Wohin geht sein Weg? Ex-Ministerpräsident Oettinger will Vorentscheidung treffen. Foto: Leif Piechowski

Am Anfang war die Skepsis groß, nun gibt es grenzübergreifendes Lob: Günther Oettinger hat sich als EU-Energiekommissar einen Namen gemacht. Gut möglich aber, dass er sich bald einen neuen Job sucht.

Stuttgart/Brüssel - Diese Woche in Stuttgart: Günther Oettinger ist zu Gast bei der „Media Night“ seines Freundes Christof Sage. Eigentlich steht der Gastgeber, von Haus aus Promi-Fotograf, an diesem Abend im Mittelpunkt des Interesses. Doch in Wahrheit fällt das Rampenlicht auf EU-Kommissar Günther Oettinger. Kein Moment, an dem er nicht Weggefährten trifft und über Politik im Kleinen wie Großen diskutiert. Keine Minute, in der nicht jemand ein Bild von ihm will, nach einem Autogramm fragt. „Sie bleiben mein Lieblingsministerpräsident“, sagt ein Unternehmer beim Small Talk mit dem Gast aus Brüssel. Oettinger huscht ein Lächeln übers Gesicht, kommentieren mag er solche Lobeshymnen nicht. Aber seine Mimik verrät: Es tut ihm gut.

Ein solcher Abend nährt stets aufs Neue die Spekulationen, Oettinger könne womöglich zur Landtagswahl 2016 als Spitzenkandidat der Südwest-CDU auf die landespolitische Bühne zurückkehren. Er selbst hat das nie wirklich dementiert, sondern allenfalls flapsig bemerkt, wenn, dann werde er für den Stuttgarter Gemeinderat kandidieren. Dass Oettinger in den nächsten Jahren Kommunalpolitik betreibt, ist freilich ausgeschlossen. Der Wunsch in der Partei nach seiner Rückkehr in die Landespolitik mag aber nicht verhallen. „Wir brauchen eine starke Führungsfigur, die bei den Leuten draußen ankommt und dem Duell mit Ministerpräsident Kretschmann gewachsen ist. Oettinger wäre dafür der richtige Mann“, sagt einer aus dem CDU-Landesvorstand. Seine Zweifel sind groß, dass Landesparteichef Thomas Strobl, Landtagsfraktionschef Peter Hauk oder Landtagspräsident Guido Wolf (alle CDU) gegen Übervater Kretschmann eine Chance hätten.

Doch Freunde raten Oettinger davon dringend ab. „Landespolitik darf er sich nicht noch mal antun“, sagt einer, der ihn lange kennt – zumal sich Oettinger im Vorfeld der Landtagswahl 2016 erneut einer Mitgliederbefragung stellen müsste wie weiland 2004. Damals gewann er das parteiinterne Rennen um die Nachfolge von Erwin Teufel gegen Annette Schavan. Das Problem: Fortan war die Südwest-CDU tief gespalten. Manche Gräben existieren noch heute.

Bin „jung genug, um noch fünf Jahre in die Industrie zu gehen“

Was also macht Oettinger? Fakt ist: Die Amtszeit der amtierenden EU-Kommission endet im nächsten Jahr. Im Oktober 2010 hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel binnen 48 Stunden nach Brüssel weggelobt, nachdem er in Baden-Württemberg als Ministerpräsident eher glücklos agierte. Oettinger selbst blühte in der neuen Aufgabe auf und hat in seiner Funktion als Energiekommissar an Statur gewonnen. Seit Monaten ist er permanent in der alten Heimat unterwegs. „Wir müssen neun von zehn Terminanfragen absagen“, heißt es in seinem Umfeld. Wo er auftaucht, füllt er Säle und begeistert Zuhörer. Im Oktober dieses Jahres wird er 60. Stellt sich also die Frage: Strebt er eine zweite Amtszeit in Brüssel an, oder wechselt er nächstes Jahr in die freie Wirtschaft? „Ich will mir im nächsten Monat mit meiner Lebensgefährtin, meinem Bruder, meiner Mutter, meinem Sohn und zwei oder drei Ratgebern aus der Wirtschaft Gedanken über meine berufliche Zukunft machen“, sagt er auf Anfrage der Stuttgarter Nachrichten. Er sei „jung genug, um noch fünf Jahre in die Industrie zu gehen“. Oettinger sagt aber auch: „Ich fühle mich auch in Brüssel sehr wohl, ich dränge also nicht raus.“

Das Sowohl-als-auch hat einen Grund: Oettingers Entscheidung wird auch vom Ausgang der Bundestagswahl in gut acht Wochen abhängig sein. Denn die Bundesregierung darf bestimmen, wen sie als deutschen Kommissar zur EU schickt. Und so werden in Brüssel derzeit drei Szenarien durchgespielt. Version eins: Schwarz-Gelb regiert in Deutschland weiter, dann kann Oettinger in Brüssel bleiben. Wenn er denn will. Version zwei: Es kommt auf Bundesebene zur Großen Koalition aus CDU und SPD. Viel deutet darauf hin, dass Oettinger dann in Person von Martin Schulz (SPD), derzeit noch Präsident des europäischen Parlaments, einen ernsthaften Konkurrenten um den Kommissarsposten bekommt. Version drei: Nach dem 22. September regiert Rot-Grün in Deutschland. Es gilt als sicher, dass Oettinger dann die Koffer packen muss und mit seiner Lebensgefährtin Friederike Beyer zurück nach Deutschland zieht.

„Vor allem der Bereich Wirtschaft, aber auch die Finanzen würden ihn reizen“, sagen Beobachter

Oettinger selbst lässt Sympathien erkennen, in der EU-Hauptstadt bleiben zu wollen. Eine weitere Tätigkeit in Brüssel sei „durchaus überlegenswert, zumal es in der nächsten Kommission nur wenig Kommissare geben wird, die schon in der jetzigen Kommission sind“. In der Tat, so heißt es in Brüssel, könnte Oettingers Bedeutung in der neuen Legislaturperiode ab Herbst 2014 noch wachsen. Der Grund: Zahlreiche seiner 27 Kommissars-Kollegen werden wohl nicht mehr berufen, weil sie von Regierungen entsandt wurden, die inzwischen abgewählt sind. „Da bleiben nur fünf oder sechs Kommissare übrig, die dann über große Erfahrung verfügen und die einflussreichen Posten in der Kommission übernehmen können“, sagt ein ranghoher Beamter.

Insider vermuten, dass Oettinger dann erneut für das Ressort Energie oder alternativ für die Bereiche Wirtschaft oder Binnenmarkt infrage kommt. „Vor allem der Bereich Wirtschaft, aber auch die Finanzen würden ihn reizen“, sagen Beobachter der EU-Szene. Zur Erinnerung: Schon zu seiner Zeit als Ministerpräsident waren das die Lieblingsthemen Oettingers. Er selbst hält sich in der Festlegung noch zurück und sagt nur: „Wenn die nächste Bundesregierung mich fragt, könnte ich mir vorstellen zu sagen, nochmals fünf Jahre zu machen.“ Die Landes-CDU wird also wohl vergeblich auf ihn als Hoffnungsträger warten.