Andreas Renz am Bodenseeufer in Iznang, Moos, auf der Halbinsel Höri, wo er heute mit seiner Familie lebt. Foto: Sichtlichmensch/Andy Reiner

Auf dem Eis war keiner härter als Andreas Renz. Privat stürzte sich der ehemalige Kapitän der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft in eine Affäre nach der anderen, verliebte sich fremd. Dann fing er an, nach Erleuchtung zu suchen.

Im Herbst liegt der Bodensee da wie ein schlafendes Tier. Graue Regungslosigkeit, endlose Leere. Kaum vorstellbar ist seine sommerliche Lebendigkeit – die spritzenden Menschen im Wasser, ihre grellen Schreie, gedrängte E-Biker auf den Radwegen fast wie beim Boxauto. In der kalten Jahreszeit sind Wiese und Wege leer, die Wirtschaften geschlossen, die Bauern haben Kürbisse vors Haus gestellt. Kaum Licht überall. Das hat was Tristes. Vielleicht auch nur für den, der diese Leere nicht aushalten kann? Höri heißt die Halbinsel am westlichen See, an dem wir jetzt sind, der Ort nennt sich Moos, Teilort Iznang. Fünf Minuten vom Seeufer in einem Wohngebiet steht ein hellblaues Holzhaus, im Carport Fahrradanhänger und eine Tischtennisplatte, im Garten ein Spieltraktor. Andreas Renz, 46, im karierten Hemd und mit Bart, öffnet die Tür, fährt sich mit der Hand durchs Haar und flüstert, man möge leise sein, die Kinder sind beim Mittagsschlaf. Schwierige Zeiten, der Kleine werde gerade abgestillt.

 

Andreas Renz, der Eisen-Renz, einer der härtesten Typen in der Geschichte des deutschen Eishockeys, kennt sich gut aus mit den Stillzeiten von Sohn Mattis. Der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft, Star-Verteidiger der Schwenninger Wild Wings und der Kölner Haie, wechselt heute Windeln und guckt nachmittags in die leere Weite des Winterbodensees. Ja, warum auch nicht?

Er war immer hart zu sich selbst und fühlte nichts als nur diese Leere

Renz hat vier Kinder mit drei Frauen – alle sind befreundet! – und sich am Bodensee sehr häuslich eingerichtet mit Frau Veronika, einer Urbayerin aus Rosenheim mit lautem Lachen, die mal Model und Markenbotschafterin für Paulaner war. Ex-Frau Petra lebt mit dem dreizehnjährigen Sohn nur einen Ort weiter, und die sechzehnjährige Tochter mit ihrer Mutter Claudia in Köln – kommen aber oft vorbei.

Andreas Renz ist bereit, seine Geschichte zu erzählen, hat darüber sogar ein Buch geschrieben („Dein härtester Gegner bist du selbst“), betreibt einen Podcast zusammen mit seiner Frau und bietet Coachings an. Denn es sei ihm ja nicht immer so gut gegangen wie heute, sagt er. Es habe eine Zeit der Krise gegeben, da war er einfach nicht klar, zu schwach, vor allem auch wegen der Frauengeschichten. War immer hart zu sich selbst, und irgendwann fühlte er nichts als nur diese Leere, den Knoten in der Brust .

Renz glaubt, er habe schon als Kind gelernt, dass ihm Schwäche schade. Er wird mit sechs Fingern an einer Hand geboren. Die Mutter erzählt ihm später, dass sie deswegen geweint habe und der Finger gleich wegoperiert worden sei. Als Andreas fünf ist, wird der Vater psychisch krank. Der Sohn kann ihn nicht mehr erreichen. Ich bin Schuld, denkt er. Und ich kann den Vater nicht retten, weil ich zu schwach bin, nur ein Kind. Damals, glaubt Renz, habe er sich das Ziel gesetzt, nie mehr Schwäche zu zeigen, immer härter als die anderen zu sein. Vielleicht erzählt sich jeder selbst die Geschichte, die er braucht. Der Mensch findet gern Erklärungen, wenn er schon mal sucht.

Die Nase bricht er sich sieben Mal, das Knie ist kaputt, das Handgelenk auch

Andreas Renz ist zehn, als er das Fußballspielen aufgibt und beim Eishockey anheuert. Die anderen in seiner Mannschaft haben fünf Jahre Vorsprung im Training. Renz kann anfangs nicht mal Schlittschuhlaufen. Doch er macht das durch Härte wett, spielt jeden Tag, kann sich unglaublich quälen, liebt sogar genau das. Er fühlt sich ganz im Körper, sagt er. Eishockey findet er bodenständiger als Fußball: kein Fallenlassen, kein Drama.

Technisch ist der Renz nicht gerade genial, durch seine harte Spielweise, Überstunden beim Training setzt er sich durch, wird schon mit 17 Profi. In den folgenden Jahren bei den Schwenninger Wild Wings, bei den Kölner Haien und in der Nationalmannschaft spielt er viel, wird Rekordspieler. Egal ob krank oder verletzt, die Nase bricht er sich sieben Mal, das Knie ist kaputt, das Handgelenk gebrochen: Er steht auf dem Eis. Seine Frau, Physiotherapeutin und Jugendliebe Petra, zieht mit ihm von Schwenningen nach Köln und kriegt ihn jedes Mal wieder fit.

Doch dann beginnen die Affären. Renz ist Ende zwanzig, umschwärmter Star der Mannschaft, und er kann den Frauen einfach nicht widerstehen. Das sei ein Problem, sagt Renz, für die Männer: Macht, Geld und Frauen. Und keine Ahnung, warum man all das eigentlich wolle. Dann komme irgendwann der Absturz. Manchmal müsse man erst, so wie er, rock bottom hitten, also am absoluten Tiefpunkt ankommen, um zu checken, dass das doch alles nichts bringt.

Das ist die Sprache vom Renz. Und sie mag für manche phrasenhaft klingen. Aber was ist schon schlecht an Phrasen? Manchmal greifen sie direkter ans Herz als irgendein fein gesponnener Satz. Haben was Ehrliches. Renz spricht nicht unbedingt den Stadtakademiker mit Lastenfahrrad an. Aber all die anderen da draußen, die meisten also. Denen es leichter fällt, zu Heilungszwecken zusammen angeln zu gehen, am Bodenseeufer mal ganz laut zu schreien oder so lang wie möglich zwei Gewichte in der Luft zu halten – leichter, als bei der Psychoanalyse in einem Sessel zu sitzen und zu reden. Wie geht’s? – Was soll man darauf schon antworten? – Keine Ahnung!

Renz besucht damals einen Psychotherapeuten, merkt: Ich komme mit dem Kopf nicht weiter, ich muss es fühlen, es muss über den Körper gehen. Er glaubt, darum geht’s eh, aus dem Grübeln rauszukommen, weg vom Reden, rein ins Gefühl.

Er kann sich zwischen zwei Frauen nicht entscheiden, fühlt sich schuldig

Damals in Köln hat Renz eine Affäre nach der anderen, immer will er Sex und Spaß und Schmeichelei. Doch eines Tages, Renz ist 30, lernt er Claudia kennen. Renz verliebt sich. Was, um Himmels willen, macht man dann? Er ist tief zerrissen, fühlt sich schuldig, was soll aus seiner Frau werden? Er kann sich nicht entscheiden. Mit Petra hat er schließlich schon sein halbes Leben verbracht. Nach Claudia ist er ganz verrückt, würde am liebsten alles von ihr wissen und mit ihr teilen.

Dann wird Claudia schwanger, und damit beginnt etwas, was Renz später sein Doppelleben nennt. Er zieht zu Claudia. Doch einige Monate später wieder zurück zu Petra. So geht das über Jahre, immer hin und her: Claudia, Petra, Claudia, Petra. Dann wird auch Petra schwanger. Beide Frauen machen das Drama mit. Und bei beiden ist nun auch noch ein Kind, dem Renz in die Augen blicken muss. Heute könnte man das ein polyamores Lebensmodell nennen. Aber Renz meint, man habe sich was anderes, die Liebe nur mit einem Menschen gewünscht. Doch keiner sieht einen Ausweg. Renz denkt damals: Ich nehme die Verantwortung auf mich, uns das alles eingebrockt zu haben. Doch das Gefühl ist eben da, was soll ich tun?

Im Beruf funktioniert der Eisen-Renz einwandfrei. Mit enormem Kraftaufwand geht das noch einige Jahre. Doch eines Tages, so erzählt er es zumindest, joggt Renz in Rio am Strand entlang, bleibt plötzlich stehen und weiß: Kein Schritt geht mehr. Karriere beendet. Wer ist er ohne den Eisen-Renz? Spitzensportlern stellen sich solche Fragen deutlich früher als anderen.

Er besteigt den Kilimandscharo, geht ins Schweigekloster und zur Hellseherin

Andreas Renz macht sich wieder auf die Suche. Er braucht Lösungen, nicht nur für das Frauendrama. Er sucht nichts Geringeres als Erleuchtung. Irgendwo muss die doch zu finden sein. Renz besteigt den Kilimandscharo, liegt mit Höhenkrankheit zwei Tage im Koma. Er geht ins Schweigekloster und besucht Schamanen in Laos, lässt sich von einer Hellseherin sagen, was noch so kommt. Doch es hilft nichts. Die Erleuchtung ist nicht im Angebot.

Das Unterbewusste steuert uns mehr als der Verstand, hat Renz festgestellt. Und gibt wieder nicht auf, fängt an zu meditieren und besucht Seminare zur Selbstfindung. Irgendwann löst sich der Knoten, wie er sagt. In ihm kommen diese Gefühle hoch, und die sind echt unangenehm: Angst vor dem Verlassenwerden, Scham, Schuld, Ohnmacht. Vieles, glaubt er, stammt noch aus der Zeit des kleinen Jungen damals. Er fühlt den Minderwertigkeitskomplex. Nie gut genug sein. Eben alles, was der Eisen-Renz seit der Kindheit so gut in sich verschlossen hat. Jetzt darf es raus. Danach geht es ihm besser. Er beendet die Beziehung mit Petra und Claudia und damit die ungute Dreierkonstellation. Ein halbes Jahr später lernt er Veronika kennen.

Schläft der Eisen-Renz nur – genau wie der See hier im Winter?

Im Wohnzimmer der Familie Renz in Iznang spielen jetzt Silas,4, und Mattis, 2, Lego. Mattis kommt heulend angerannt: Hast du ihn geschubst, Silas? Immer weint einer. Ganz normaler Alltag einer Familie mit Kleinkindern also. Das ist nicht einfach – aber hat uns stärrrger g’macht, sagt Veronika und lacht ihr lautes bayerisches Lachen: Zumindest bilden wir uns des ein!

Ganz ironiefrei geht’s halt auch nicht. Andreas Renz glaubt, wenn er auf seine Geschichte blickt: Vielen Männern gehe es wie ihm. Da will er aufklären. Der Mann habe Jahrtausende lang keine Zeit für Gefühle gehabt, er musste kämpfen! Auf dem Schlachtfeld! Das sei in den Genen, nicht nur in der Erziehung. Deshalb so schwer loszuwerden. Er sieht sehr viele unglückliche Männer, sagt er. Man lenke sich ab, schufte, funktioniere, wolle es irgendwem beweisen – meist dem Vater. Dabei geht das nicht endlos, irgendwann klappt man zusammen. Dann muss man sich Hilfe suchen, hinsetzen und fühlen, sagt Renz. If you don’t feel, you don’t heal. Das klingt auf jeden Fall gut. Renz hat beim Angeln schon viele weinen gesehen.

Wenn der Renz so völlig ruhig über den stillen See schaut, könnte man fragen: Schläft der Eisen-Renz nur, genau wie der See hier im Winter? Was, wenn er eines Tages wieder erwacht? Andreas Renz weiß, dass der Eisen-Renz noch da ist. Manchmal zieht’s ihn weg vom See, eilig an seinen Schreibtisch, gleich neben den Turnringen der Kinder, und da hat er das Gefühl, verdammt, du musst was arbeiten, mach schon! Dann muss er sich selbst wieder einfangen, sagt Andreas Renz. Das Leistungstier.