Leonie ist im Leben von Familie Held immer präsent. Die Teelichter waren ein Geschenk des Sternenkind-Fotografen. Foto: Moritz

Kirsten Thiemann ist Fotografin für Sternenkinder. "Ich kann nicht jedes Mal mitsterben."

Blumberg - Mehrere 1000 Kinder kommen in Deutschland jährlich tot zur Welt. Um den Eltern eine Erinnerung zu schenken, engagieren sich Fotografen wie Kirsten Thiemann.

3180 Totgeburten verzeichnete das Statistische Bundesamt für das vergangene Jahr. Hinzu kommen Fehlgeburten und Kinder, die kurz nach der Geburt sterben. Eltern von sogenannten Sternenkindern müssen sich oft noch am Tag der Geburt von ihren Kindern verabschieden. Der Begriff Sternenkinder bezeichnet Kinder, die noch im Bauch der Mutter, während oder relativ kurze Zeit nach der Geburt sterben.

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Um den Eltern eine bleibende Erinnerung zu schenken, engagieren sich bundesweit rund 600 Profi- und Hobbyfotografen in der Stiftung "dein-sternenkind.org".

In Kliniken der Region unterwegs

So auch Kirsten Thiemann aus Blumberg. Seit zweieinhalb Jahren ist sie an den Kliniken in Villingen, Tuttlingen, Singen und Freiburg unterwegs. Rund 30 Mal war die 53-Jährige nach eigenen Angaben in diesem Jahr bereits im Einsatz.

Vor ihrem Engagement in der Stiftung habe sie keinerlei Berührungspunkte mit Sternenkindern gehabt. "Ich wollte mich ehrenamtlich engagieren und im Bereich Fotografie gab es nicht so viele Möglichkeiten", sagt Thiemann. In den sozialen Medien sei sie dann auf die Sternenkinder-Stiftung gestoßen. Durch ihr Ehrenamt wisse sie die Gesundheit ihrer eigenen drei Kinder nun noch mehr zu schätzen.

Oft sitzt sie erst mal weinend im Auto

Thiemann erwartet keine Dankbarkeit für ihre Arbeit. Sie freue sich einfach, wenn die Eltern ihre Bilder erhielten. "Ich habe auch oft das Gefühl, dass mich die Eltern beim Fototermin in ihrem Tunnel gar nicht richtig wahrnehmen". Inzwischen habe sie bei ihren Einsätzen zwar ein wenig Routine bekommen, "aber ich weiß nicht, ob ich wirklich gelernt habe, damit umzugehen."

Oft sitze sie erst einmal weinend im Auto. Nach besonders belastenden Erlebnissen helfe es ihr, einen Bericht zu verfassen und sich im Internet-Forum des Vereins mit anderen Fotografen auszutauschen. Sie versuche aber, das Erlebte nicht mit nach Hause zu nehmen. "Ich sage mir immer: Das ist nicht mein Schmerz. Ich kann nicht jedes Mal mitsterben."

Wenige gemeinsame Stunden festhalten

Wie wichtig diese Arbeit für viele Eltern ist, zeigt das Beispiel von Familie Held aus Dauchingen. Im Februar haben sie ihre zweite Tochter Leonie verloren. Ein Sternenkind-Fotograf in Tübingen hat ihre wenigen gemeinsamen Stunden festgehalten.

Bei einer Routineuntersuchung in der 30. Schwangerschaftswoche hatte der Arzt festgestellt, dass das Herz nicht mehr schlug, sagt Mutter Franziska Held. Inzwischen wüssten sie, dass ihre Tochter einen Gendefekt hatte, das Noonan-Syndrom.

Die Nachricht von Leonies Tod habe sie alle völlig unvorbereitet getroffen, sogar den Arzt. "Ab dieser Untersuchung haben wir uns gefühlt, als wären wir in einem Film." Am übernächsten Morgen kam Leonie nach einer natürlichen Geburt in Tübingen tot zur Welt. "Ich hatte von einer Bekannten, deren Kind bei der Geburt gestorben war, bereits von den Fotografen gehört", sagt Franziska Held. Zunächst hätten sie jedoch als Familie Abschied nehmen wollen. Deshalb sei der Fotograf erst am Nachmittag gekommen. "Die Fotografen kommen am liebsten möglichst kurz nach der Geburt, weil sich die Kinder schnell verändern. Aber für uns war das richtig so."

Viele Dinge, die ans verstorbene Kind erinnern

Die Arbeit des Fotografen empfinde sie als unglaublich großes Geschenk. "Manche sagen vielleicht: Wie kann man tote Kinder fotografieren? Das machen wir bei Erwachsenen doch auch nicht. Aber von Erwachsenen haben wir viele Bilder, auf denen sie lebendig sind – von einem Sternenkind nicht."

Zwei Fotoalben habe sie inzwischen mit Bildern von ihrer Tochter gefüllt – vom positiven Schwangerschaftstest bis zur Trauerfeier. "Obwohl meine Tochter außerhalb meines Bauches nie gelebt hat, habe ich jetzt so viele Dinge, die mich an sie erinnern."

Der Fotograf habe der Familie aber auch auf einer anderen Ebene sehr geholfen. "Er hat uns vor allem die Berührungsangst genommen." Zuvor sei sie im Umgang mit ihrer toten Tochter sehr unsicher gewesen. "Ich habe sogar die Hebamme gefragt, ob ich ihr einen Kuss geben darf." Der ganz natürliche Umgang des Fotografen mit ihrem Kind habe ihr diese Unsicherheit genommen.

Trotz aller psychischen Belastung und dem großen zeitlichen Aufwand, den Kirsten Thiemann neben ihrer Arbeit organisieren muss, trägt sie gerne zu dem Versprechen des Vereins bei: Alle Eltern, die Bilder von ihren Sternenkindern möchten, sollen diese auch bekommen. "Mich freut, dass ich den Menschen etwas schenken kann."

Mehr Informationen:

Eine Anlaufstelle für trauernde Eltern stellt auch der Verein Sternenkinder Villingen-Schwenningen dar, dem Hebamme Stefanie Tröndle vorsitzt. Sie engagiert sich bereits seit vielen Jahren am Schwarzwald-Baar-Klinikum für eine bessere Betreuung der Angehörigen. Zweimal im Jahr organisiert Tröndle Bestattungen von Fehlgeburten auf dem Villinger Friedhof mit. Ab diesem Herbst will der Verein Eltern mit einem Trauercafé Raum zum Austausch bieten. Weitere Informationen unter www.sternenkinder-vs.de.