Der Prozess am Landgericht Düsseldorf soll bis August dauern. Foto: dpa

Männer wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Angeklagte unter anderem aus VS und Freudenstadt.

Freudenstadt/Düsseldorf - Neuer "Dienstherr", alte Methoden? Vor dem Düsseldorfer Landgericht hat am Freitag ein Prozess gegen vier Mitglieder einer "christlichen" Rockervereinigung begonnen.

Die "Apostel", teils einschlägig vorbestrafte Ex-Mitglieder der "Black Jackets", stammen aus Freudenstadt, Villingen-Schwennigen und Tuningen. Was ihnen die Staatsanwaltschaft vorwirft, klingt grotesk und nicht gerade nach gelebter Bergpredigt: versuchter Totschlag. "True Life" nennen sich die Rocker, "Wahres Leben". Sie sollen einer Freikirche angehören und im Raum Schwarzwald-Neckar einen neuen Motorrad-Club aus der Taufe gehoben haben.

Präsident ist Turgay Y. (36) aus dem Kreis Freudenstadt, früher Chef der "Black Jackets". Nach rund zehn Jahren Knast konvertierte Y. vom Islam zum Christentum, gründete einen neuen Club und ist nach eigenen Angaben jetzt in christlicher Mission unterwegs. Auf einem musikuntermalten Video im Internet ist Y. als Besucher in einem Gefängnis in Südamerika zu sehen, in dem sich Gefangene taufen lassen, beten und begeistert in die Hände klatschen. Neue Hoffnung für gefallene Engel durch geläuterte Kriminelle? Die Rocker – Kutte, Patches, Vollbart und breites Kreuz – tragen Pullis mit dem Aufdruck "Army of God". Die selbsternannte "Armee Gottes" gilt in Amerika als christlich-fundamentalistische Terrororganisation, die unter anderem Bomben- oder Brandanschläge auf Kliniken verübte, in denen Abtreibungen vorgenommen werden.

"True Life" nahm auch im Schwarzwald Tauffeiern vor. Ansonsten spricht "Evangelist" Turgay Y. zu seiner "Gemeinde" gerne per Internetpredigt und das in sehr unkonvetionellen Worten ("Bla,bla,bla..."). Die "Kirche" soll um die 30 Mitglieder haben, in sozialen Medien um die 10 000 Fans. Y. wünscht gerne mal Weisheit und Gottes Segen. 2014 veröffentlichte Y. sogar ein Buch über seinen Wandel vom Rocker-Chef zum Jesus-Jünger.

Liebenswerte Kerle, die missionieren, und nun mal ein wenig bullig aussehen?

Die Kripo sieht das anders. In Ermittlerkreisen gilt "True Life" als "ganz heiße Kiste". In Düsseldorf müssen sich die vier Rocker im Alter zwischen 24 und 36 Jahren wegen versuchten Totschlags verantworten. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft am 28. August vorigen Jahres versucht haben, ein abstrünniges Mitglied ihrer "Kirche" zu töten, falls es keine Reue zeige. An der dortigen evangelischen Johanneskirche warteten sie nachts um 0.30 Uhr auf das verlorene Schaf, früher ebenfalls Mitglied der "Black Jackets". Dabei hatten sie eine Pistole, ein Messer und Reizgas.

Drei Mal soll Turgay Y. mit der Pistole Kaliber neun Millimeter auf den Mann gezielt und abgedrückt haben. Doch die Waffe hatte laut Ermittlungsergebnissen Ladehemmung. Die drei Mitangeklagten sollen ihr Opfer, ebenfalls Konvertit und wegen eines Tötungsdelikts vorbestraft, mit Reizgas, Flaschenhieben und Messerstichen in den Brustkorb verletzt haben. Der 24-Jährige überlebte nach einer Not-Operation. Hintergrund des Streits sollen "Glaubensfragen" gewesen sein. Turgay Y. schwieg vor Gericht.

Nur einer der vier Rocker machte Aussagen und gab an, mit einer Flasche hingelangt zu haben – um dem 24-Jährigen das Messer aus der Hand zu schlagen. Das Landgericht Düsseldorf hat 14 Verhandlungstage angesetzt. Am 21. Juni geht der Prozess weiter, das Urteil soll nach derzeitiger Planung Ende August fallen. Beim Prozessauftakt dabei war auch ein Schweizer Pfarrer, Patrick Altendorf, mit dem sich Y. laut Schweizer Medien ebenfalls einen Disput im Internet um "Glaubensfragen" lieferte. Der Pastor einer schweizerisch-brasilianischen Gemeinde in St. Gallen und Altstätten behauptet, Y. habe "20 bis 30 Frauen missbraucht".

Altendorfer war bei einem Angriff im September durch einen vermummten Täter mit Eisenstange und Messer schwer verletzt worden. Dessen Einschätzung zu "True Life": Das Christentum sei nur Deckmantel für eine "kriminelle Vereinigung." Prozessbeobachter rieben sich verwundert die Augen. Die Westdeutsche Zeitung schreibt von einem "der bizarrsten Prozesse" vor dem Langericht Düsseldorf überhaupt. Im Gang hätten drei Frauen gesessen und "Hallelujah" gesungen.

Am Rande des ersten Prozesstags kam es zum Eklat. Ein Verwandter von Y. und ein Zuschauer gerieten in Streit, Justizbeamte gingen dazwischen. Drei Tage vor dem Prozessauftakt hatte Turgay Y. per Facebook seine Anhängerschaft und Gegner dazu "eingeladen", ins Gericht zu kommen – mit Ort und Uhrzeit. Es sei der wichtigste Verhandlungstag. Das Opfer sei auch da. "Ich freue mich mit euch diese Freude zu teilen. Ohne viele Worte, Tag der Abrechnung und Gerechtigkeit soll widerspiegeln auf den der uns alles geschenkt hat. Jesus Christus! P.S.: die Verfügung des Gerichts ist beigefügt, dass ihr alle ja den Ausweiß nicht vergesst."