Ein Anhänger der brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro attackiert Sicherheitskräfte in Brasilia. Foto: AFP/SERGIO LIMA

Das Schweigen des brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro wird Konsequenzen haben, kommentiert Tobias Käufer.

Auch Unterlassung ist ein Straftatbestand: Mit seinem Schweigen hat der abgewählte Präsident Jair Bolsonaro seinen Teil der Schuld für die Vorfälle rund um die versuchte Erstürmung der Regierungsgebäude in Brasilien auf sich geladen. Sie mag juristisch vielleicht schwerer nachweisbar sein, doch politisch ist er eindeutig mitverantwortlich für die dunklen Stunden von Brasilia.

Während in der brasilianischen Hauptstadt Tausende seiner Anhänger, darunter auch ein gewalttätiger Mob, versuchten, das Parlament, den Präsidentenpalast und das Oberste Gericht zu erstürmen, schwieg Bolsonaro in seinem selbst gewählten „Exil“ in Florida. Dieses eiskalte Schweigen wird Konsequenzen haben – egal, ob Bolsonaro nun direkt in die Vorfälle von Brasilia eingebunden war oder nicht. Er wird sich nun nicht nur mit der brasilianischen, sondern auch mit der US-amerikanischen Justiz auseinandersetzen müssen. Und die ist insbesondere bei Abschiebungen knallhart.

Historisches Versagen

Bolsonaro hätte seine Anhänger stattdessen aufrufen können – nein, er hätte sie aufrufen müssen –, die Übergriffe sofort zu beenden und die Verfassung zu respektieren. Doch als die ersten Bilder über die Bildschirme flimmerten, legte der Rechtspopulist sein Machtinstrument – das Smartphone – beiseite. Fünf Stunden lang twitterte und kommentierte Bolsonaro die dramatischen Ereignisse nicht. Fünf Stunden lang warteten seine rund 35 Millionen Follower bei Twitter und Instagram auf sein Signal und eine Stellungnahme.

Stattdessen wartete Bolsonaro ab, hoffte insgeheim offensichtlich, dass sich aus dem Sturm ein Flächenbrand entwickelt. Im entscheidenden Moment geschwiegen zu haben, als die Demokratie auf dem Spiel stand, war deshalb sein historisches Versagen. Der Versuch, die Vorfälle schließlich mit kleineren Ausschreitungen linker Demonstranten 2013 und 2017 gleichzusetzen, war ein billiges, feiges Ablenkungsmanöver.

Auch wenn die Protestierenden einen Putsch forderten: Die Militärs blieben in den Kasernen, die Armee machte bei diesem Anschlag auf die Demokratie nicht mit. Die dubiose Rolle der Polizei gilt es noch zu untersuchen. Damit hat sich Bolsonaro für jede weitere politische Karriere disqualifiziert, ein Comeback auf demokratische Weise ist nun undenkbar.

Für den linken Wahlgewinner Lula da Silva, dem von einer Hälfte des Wahlvolkes bislang eisige Ablehnung entgegenschlägt, bietet sich nun eine unverhoffte Chance. Er kann mit besonnener, aber auch entschlossener Reaktion jene moderaten Teile in der Gesellschaft auf seine Seite ziehen, die sich geschockt vom Bolsonaro-Lager zurückziehen. Mit einem derart schlechten Wahlverlierer werden sie sich nicht mehr identifizieren können und wollen. Allerdings muss sich Lula dabei selbst an die Rechtsstaatlichkeit halten und Rachegelüsten widerstehen. Die sind menschlich verständlich, in der Politik aber brandgefährlich.

Auch dem von Bolsonaro gekaperten konservativen Lager bietet sich die Chance, sich neu und vor allem endlich wieder seriös aufzustellen. Die holprige erste Woche bis zum Eklat von Brasilia zeigte bereits: Lula wird Angriffsflächen bieten, denn er muss ein großes politisches Anti-Bolsonaro-Bündnis durch lange und schwierige vier Jahre führen. Das bietet der Opposition die Chance, vom Vulgärpopulismus des Bolsonaro-Clans zur seriösen Sacharbeit mit charismatischem Personal zurückzukehren. Mit dem Sturm auf Brasilia ist das Ende des Bolsonarismus eingeleitet. Was danach kommt, kann eigentlich nur besser werden.