Glücklich werden – danach streben fast alle Menschen. Der Psychiater und Angstforscher Borwin Bandelow gibt Tipps, wie wir unser Belohnungssystem im Gehirn auf gesunde Weise selbst aktivieren können.
Der Psychiater und Angstforscher Borwin Bandelow beschreibt in seinem neuen Buch „Das Endorphin-Prinzip“ auf Basis des aktuellen Forschungsstandes in der Hirnforschung wie wir glücklicher werden. Was wir selbst tun können und warum Glück nur zu einem kleinen Teil von äußeren Einflüssen abhängt, erklärt er im Interview.
Herr Bandelow, in Ihrem neuen Buch geht es darum, wie wir mehr Glück im Leben empfinden können. Was ist das Endorphin-Prinzip?
Das Buch beruht darauf, durch welche Dinge unsere Gehirn Glückshormone ausschüttet und wodurch unser Belohnungssystem angeregt wird. Im Kern sind dies Essen und Sex. Und wenn unser Hirn mit diesen Endorphinen geflutet wird, fühlen wir uns gut. Das ist von der Natur so angelegt, denn Ernähren und Vermehren halten die Welt am Laufen.
Nun sind die Möglichkeiten bei Essen und Sex ja begrenzt. Gibt es noch andere Möglichkeiten, um unser Belohnungssystem anzukurbeln?
Eine gesunde Möglichkeit ist Sporttreiben. Beim Sport denkt der Körper, er ist auf der Flucht. Deshalb werden dabei Endorphine ausgeschüttet. Aber auch Liebe, Geborgenheit und Wärme, Lachen mit Freunden oder der Familie sind wichtig. Ebenso schöne Musik. Auch das Kuscheln mit einem Hund löst in Menschen Glücksgefühle aus.
Also müssen wir konsequent auf die Glücksauslöser zurückgreifen?
Ja genau! Und es geht auch darum, auf die schädlichen, teuren und kurzfristigen Methoden zu verzichten und sie durch gesunde und förderliche zu ersetzen. Ich sage immer, unser Belohnungssystem ist auf dem geistigen Niveau eines Kartoffelkäfers. Wir können es leicht täuschen. Wenn wir zum Beispiel einen schönen Liebesfilm schauen und darin küssen sich zwei Menschen, dann bildet sich unser Gehirn ein, dass wir ein Part davon sind, und es schüttet Endorphine aus.
Liebe, Musik, Sex, Sport – das sind ja nun alles ganz banale Dinge, die jeder kennt. Warum sind dann trotzdem so viele unglücklich in ihrem Leben?
Das ist eine gute Frage. Viele haben das Glück vor der Nase, aber sehen es nicht.
Lassen sich viele lieber von kurzfristigen Glücksbringern verführen?
Ja, sie greifen auf schädliche Dinge zurück, die kurzfristig sehr starke Glücksgefühle auslösen, aber uns langfristig eher schaden, wie Drogen oder Glücksspiel. Morphin zum Beispiel ist das künstliche Endorphin, es wirkt direkt auf unser Belohnungssystem. Ein Heroinschuss, dies berichten Abhängige immer wieder, kann höchste Glücksgefühle auslösen. Viele sagen, das ist so ein schönes Gefühl, das will man immer wieder haben. Und dann ist man aber sofort drin in der Sucht. Auch bei Spielsucht ist es dasselbe. Süchtige haben ein Problem mit ihrem Belohnungssystem. Auf der Jagd nach Endorphinen schalten sie ihr logisch denkendes Gehirn aus. Der gleiche Mechanismus greift übrigens auch, wenn Menschen auf Irrglauben und Hirngespinste wie Verschwörungstheorien hereinfallen – auch das löst aus verschiedenen Gründen Glücksgefühle aus.
Menschen mit Depressionen sind oft nicht mehr in der Lage, Glück zu empfinden. Funktioniert das Belohnungssystem da nicht mehr?
Es gibt Menschen, die haben depressive Gefühle aufgrund von äußeren Ereignissen wie Schicksalsschlägen. Aber dann gibt es auch die, die haben einen guten Mann, ein nettes Haus, einen tollen Job und auch sonst stimmt alles im Leben, aber trotzdem sind sie depressiv. Da gehen wir davon aus, dass die Biochemie im Gehirn nicht stimmt. Aber bei Depressionen ist nicht das Belohnungssystem schuld, sondern das Serotoninsystem. Aber Depressionen kann man heute trotzdem sehr gut behandeln.
Was ist da die beste Methode?
Die üblichen Methoden zur Glückshormonausschüttung funktionieren bei Depressionen oder auch Angsterkrankungen häufig nicht. Es nützt nichts, diesen Patienten Ostfriesenwitze zu erzählen. Oder auch ein schöner Urlaub hilft da oft nicht, auch wenn das Depressiven oft geraten wird. Die beste Methode ist eine Kombination aus Medikamenten, die den Serotoninhaushalt bessern und einer Psychotherapie.
Viele Menschen sind unglücklich, weil sie psychisch krank sind. Für andere ist es ein Unglück, ohne Partner zu leben. Auch dazu haben sie Tipps.
Ja, eine der häufigsten Ängste ist dabei die Furcht, überhaupt keinen Partner zu finden. Natürlich kann ich keine todsicheren Tipps geben, mit denen Singles auf jeden Fall Liebesglück finden. Aber natürlich ist es kontraproduktiv, wenn man nach Feierabend zum Beispiel allein zu Hause sitzt. Man muss aktiv werden, auf Partys gehen, in einen Verein, auf Vernissagen oder Konzerte, um die Chance zu erhöhen, jemand kennen zu lernen.
Bei vielen funktioniert dies nicht.
Häufig leiden Singles auch unter einer sozialen Phobie. Sie nehmen sich selbst als unattraktiv wahr oder denken, sie können nicht gut reden. Sie sind gehemmt und denken, keiner interessiert sich für sie. Da muss man dann erst an sich selbst arbeiten.
Aber was hilft über das unglücklich sein hinweg solange man alleine lebt?
Dann muss man sich häufig erst einmal selbst trösten, auch ein warmes Bad oder ein Liebesfilm oder -roman schütten zum Beispiel Endorphine aus. Das hilft nicht langfristig, weil einen das auf Dauer über das Alleinleben nicht hinwegtröstet. Dann ist es wichtig, auch neue Wege zu gehen und zum Beispiel intensiv übers Internet zu suchen. Ich kenne einige glückliche Pärchen, die sich über Dating-Apps kennengelernt haben, die sich sonst niemals über den Weg gelaufen wären in ihrem Leben.
Viele versuchen, dem Glück nachzuhelfen. Sie geben eine Menge Geld für Coaches, Ernährungsberater und Trainer aus, die ihnen zeigen, wie ihr Leben noch besser wird. Hilft das wirklich?
Ich rate immer: ‚Werde dein eigener Mentaltrainer‘. Als Chefarzt habe ich viel Zeit sinnlos in Seminaren von irgendwelchen Führungskräfte-Trainern ohne Studienabschluss verbracht, die einer Gruppe von Chefärzten Zeitmanagement vermitteln wollten.
Der Markt dafür ist inzwischen recht groß und uferlos.
Was all die Supervisor, Mentaltrainer, Hypnotherapeuten oder Feelgood Manager gemeinsam haben, ist eines: Sie haben viel Selbstbewusstsein. Die meisten verfügen nicht einmal über eine psychologische Ausbildung, aber sie verkaufen sich und ihr Halbwissen äußerst charismatisch und selbstbewusst.
Liegt das auch daran, dass viele Leute heute sehr verunsichert durchs Leben gehen?
Ja! Viele haben soziale Ängste oder sind allgemein Bedenkenträger. Sie glauben, jemand anderes weiß genau, wie das Leben funktioniert. Deshalb sollte man lernen, selbstbewusst zu sein und sich zu vertrauen. Die anderen wissen nicht immer alles besser.
Zur Person
Leben
Borwin Bandelow, geboren 1951, ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeut sowie Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen. Er gilt als international anerkannter Experte für Angsterkrankungen.
Werk
Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem „Das Angstbuch“, „Wenn die Seele leidet“ und aktuell „Das Endorphin-Prinzip“. Er gilt zudem als Erfinder des Ostfriesenwitzes. (nay)