Bürgermeister Ralf Ulbrich (vorn links) musste sich auf der Einwohnerversammlung insbesondere ökologische Bedenken anhören. Foto: Günther

Noch ist nicht klar, ob es das interkommunale Gewerbegebiet in Deißlingen jemals geben wird. Die Bürgerversammlung zeigte: Es besteht Diskussionsbedarf.

Deißlingen - "So sieht Demokratie aus", resümierte der Deißlinger Bürgermeister Ralf Ulbrich am Ende der Veranstaltung, als er sich bei den interessierten Bürgern bedankte. Rund 100 von ihnen hatten den Weg in die Deißlinger Mehrzweckhalle gefunden, wo am Montagabend die Einwohnerversammlung zum Thema "interkommunales Gewerbegebiet" stattfand.

Das Vorhaben bewegt nicht wenige Gemüter: Deißlingen, Dauchingen und Niedereschach, drei benachbarte Gemeinden, die über die Kreisgrenze hinweg schon seit längerem auf verschiedenen Feldern zusammenarbeiten, haben Überlegungen angestellt, ein gemeinsames Gewerbegebiet zu entwickeln. Dazu hatten sie das Planungsbüro Planstatt Senner beauftragt, ein tragfähiges Konzept zu erstellen. Dieses war Grundlage der Diskussion am Montag.

Ausgewählte Gebiete bringen Vorteile mit

Gekommen war dazu neben Martin Ragg und Torben Dorn, den Bürgermeistern von Niedereschach und Dauchingen, auch Marcel Herzberg, der Direktor des Regionalverbands Schwarzwald-Baar-Heuberg. Er erläuterte den Deißlingern und anderen Gästen die Vorteile eines gemeinsamen Gewerbegebiets: Man spare Fläche und schütze den Freiraum, wirke der Zersiedelung entgegen, spare Geld bei der Entwicklung und genieße Vorteile bei der Vermarktung.

Regine Guglielmo vom Planungsbüro Planstatt Senner gab Erläuterungen zu den ausgewählten Gebieten, die aus ihrer Sicht in Deißlingen für das interkommunale Gewerbegebiet in Frage kommen. Sie seien mit sieben und 17 Hektar ausreichend großflächig, um betriebliche Reserveflächen zu ermöglichen, sie seien relativ eben und der Untergrund so beschaffen, dass man darauf bauen kann. Sie wären weit genug entfernt von Wohnbebauung und könnten sich ohne Ortsdurchfahrten an den Verkehr anbinden lassen.

Ulbrich will größeren Anteil aus der Gewerbesteuer

Guglielmo erwähnte auch das Manko der beiden Flächen: Es handelt sich um unberührten Landschaftsraum, die Eingriffe wären immens. Sie sehe jedoch trotzdem Möglichkeiten, die ökologischen Folgen zu begrenzen. Ausgleichsmaßnahmen ließen sich auf der Fläche selbst vornehmen. "Ein Gewerbegebiet darf man sich heute nicht mehr als Hallen und Asphalt vorstellen", betonte sie, die totale Versiegelung der Fläche gebe es nicht mehr.

"Wir handeln nicht aus der Not heraus", erklärte der Deißlinger Bürgermeister Ralf Ulbrich in seinem Vortrag. Das Gewerbegebiet werde sicher nicht in den nächsten drei Jahren entstehen. Er wies aber insbesondere auf die Bedeutung der Gewerbesteuer hin. Mit den Einnahmen von vier bis fünf Millionen Euro im Jahr würden Infrastruktur und gemeindliche Dienstleistungen mitfinanziert. Ulbrich sagte abermals, dass der Deißlinger Anteil an der Gewerbesteuer aus dem neuen Gebiet höher liegen müsse als derjenige der anderen Gemeinden.

"Die Grenzen des Wachstums sind erreicht"

Für die Ortsgruppe Deißlingen-Lauffen des BUND trat Ulrike v. Kutzleben-Hausen ans Mikrofon. Sie forderte die Gemeinderäte auf, das Vorhaben abzulehnen. Selbst die Politik in Stuttgart, Berlin und Brüssel habe erkannt, dass es nicht so weiter gehen könne wie in der Vergangenheit. Dass die Grenzen des Wachstums erreicht seien, zeige der Klimawandel, die Trockenheit im Sommer, Hitze und Starkregen. V. Kutzleben-Hausen verlangte statt eines neuen Gewerbegebietes sogar Flächenverknappungen als richtigen Anreiz. Sie forderte Verwaltung und Gemeinderat auf, die tatsächlichen Kosten eines Gewerbegebiets den Einnahmen aus der Gewerbesteuer gegenüberzustellen: "Was bleibt dann unter dem Strich?"

Als folgender Redner trat Julian Emminger nach vorn, er ist Vorsitzender des landwirtschaftlichen Ortsverbandes. Emminger erklärte, er habe kein Verständnis dafür, dass der Deißlinger Grund auch für andere Gemeinden geopfert werde. Er heimste sich einen Zwischenapplaus aus dem Publikum ein, als er sagte:"Seien wir doch mal ehrlich. Boden ist nicht vermehrbar. Ausgleichsmaßnahmen sind ein Witz."

Wo sind die gewerblichen Leerstände?

Hubert Holl vom Deißlinger Ortsverband der Grünen stellte grundsätzlich in Zweifel, dass interkommunale Gewerbegebiete weniger Fläche verbrauchen und ökologische Vorteile bieten. "Es irritiert mich, wenn Sie von Ökologie sprechen, aber gleichzeitig 24 Hektar Fläche versiegeln wollen", rief er den anwesenden Bürgermeistern zu. "Haben Sie die Zeichen der Zeit erkannt?" Nachhaltig sei es, wenn mit der Fläche dauerhaft gewirtschaftet werden kann. Er forderte auf, zunächst die gewerblichen Leerstände zu nutzen – was Bürgermeister Ulbrich zu der Replik veranlasste: „Zeigen Sie mir mal die gewerblichen Leerstände!"

Der Deißlinger Ingenieur Harald Wössner sprach sich prinzipiell für ein Gewerbegebiet aus. "Aber dass diese Flächen in Betracht gezogen werden, hat mich vom Stuhl gehauen", sagte er in der Versammlung. Er hob die Bedeutung der Areale für das Grundwasser hervor und warnte eindringlich vor den Folgen der Versiegelung, die seiner Meinung nach auch Einfluss auf die Kaltluftzufuhr nach Deißlingen haben würde.

Noch weitere Anmerkungen kamen, die die ökologische Unbedenklichkeit des Vorhabens in Frage stellten. "Muss man so ein großes Fass aufmachen?", fragte eine Bürgerin, und der frühere Deißlinger Gemeinderat Gerhard Rottweiler warnte vor der Zunahme des Schwerlastverkehrs.

Gemischte Stimmung zum Abschluss

Am Ende bat Bürgermeister Ralf Ulbrich die Anwesenden um ein Stimmungsbild. Eine erhebliche Anzahl – nach unterschiedlichen Schätzungen fünfunddreißig bis mehr als fünfzig Prozent – lehnte per Handzeichen das Vorhaben grundsätzlich ab. Weitere zehn bis zwanzig Prozent verlangten demnach in jedem Fall Änderungen oder Schutzmaßnahmen.

Das wertete Bürgermeister Ulbrich als Erfolg. "Nach den Stellungnahmen hätte ich angenommen, dass 90 Prozent kategorisch dagegen stimmen", sagte er unserer Redaktion. "Aber auf dieser Basis können wir jedenfalls weiter diskutieren."