Schon am ersten Tag der Ladenöffnungen war die Lederstraße wieder deutlich belebter. Foto: Rousek

Der überwiegende Teil der Geschäfte darf wieder öffnen. Gastronomie hart getroffen.

Calw - Menschen spazieren durch die Lederstraße, die meisten Läden haben geöffnet. Normalität in Calw? Zumindest ein erster Schritt in diese Richtung. Doch Gesichtsmasken und Sicherheitsmaßnahmen erinnern daran, dass es eine zerbrechliche Normalität ist.

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Seit Montag, 20. April, dürfen laut der neuen Corona-Verordnung Läden bis zu einer Größe von 800 Quadratmetern öffnen, Buchläden und einige weitere Geschäfte auch unabhängig von ihrer Größe. Vorausgesetzt natürlich, es werden gewisse Sicherheitsstandards eingehalten.

Deutlich mehr Menschen in der Innenstadt

"Heute ist ein guter und schöner Tag", freut sich Jürgen Ott, einer der Vorsitzenden des Gewerbevereins. Für die allermeisten Einzelhändler in der Calwer Innenstadt (bis auf jene im Calwer City Center) bedeutet die neue Verordnung ein erstes Aufatmen in der Corona-Krise. Denn seit 23. März mussten sie geschlossen bleiben. Ihnen blieben nur die Möglichkeiten, ihre Waren auszuliefern oder Gutscheine zu verkaufen. Umso dringender seien deshalb die ersten Lockerungen gewesen, meint er. "Viele Läden haben echte Probleme." Nun können sie ihr Sortiment wieder direkt über die Ladentheke an den Kunden bringen. Doch wird das in der derzeitigen Situation überhaupt angenommen?

Schon am Vormittag sind in der Lederstraße deutlich mehr Menschen zu sehen als in den Vorwochen. Darin sind sich Ott und Nicolai Stotz, beide Gewerbevereinsvorsitzende, sowie Citymanager Hansjörg Neumann einig. "In den vergangenen Wochen war es absolut tot", meint Ott. "Das war richtig deprimierend." Die drei Vertreter des Calwer Gewerbes tragen allesamt Masken über Nase und Mund. Das sei zwar ungewohnt, aber dennoch geboten – insbesondere in den Läden, in denen man das Abstandsgebot von 1,50 Metern nicht immer einhalten könne, fügt Stotz hinzu.

Um weitere Sicherheitsmaßnahmen kümmern sich die Einzelhändler selbst. "Viele haben sich intensiv auf diesen Tag vorbereitet", so Stotz. So sind zum Beispiel auf dem Boden Klebestreifen zu sehen, die den obligatorischen Abstand markieren, es werden Plexiglasscheiben an den Kassen angebracht oder Desinfetkionsmittel steht bereit. Weil einige wenige der Einzelhändler das so spontan nicht alles auf die Beine stellen konnten, öffnen sie erst einen Tag später oder kommende Woche.

Viele Kunden freuten sich richtig über die Wiedereröffnung der Läden, sagt Ott. Das sei zwar schön, werfe aber auch die Frage auf, ob das Risikobewusstsein dadurch sinke. Die Stimmung unter den Einzelhändlern beschreibt er jedenfalls als verhältnismäßig gut, jetzt wo sie wieder starten können. In den vergangenen Wochen sei – neben den Einbußen – auch das erzwungene Nichtstun eine herbe Belastung für viele gewesen. Im Textilbereich auch deshalb, weil die Einzelhändler quasi auf der kompletten Frühjahrskollektion sitzen bleiben.

Getrübt wird die Freude über die Wiedereröffnung von dem Gefühl, alleine gelassen zu werden, das laut der Gewerbevereinsspitze einige Händler plagt. Nur schwer komme man an konkrete Informationen, beispielsweise zu den nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Hier sieht sich Neumann in der Rolle des Vermittlers, der den Händlern beratend zur Seite steht.

Was Ott und Stotz beide sehr kritisch sehen ist die Grenze von 800 Quadratmetern, die in der Verordnung zu Grunde gelegt wird. "Zum Beispiel Baumärkte haben die ganze Zeit offen, obwohl sie viel größer sind", moniert Ott. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Gastronomiebetriebe, die nach wie vor nicht öffnen dürfen. Hier sieht Stotz einen gewaltigen Bruch in der Logik: Vor den Restaurants, die Speisen zum Mitnehmen anbieten, bildeten sich oft lange Schlangen, erzählt er. "Das ist ja auch nicht Sinn der Sache." Wohingegen die Gastronomen im Falle einer Restaurantöffnung den Besucherstrom gut lenken könnten, indem sie beispielsweise nur jeden zweiten Tisch besetzen. "Sie hätten Möglichkeiten", sind sich die Herren einig. Nun aber werde die Gastronomie ganz bitter getroffen.

Grund zu Jammern

Stotz weiß von etlichen Betrieben in Calw, die die Soforthilfe des Bundes beantragt und erhalten haben. In den Läden, die nun wieder öffnen dürfen, komme man mit dieser Hilfe ungefähr auf die Umsatzeinbußen des einen Monats, in dem sie geschlossen bleiben mussten, rechnet er vor. Für die Restaurants, Cafés und Bars bricht nun aber schon der zweite Monat ohne Einnahmen an. "Da ist die Belastungsgrenze bald erreicht", befürchtet Stotz.

Umso mehr sei jetzt die Zusammenarbeit von Stadtmarketing, Gewerbeverein und Verwaltung gefragt, bekräftigt Citymanager Neumann. Gemeinsam müssten diese Akteure über die Krise hinaus planen und Ideen sammeln, wie man die Stadt weiterhin attraktiv gestaltet. Nur so schaffe man ein Umfeld, in das die Menschen gerne kommen und in dem die Leute auch gerne konsumieren. Hierbei müsse die Regionalität eine große Rolle spielen. "Wenn Corona etwas Gutes hat", meint Stotz, "dann vielleicht, dass das Einkaufen vor Ort wieder mehr ins Bewusstsein rückt", hofft er. Und doch spricht sich Neumann dafür aus, dass das während der Corona-Krise aufgebaute Online-Angebot einiger Calwer Händler auch weiterhin erhalten bleiben solle. Als Chance, nicht als Konkurrenz. Dafür sei es notwendig, die ersten Schritte zu begleiten. "Man muss die Händler bei der Stange halten", sagt Neumann. Auch wenn sie derzeit allen Grund zu Jammern haben, wie er ausführt.

Denn eines ist den Dreien klar: "Das ganz normale Leben wird erst mit den Veranstaltungen zurückkehren." Bis dahin bleibt nur, den Humor zu behalten und Zuversicht zu üben. "Die Einschränkungen sind definitiv zeitlich begrenzt", erinnert Stotz. Und die Krise sei keine Sackgasse. "Man kommt anders raus, als man rein ist". Das bedeutet auch: "Es liegt in unserer Hand, die Zeit danach zu steuern."