Am alten Platz, in neuem Zustand: Ingrid Hartliebs Holzplastik vom Symposion zur 1200-Jahr-Feier. Foto: Rörsch

Unbedachte Kurvenfahrt eines Lkw kappt Stele. Keine gute Zeit derzeit für Kunst in Deißlingen.

Deißlingen - Wenn’s kommt, dann kommt’s dicke. Nicht nur, dass der Kreisel geräumt ist, ein Laster hat auch die Holzplastik an der Ecke Kirchbergstraße/Unterhofen flachgelegt. Keine gute Zeit derzeit für Kunst in Deißlingen, so scheint es. Der Stamm, den die Stuttgarter Bildhauerin Ingrid Hartlieb im September 2002 künstlerisch krönte, liegt jetzt nur ein paar Meter von dort entfernt, wo er in Vorbereitung auf das Symposion "Kunst ins Ort" anlässlich der 1200-Jahr-Feier gelagert worden war. Gravierender Unterschied: Im Sommer 2002 hatte die Künstlerin einen Plan für eine Arbeit, die sie daraus machen wollte. Die Arbeit ist längst "fertig" – in konkretem wie zwischenzeitlich auch übertragenem Sinne. Nimmt ein Kranlaster ein bisschen zackig die Kurve, und aus ist’s. Ein Fingerzeig?

Wie man’s nimmt. Als die bemerkenswerte Plastik am Neckar fiel, weilten die vier mannshohen Stelen von Wendelin Matt unbehelligt auf dem Kreisel Richtung Laufen – wo übrigens zuvor eine "Doline" von Hartlieb das Entree gebildet hatte –, bis sie planmäßig abgebaut und genauso planmäßig inzwischen auf dem Skulpturenfeld "KUNSTdünger" in Rottweil-Hausen wieder aufgebaut wurden.

Da auch die Arbeiten von Jörg Bach, die Stahlplastik am Friedhof, Hans Michael Franke, das Ensemble von Steinen im Bächle bei der Laurentiuskirche, Joseph Bücheler, die großen Segel aus gebrauchten Zinkdruckplatten an Peitschenmasten am oberen Ende von Kirchberg- und Bahnhofstraße, und Ilse Teipelke, die mit dem "Deißlinger Brüstle" und dem in ihm geborgenen Schatz eine Brücke aus der Vergangenheit in eine menschliche Zukunft schlägt, relativ intakt wirken, ist es um die ästhetische Entwicklung wohl doch nicht so schlimm bestellt.

Der doppelte Fall bietet sich, lässt man den Kreisel außer Acht, nebenher als Anlass zu einer Rückschau an. Der Bauhof, der das gekappte Objekt gesichert und versorgt hat, war auch 2002 involviert. Dass da eine durchaus feinsinnige Bildhauerin hoch oben mit handspannenlangen Schrauben auf einem wackligen Gerüst hantierte und anschließend die aus Stücken zusammengesetzte Krone, die ja Hüterin der Geschichte jedes einzelnen Stückes ist, mit viel Ausdauer überschliff und mit Wachs behandelte, beeindruckte die Schaffer. Eine Einladung brauchte es nicht, eine Aufforderung schon gar nicht. Sie boten ihre Hilfe an. Es war nur eines jener bedenkenswerten Ereignisse, die das Symposion 2002 zu einer Begegnung – und Kooperation – zwischen Künstlern, insbesondere aber auch zwischen Kunst, Künstlern und Öffentlichkeit machte.

Als Dankeschön – auch da gilt: es gab keine Forderung, doch Ingrid Hartlieb wollte sich irgendwie erkenntlich zeigen – lud die Künstlerin die Bauhofmitarbeiter und ihre Kollegen zum Weißwurstfrühstück in "de Bäre" ein und begründete damit, unwissentlich und ungewollt, eine kleine Tradition.

Das ist Geschichte, nachzulesen in der Dokumentation, die auf dem Rathaus übrigens immer noch erhältlich ist. Der Rost hat sich an Bachs Arbeit inzwischen zu einer homogenen Patina geschlossen, die Behandlung mit obschon recht zäher Farbe, die Bücheler seinen Segeln angedeihen ließ, wurde von der Witterung erst verändert und zwischenzeitlich getilgt. Nach wie vor gibt ein halbamtliches Dokument Aufschluss über Inhalt und Funktion des "Deißlinger Brüstle" – für den Fall einer Hungersnot. Die Steine trotzen immer wieder Moos und Frost. Ingrid Hartliebs Arbeit hat die Zeit trotz Wachs auch auf der rindenlosen Oberfläche zugesetzt. Die Nägel, die die Stele im Sockel verankerten, haben Feuchtigkeit ins Holz kriechen lassen. Kunst ist eben auch an Zeit gekoppelt. Im Zweifelsfall, wenn der Transformationsprozess abgeschlossen ist, bleibt die Erinnerung an die Ästhetik des Werks. Wenn die Erinnerung bleibt, war’s in aller Regel eine dauerhaft gültige Ästhetik, ein gelungenes Kunstwerk.