Stuttgart - Aus dem Landesvater ist ein Landesgroßvater geworden. Am 4. September feiert Erwin Teufel seinen 70. Geburtstag bei guter Gesundheit und ganz nah bei sich - mit Familie und Freunden in seinem Heimatort Spaichingen. Der frühere Ministerpräsident bleibt sich treu.

Still ist es um ihn geworden. Wenig hört man von ihm. Schon gar keine Anmerkungen zur Tagespolitik. Wo ist er eigentlich? Erwin Teufel hat sich rar gemacht, das Politikerleben liegt hinter ihm. Er müsste zumeist in Spaichingen sein, am Fuß des Dreifaltigkeitsbergs, wo sich sein Lebensmittelpunkt befindet. Oder doch eher in München?

Dorthin war er gegangen, nachdem er 2005 sein Ministerpräsidentenamt widerstrebend und tief verletzt aufgegeben hatte, weil Teile der CDU nach 14 Amtsjahren ein neues Gesicht an der Spitze des Landes favorisierten. Teufel wollte sich nun der Philosophie widmen, den "letzten Fragen", dem, was Bestand hat. Immer schon hatte ihn neben dem Fakten- das Orientierungswissen fasziniert. Jetzt konnte er sich den Luxus leisten, die Gedanken, die er sich im Laufe seines Lebens neben dem politischen Tagesgeschäft gemacht hatte, systematisch zusammenzuführen. Der Luxus des Geistesmenschen.

Fünf Semester verbrachte Teufel an der Münchner Hochschule für Philosophie, ein fleißiger Student ohne Ambitionen auf einen Abschluss. Innere Erbauung - danach strebte er. Bezeichnend ein Selbstgespräch des bekennenden Katholiken, das er in seiner Autobiografie ("Gewissen für das Ganze") aus dieser Zeit protokolliert: "Als ich zum ersten Mal am Beginn des Semesters nach München fuhr, da fragte ich mich auf der Fahrt mit dem Auto: ,Was suchst du denn jetzt dort?' Ich antwortete mir spontan: ,Gott' und dann: ,den lebendigen Gott'." Glaube und Vernunft wollte Teufel an der Jesuiten-Hochschule zur Deckung bringen.

In München, wo er sich im Schnitt drei Tage die Woche aufhielt, ist er schon lange nicht mehr. Das Studium liegt hinter ihm. Wo ist er dann? Im Frühsommer dieses Jahres verbrachte Teufel einige Zeit am heimischen Schreibtisch, um seine Autobiografie zu schreiben, die er ursprünglich nicht schreiben wollte, weil er es ablehnte, "sich selbst herauszustellen". Außerdem lag bereits eine Teufel-Biografie vor. Michael Ohnewald und Thomas Durchdenwald hatten zu Teufels 65. Geburtstag den Lebensweg des Mannes nachgezeichnet, der als ältestes von acht Kindern "unter niederen Decken aufgewachsen ist und eine schier unglaubliche Karriere gemacht hat" - vom jüngsten Bürgermeister Deutschlands zum Staatssekretär und CDU-Fraktionsvorsitzenden bis zum Ministerpräsidenten BadenWürttembergs. Jemand, der oft gerufen wurde, der sich häufig aber auch selbst Gehör verschaffte. Anderen an Energie, Ehrgeiz, Beharrlichkeit, Pragmatismus und Sturheit überlegen.

Teufel schreibt - ein Gedanken-Konzentrat

Nein, sich selbst beschreiben wollte Teufel nicht - wohl schon aus Zeitgründen. Zum Sinneswandel trug bei, dass er feststellte, wie wichtig seine praktischen Erfahrungen und tieferen Einsichten für Jüngere sein könnten. Ein Buch für die Jugend wollte er hinterlegen, etwas zum Nachschlagen und Nachdenken über Europa, über notwendige Lehren aus der Nazi-Barbarei, über die Bedeutung des Rechtsstaats, über den Sinn von Politik, über Bürgernähe, über Verantwortung und Vertrauen. Herausgekommen ist so etwas wie Teufels Manifest, ein Gedanken-Konzentrat. Zwischen den Buchdeckeln fanden seine wichtigsten Einsichten und Glaubenssätze Platz. Und natürlich dürfen auch seine politischen Verdienste nicht fehlen - von der Bankenfusion bis zur Verwaltungsreform. Teufel original, gesprochenes Wort zu Buchstaben geronnen.

Man findet darin bestätigt, wie vielschichtig Erwin Teufel ist. Ein Bewunderer der Einfachheit, der zugleich die Komplexität des Lebens durchdringen möchte. Ein Mensch, der dem kleinen Mann mit gleichem Respekt und gleicher Ernsthaftigkeit begegnet, wie dem großen Philosophen. Ein Politiker, der es als höchste Auszeichnung seines politischen Lebens betrachtet, dass ihm eine Wahlanalyse 2001 bescheinigte: "In Baden-Württemberg ist die CDU die Partei der einfachen Leute."

Die tiefe Verehrung alles Bodenständigen reicht bei Teufel bis zur sozialromantischen Verklärung: "Die einfachen Leute wissen noch, wo das tägliche Brot herkommt, und sie leben nicht über ihre Verhältnisse. Sie haben noch Kinder, Freude an Kindern und delegieren nicht deren Erziehung." In "einfachen Leuten" erkennt sich der Bauernsohn wieder; sie sind seine eigentliche politische Basis. Deshalb lässt er sich auch gerne Landesvater nennen. "Die Bürger würden keinen kalten Manager, keinen Marktschreier, keinen Staatsschauspieler, keinen Showmaster, keinen Vielschwätzer, keinen Durchreisenden als Landesvater bezeichnen", meint Teufel und folgert daraus: "Auszeichnungen von unten sind noch wertvoller als Auszeichnungen von oben." Ein wichtiges Detail seines Selbstporträts.

Teufel zu Hause am Schreibtisch? Allzu lange hält es ihn dort nicht. Der Frühsommer ist vorbei und die Autobiografie fertig. Auch im Herbst seines Lebens ist Erwin Teufel unruhig wie eh und je. Nicht weil ihm die Ruhe fehlte, sondern weil ihn unendlich vieles umtreibt und seine Gesundheit es ihm erlaubt, dem vielen auch nachzugehen. Er könne jede Stunde dreimal vergeben, pflegte er als Regierungschef zu sagen. Daran hat sich wenig geändert. Teufel wringt aus seinem Leben, das am 4. September 1939 in einem Bauernhaus in Zimmern ob Rottweil begann, jede Sekunde aus. Frühes Aufstehen, Arbeiten, Wirken, etwas tun, bis spät in die Nacht hinein. Hätte er sieben Leben, er würde trotzdem keine Langeweile kennen. So aber muss er im positiven Sinne Zeit schinden, um sich selbst gerecht werden zu können.

Wo ist er nun gerade? "Jetzt bin ich wieder ganz im Land und habe alle Vorsätze, mich die ersten drei Tage der Woche zu Hause mit geistigen Fragen zu beschäftigen, längst über Bord geworfen, weil ich überhäuft werde mit Anfragen", schreibt er in seinem Buch. Das war zu erwarten. Auf eine Zusage zu einem Vortrag muss er zwei Absagen geben. Dazu prasseln Anfragen für die Mitarbeit in Stiftungen, Beiräten und Institutionen auf ihn ein. "Jetzt sind wir bei der Nummer 30", zitiert Teufel seine langjährige Sekretärin Hilde Troje. "Seitdem bremse ich, kann aber doch nicht in jedem Fall absagen."

Wo genau ist Teufel?

Die Liste der Ehrenämter und Aufgaben ist lang: Präsident des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Mitglied des Beirats der Stiftung Weltethos von Hans Küng, Mitglied des Deutschen Ethikrats, Mitarbeit im Konvent für Deutschland, Mitarbeit in der Geschwister-Scholl-Stiftung in München. Außerdem sitzt er in der Hertie-, der Konrad-Adenauer-, der Theodor-Heuss- und der Walter-Kaspar-Stiftung. Er arbeitet im Beirat des Kultur- und Dokumentationszentrums der deutschen Sinti und Roma mit, unterstützt Straßenkinder in Bolivien und die Schwangerenkonfliktberatung Donum Vitae. Und das ist längst nicht alles. Wo genau ist Teufel? Die Antwort lautet: ständig unterwegs und kaum weniger beschäftigt als in seinen Ministerpräsidentenjahren.

"Meine Lebensqualität wird nicht abnehmen, im Gegenteil, sie wird steigen", hatte Teufel 2005 bei seinem Abschied aus der Politik formuliert. Er hat wohl bewusst nicht "Freizeit" gesagt. Ausruhen, sich treiben lassen, das ist Teufels Sache nicht. Was er an Zeit hatte, investierte er in Aktivität. Nur einmal in seinem Leben gingen die Uhren anders. 1962, Teufel war frisch verheiratet und nach dem Besuch der Verwaltungsschule Haigerloch und erster Berufserfahrung im Landratsamt Rottweil zum Stadtoberinspektor in Trossingen gewählt worden, da hatte er tatsächlich das Gefühl, Zeit zu haben. Rückblickend beschreibt er den Trossinger Lebensabschnitt als den einzigen, in dem "wir unbegrenzt füreinander Zeit hatten und nach der Arbeit den Feierabend genießen konnten". Danach folgte viel Abwesenheit. Ohne das große Verständnis der Ehefrauen, meint Teufel, sei kein öffentliches Amt zu bekleiden. Das Verständnis seiner Frau ist groß. 47 Jahre sind Erwin und Edeltraud Teufel verheiratet; sie haben vier Kinder und sieben Enkelkinder. "Meine Zeit in der Familie war kurze Zeit, aber erfüllte Zeit", stellt er fest. Teufel bereut nicht, für die Arbeit am bonum commune, am Gemeinwohl, außer Haus gewesen zu sein.

Wo ist Erwin Teufel? Am liebsten sieht er sich "bei den Menschen". "Politik muss die Sprache der Menschen sprechen, sonst erreicht sie die Menschen nicht." Ein typischer Teufel-Satz, inklusive Seitenhieb auf die abgehobene Form von Politik, die er nicht mag. Es passt zu seinem Selbstbild, dass der öffentliche Teil seines 70. Geburtstags an diesem Freitagabend nicht mit großen Reden in Stuttgart begangen wird, sondern in kleinem Rahmen in seinem Heimatort Spaichingen - mit Familie, Freunden und der Bürgerwehr. Dort ist Erwin Teufel. Bei sich.