Durch das Pandemie-bedingte enge Zusammenleben haben immer mehr Paare Beziehungsprobleme. Das kann zu gewalttätigem Verhalten führen. (Symbolbild) Foto: wavebreakmedia/ Shutterstock

Homeoffice, Ausgangssperren und die Einschränkungen sozialer Kontakte: Die Lockdowns haben den Alltag vieler Menschen stark verändert. Vor allem das Zusammenleben von Familien und Paaren wird dadurch beeinflusst - und bereits vorhandene Konflikte werden oft verstärkt.

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Rottweil/VS-Villingen - Ob sich durch die Lockdowns mehr Menschen scheiden lassen, kann jedoch noch nicht gesagt werden. Die genauen Zahlen liegen erst in etwa einem Jahr vor. Doch viele Rechtsanwälte verzeichnen bereits jetzt eine erhöhte Nachfrage von Menschen, die sich trennen wollen. Das bestätigt auch der Rottweiler Rechtsanwalt Kilian Schmidt.

Er habe seit der Pandemie etwa ein Drittel mehr Anfragen als zuvor. "Besonders auffällig ist, dass sich viele Paare scheiden lassen wollen, die erst ein oder anderthalb Jahre verheiratet sind", berichtet er. Vermutlich liege das daran, weil die Paare durch die Lockdowns plötzlich sehr viel mehr Zeit auf engem Raum miteinander verbringen müssen und das nicht gewohnt seien, spekuliert Schmidt. Auch gebe es mehr Zugewinnverfahren, was der Anwalt auf mögliche finanzielle Ängste, die durch die Pandemie ausgelöst werden, zurückführt. "Viele wollen einfach wissen, was ihnen eigentlich zusteht. Oft wird sich dann aber trotzdem einvernehmlich geeinigt."

Jugendamt muss Kinder oft sofort aus Familien nehmen

Auffällig sei außerdem, dass viele Kinder sehr schnell durch das Jugendamt aus Familien genommen werden müssen, weil sie Opfer häuslicher Gewalt wurden. "Die Früherkennung fehlt einfach", erklärt der Anwalt. Oft werden Erzieher oder Lehrer auf solche Vorkommnisse aufmerksam oder die Kinder sprechen sie direkt an, sagt er weiter: "Dieser Vorwarneffekt fehlt momentan." Auch zwischen den Paaren gebe es natürlich häusliche Gewalt und dadurch einen Anstieg bei den Schnellverfahren.

Ein Thema sei auch das Umgangsrecht: Es gebe durchaus Fälle, bei denen beispielsweise die Mutter den Vater die gemeinsamen Kinder nicht sehen lassen wolle, weil dieser sich nicht an die Corona-Beschränkungen halte. "Hier gilt aber ganz klar, dass der Vater die Kinder trotzdem sehen darf", betont Schmidt.

Mit Blick auf die Zukunft und weitere mögliche Lockdowns glaubt der Rechtsanwalt nicht, dass noch viele weitere Corona-Trennungen hinzukommen werden: "Ich denke die Paare, zwischen denen es nicht funktioniert, haben es jetzt gemerkt. Alle anderen kämpfen um ihre Beziehung."

Mehr Anzeichen auf Gewalt zwischen Paaren

Doch was genau macht die Pandemie eigentlich mit dem Zusammenleben von Paaren und Familien? Das weiß Hans Engelhard, Einzel- und Paartherapeut in Villingen. "Die Corona-Krise ist wie ein globaler Burnout. Dieser löst eine subtile Angst bei uns aus, wir hören ja auch nur noch Schreckensmeldungen. Und Angst macht etwas mit uns Menschen, wir weisen dadurch andere Verhaltensweisen und tendenziell mehr Aggression auf", erklärt der Therapeut.

Viele Paare und Familien sitzen plötzlich eng aufeinander. Dadurch kämen mehr Konflikte und auch Angewohnheiten heraus, die zuvor vielleicht verborgen blieben oder weniger präsent waren, erklärt Engelhard. "Und dann geht der andere einem plötzlich auf den Keks."

Bei immer mehr Paaren werden dadurch auch Anzeichen auf Gewalt deutlicher. "Das können Beleidigungen sein bis hin zur physischen Gewalt oder deren Androhung." Erst kürzlich habe der Therapeut mit einer Familie Kontakt gehabt, in der ein Vater seiner Ehefrau vor den gemeinsamen Kindern gesagt habe, dass er ihr "eine reinhauen" wolle. "Wohlwissend, dass das nicht richtig ist und auch obwohl das überhaupt nicht seinen Idealen entspricht. Aber einfach aus einer Überforderung heraus", erklärt Engelhard.

Homeoffice, Homeschooling und fehlende Kontakte zu anderen Menschen sowie der Mangel an Freizeitangeboten würden zu solchen Überforderungen beitragen. Normalerweise seien die Familien tagsüber aus dem Haus, bei der Arbeit oder in der Schule, und zwei bis drei Mal pro Woche am Abend mit Sport und Hobbys beschäftigt. Das alles fehle nun, die sozialen Kontakte brechen weg, erklärt Engelhard. Außerdem machen sich viele Familien durch die Corona-Krise auch finanzielle Sorgen.

Des Weiteren heißt es der Therapeut nicht für gut, dass die Leute momentan den ganzen Tag vor dem Bildschirm hängen - was durch Homeoffice und Homeschooling aber natürlich nicht geändert werden kann. "Aber abends und an den Wochenenden sollte das reduziert werden. Eltern sollten mit ihren Kindern in die Natur gehen oder Spieleabende machen. Das wirkt sich auch harmonisch auf das Miteinander aus", erklärt Engelhard. Grundsätzlich sei es so, dass die lange Zeit vor dem Bildschirm Aggressionen fördern würde.

Alltags-Tipps für Familien

Doch was können Familien und Paare tun, um den Alltag im Lockdown möglichst konfliktfrei zu gestalten? "Wir sind Individuen und Sozialwesen. Das heißt, wir brauchen Raum für uns, aber auch Zeit miteinander", erklärt Engelhard. Jeder sollte versuchen, sich Zeiträume für sich alleine zu schaffen. Wenn nötig, sollten diese Zeiträume fix in den Alltag eingeplant werden. Spaziergänge, ein Treffen mit einem Freund und andere Dinge wären dabei denkbar. Anschließend habe man wieder Zeit für den Partner und die Familie.

Wenn sich die Situation zu Hause bereits zugespitzt hat, empfiehlt der Therapeut jedoch eine Beratung: "Paare sollten sich Hilfe suchen, bevor es zu einer Katastrophe kommt", rät Engelhard: "Ich gehe doch auch mit einem Auto, das seltsame Geräusche macht, in die Werkstatt, bevor noch mehr kaputt geht." So lange noch etwas zu machen sei, sollten die Paare auch nach Lösungen suchen. "Es gibt keine Paare, die nicht ihre Themen oder Probleme miteinander haben", sagt Engelhard. Das sei nichts unnormales. Man sollte nur versuchen, die Probleme konstruktiv miteinander zu lösen.