sagte Schmidt. Für den Klimaschutz sei das ein herber Rückschlag.
Die Klimaziele könnten in dem Sektor aber dennoch bis 2030 erreicht werden. „Hierfür sind zwei Dinge entscheidend: Erstens der Ausstieg aus der Steinkohle bis 2030 und zweitens der massive Ausbau von Windenergie und Fotovoltaik“, sagte Schmidt. Beim Ausbau der Fotovoltaik sei das Land auf einem guten Weg, in den Ausbau der Windkraft komme dagegen nur sehr langsam Dynamik. Um beide Technologien wie erforderlich auszubauen, brauche es etwa zusätzliche Flächen.
Industrie:Um zehn Prozent sind die Emissionen in der Industrie gegenüber dem Vorjahr gesunken. Was auf den ersten Blick nach einer guten Nachricht klinge, sei auf den zweiten Blick sehr kritisch zu sehen, sagte Schmidt. Ursache seien überwiegend Produktionsrückgänge wegen der Energiekrise und des Mangels an Rohstoffen.
„Die erzielte Treibhausgasminderung ist deswegen keine Folge aktiver Maßnahmen zum Klimaschutz“, so Schmidt. Klimaschutz durch Deindustrialisierung könne aber kein Ziel sein. Das Land müsse dringend neue Maßnahmen zur gezielten Unterstützung von Unternehmen bei der Transformation zu einer klimaneutralen Produktion ergreifen, fordern die Sachverständigen.
Im Gebäudemanagement muss noch mehr getan werden
Gebäude:Im Gebäude-Sektor gingen die Emissionen im vergangenen Jahr ebenfalls zurück - allerdings laut Expertenrat nur auf den Stand des Jahres 2014. Um das Ziel für 2030 zu erreichen, müsse sich der jährliche Einsparbetrag fast verfünffachen. Nach den Debatten um das Heizungsgesetz bräuchten Kommunen und Gebäudebesitzer nun Orientierung vom Land, wie die Wärmewende umgesetzt werden soll.
Finanzielle Förderprogramme sollten aus Sicht der Experten zudem mit mehr Geld ausgestattet und darauf ausgerichtet werden, eine sozial verträgliche Wärmewende zu fördern.
Der öffentliche Nahverkehr müsse noch wesentlich stärker gemacht werden
Verkehr:Sorgenkind bleibt weiter der Verkehrssektor. Dort sind die Emissionen im Jahr 2022 um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. „Von Treibhausgasminderung ist hier noch nichts zu erkennen“, kritisierte Schmidt. Lob bekommt die Landesregierung dafür, dass sie eine Strategie zur Verkehrswende hat. Damit könne die Trendwende gelingen.
„Die bisherigen positiven Ansätze müssen dazu aber noch deutlich weiterentwickelt werden. Klimaneutrale Mobilität, egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder dem Auto, muss noch deutlich konsequenter priorisiert werden“, sagte Schmidt.
Weniger Fleisch
Landwirtschaft:Auch in diesem Sektor gingen die Emissionen im vergangenen Jahr zurück, jedoch aus Sicht der Experten nicht genug. „Auch wenn die bisherigen Maßnahmen in die richtige Richtung gehen, lassen sie insgesamt die Konsequenz in der Umsetzung der notwendigen Transformation des Landwirtschaftssektors noch vermissen.
Ohne eine deutliche Verstärkung wird das Sektorziel 2030 hier verfehlt“, sagte Schmidt. So müsse etwa der Konsum tierischer Produkte reduziert werden, zudem solle der Verlust von Lebensmitteln stärker vermieden werden, raten die Experten.
Landesverwaltung:Anders als das gesamte Bundesland will die baden-württembergische Landesverwaltung bereits bis 2030 komplett klimaneutral sein. Aus Sicht der Experten ist sie dabei aber auf keinem guten Weg. „Die Landesverwaltung befindet sich nach unserer Analyse auf ihrem Reduktionspfad in einem erschreckend frühen Stadium„, sagte Schmidt. Vorhaben müssten schleunigst von der Planung in die Realisierung wechseln. Man wünsche sich mehr Ambitionen und eine stärkere Sensibilisierung der Beschäftigten.
Klimaneutral bis 2040
Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) betonte, dass die Klimaneutralität bis ins Jahr 2040 eine gesetzliche Aufgabe sei. „Alle Ministerien müssen sich dieser Aufgabe mit Elan und Ehrgeiz stellen – im Geiste einer Transformationskultur, die der Sachverständigenrat zu Recht einfordert“, sagte Walker. Neben eigenen Regeln müsse das Land auch Klimaschutzmaßnahmen des Bundes ergänzen, um schneller als dieser klimaneutral werden zu können.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einer schallenden Ohrfeige, die der Expertenrat der Landesregierung verpasst habe. „Grün-Schwarz verkündet immer wieder ehrgeizige Ziele für den Klimaschutz – tut aber viel zu wenig, um diese Ziele auch zu erreichen.“ Die FDP kritisierte, Grün-Schwarz verzettele sich im Klein-Klein. Die Koalition lasse wichtige Projekte wie die Abscheidung und Speicherung von CO2 oder die Geothermie links liegen, sagte Daniel Karreis, klimapolitischer Sprecher der Fraktion. red/