Blühende Streuobstwiesen erfreuen Wanderer am Fuße des Plettenbergs im Gewann Viehtrieb in Dotternhausen. Foto: Schatz Foto: Schwarzwälder Bote

Natur: Streuobstwiesen bieten derzeit ein buntes Bild und gewinnen zunehmend auch an ökologischer Bedeutung

Spaziergänger und Radfahrer erfreuen sich derzeit im Oberen Schlichemtal an dem faszinierenden Naturerlebnis, das die blühenden Obstbäume auf den Streuobstwiesen bieten.

Dotternhausen. Die Streuobstwiesen bieten aber auch für viele Insektenarten einen wichtigen Lebensraum. Der Rückgang der Artenvielfalt hat das Augenmerk vor allem auf die Bestäuberinsekten gelenkt. Der erste Gedanke gilt der Honigbiene, deren Völker von Imkern gepflegt werden. Vor allem aber bei Wildbienen und anderen Insekten sind erhebliche Rückgänge einzelner Arten zu beobachten.

Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen ganz Mitteleuropas. Sie bieten beste Voraussetzungen für eine hohe Artenvielfalt. Mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten leben auf einer Streuobstwiese. Je nach Bodentyp kommen unterschiedliche Pflanzengesellschaften vor. Die vielen Pflanzenarten locken wiederum viele Tierarten an: Insekten, kleine Säugetiere, Amphibien und Reptilien. So reiht sich ein Kleinbiotop ans andere. In der "oberen Etage" (Baumkronen) bieten die Obstbäume Steinkauz, Wendehals, Grün- und Buntspecht Quartier. Im alten Obstbaumgehölz finden Fledermäuse und Siebenschläfer Unterschlupf, unter den Rindenritzen im Baumstamm können sich Hornissen einnisten.

"Streuobstwiesen gelten zudem als Arche Noah für alte Obstsorten", sagt Kreisfachberater Markus Zehnder. Mehr als 1200 Apfelsorten, 1000 Birnensorten, 250 Kirschsorten und 320 Zwetschgensorten sind bekannt. Sie schmecken nicht nur aromatisch, sondern tragen auch ausgefallene Namen wie "Schafsnase", "Gute Luise" oder "Lederhosenbirne". Auch die Walnuss und der Speierling sind typische Bäume, die auf Streuobstwiesen zu finden sind.

Obstwiesen erfordern freilich eine gewisse Pflege, die zugleich Ausgleich zum Berufsalltag und sportliche Betätigung ist. "Hier kommen Gesundheit und Landschaft, Natur und Kultur zusammen." In den vergangenen 40 Jahren habe die Anzahl der Obstbäume kontinuierlich abgenommen und viele "Stückle" würden nicht mehr gepflegt, weiß Zehnder. Auch genieße die Bewirtschaftung nicht mehr die gleiche Wertschätzung wie noch vor Jahren und wird teilweise aufgegeben. Einst boten die Obstwiesen ihren "Gütle-Besitzern" frische Früchte im Sommer, Obst und Beeren zum Einmachen für den Winter, Most und Destillat, Brennholz sowie Gras und Heu für das Vieh. Das damalige Nutzungsinteresse, auch aus der Not heraus geboren, ist weggefallen.

Trotzdem hätten die Obstwiesen eine Zukunft, sagt Zehnder. Als Erholungsräume gewännen sie ebenso an neuer Bedeutung wie auch in ökologischer und sozialer Hinsicht. Zahlreiche Vereine veranstalten Blütenfeste, Wanderungen, Mostfeste und anderes mehr. Obstgarten und Streuobstwiese seien Bioladen, Klimaschutzzentrum (CO2-Speicher), Picknickplatz sowie Start- und Landeplatz vieler Zugvögel und dienten zudem dem Boden- und Grundwasserschutz. Immer noch gelten Streuobstwiesen als stark gefährdet.

Die Baumfachwartevereinigung Zollernalb mit ihren Vorsitzenden Hans Jürgen Snackes (Balingen) und Herbert Beiter (Rangendingen) setzen sich intensiv dafür ein, dieses "lebendige Natur- und Kulturerbe" zu bewahren. Dazu gehört auch der fachgerechte Baumschnitt. Der sei notwendig, sonst würden die Bäume früh vergreisen. Zweimal im Jahr müsse gemäht und das Obst im Herbst geerntet werden. "Was früher selbstverständlich war, ist heute zur zeitintensiven und unrentablen Herausforderung geworden", betonen sie. Doch mittlerweile würden sich wieder viele Menschen auf den Wert regionaler Erholungsräume besinnen. Vielleicht bewirke auch hier die Coronazeit ein Gutes, indem die Verbraucher mehr Wert auf landwirtschaftliche und heimische Bioprodukte legten.

Baumfachwarte und Naturliebhaber sind sich klar darüber, dass sie beim Schneiden der Bäume indirekt ihren Vorfahren die Hand geben, die die Bäume einst gepflanzt haben. Und wer Bäume pflanze und pflege reiche die Hand seinen Kindern, Enkeln oder Urenkeln, die man vielleicht nie kennenlernen werde, die später aber ebenfalls Freude an den Obstbäumen haben werden.