Ein kurioser Prozess wird zurzeit im Amtsgericht Hechingen verhandelt. Foto: Symbolfoto/Archiv

Unfall-Verursacherin schweigt sich dazu aus. Auch wegen Diebstahls vor Gericht. Verhandlung wird fortgesetzt.

Bisingen - Wie kann man nur mit einem Auto ohne Bremsen fahren? Eine Bisingerin hat es getan. Es kam zu einem Verkehrsunfall in Burladingen. Und im Lidl in Bisingen wollte sie auch noch Waren stehlen. Die Angeklagte schweigt.

Als der Sachverständige vor dem Hechinger Amtsgericht den Zustand des Fahrzeugs und vor allem den Zustand von dessen Bremsen minutiös erklärte, schaute selbst der vorsitzende Richter immer wieder fast ungläubig in Richtung der Angeklagten. Denn was der Fahrzeugtechniker erzählte, machte mehr als deutlich: Mit diesem Wagen hätte man keinen einzigen Meter auf einer öffentlichen Straße fahren dürften.

"Komplett runtergefahren"

Der Bremsflüssigkeitsbehälter war völlig leer gelaufen, auf einer Seite des Fahrzeugs waren die "Bremsen komplett runtergefahren", sodass bereits die Bremsscheibe derart eingefressen war, dass es ab dem ersten gefahrenen Meter ein penetrantes kratzendes Geräusch gegeben haben musste, so der Sachverständige. "An diesem Auto haben einfach alle Alarmglocken geläutet, die bei defekten Bremsen nur läuten können", fügte er hinzu. Doch die Fahrerin hatte sämtliche Warnleuchten von gelb bis rot, das ohne Widerstand bis auf den Boden durchzudrückende Bremspedal sowie das "Kratzen" der Bremsen missachtet – und fuhr das Fahrzeug ohne jegliche Bremswirkung auf einer abschüssigen Straße.

Und sie musste es gewusst haben, da dieser Zustand der Bremsen sicher nicht erst seit kurzer Zeit so gewesen sein könne, sondern das Fahrzeug wohl schon längere Zeit nicht mehr "verkehrssicher" gewesen sei, erklärte der Techniker. Bei einer Vorführung beim "TÜV" hätte man dieses Fahrzeug sofort aus dem Verkehr gezogen, so seine Aussage. Zumal auch ein Reifen so stark abgefahren war, dass bereits der Stahlmantel zum Vorschein gekommen sei.

Bei einem solchen Zustand der Bremsen sei es denn auch nicht verwunderlich gewesen, dass der Lieferwagen in Folge der abschüssigen Straße aus Richtung Ringingen wohl an die knapp 70 Stundenkilometer drauf gehabt haben musste, als es dem linksabbiegenden Fahrzeug des voll in die Fahrerseite krachte, erklärte der Sachverständige.

Es zischt und qualmt

"Das Auto kam wie aus dem Nichts", sagten die Fahrer des Lieferwagens übereinstimmend. Sie hätte überhaupt nicht gewusst, was da jetzt passiert, sagte die Frau im Zeugenstand. Sie wurde nur leicht, ihr Mann schwer verletzt und musste mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht werden. Ihr Fahrzeug wurde durch die Wucht des Aufpralls an eine Hauswand geschoben. Der Schaden beläuft sich auf 28.000 Euro.

Es habe gezischt und gequalmt, sagte der Mann. Da seien sie schnell aus dem Auto gestiegen. Erst als sie etwas von ihrem Fahrzeug weggestanden hätten, sei ihnen ein Kastenwagen, der etwas komisch an einer kleinen Mauer zum Stehen gekommen sei, aufgefallen - vermutlich der Unfallverursacher, hätten sie da gedacht.

Der Rettungsanker

Nur dass eine der beiden Frauen des Verursacherfahrzeugs - vermutlich Mutter und Tochter - sie angefleht haben: "Bitte keine Polizei, ich habe keine Bremsen." Dass sich das Ehepaar dabei in der Person, die das sagte, widersprach, könnte nun der Rettungsanker für die Angeklagte sein. Denn die Angeklagte aus Bisingen sagte nichts und machte strikt von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Viele Fragen sind offen

Wer von den beiden Frauen jetzt gefahren ist, muss nun in einem Folgegerichtstermin anhand weiterer Zeugenaussagen geklärt werden. Ebenfalls geklärt werden muss bei dieser Verhandlung ein Diebstahl im Bisinger Lidl, bei dem die Angeklagte einen vollen Einkaufswagen mit Waren im Wert von 279,31 Euro ohne vorher zu bezahlen aus dem Markt geschoben haben soll.

Unumwunden zugegeben hat die Angeklagte dagegen den Diebstahl von vier Zigarettenschachteln "Pall Mall" im Edeka Koch in Bisingen im Wert von 34 Euro.

Weil noch zwei weitere Verfahren an einem Tübinger Gericht ausstünden, plädierte die Verteidigerin, die gesamte Verhandlung nach Paragraf 154 einzustellen. Davon allerdings wollte die Staatsanwältin partout nichts wissen und blieb hart: "Wir verhandeln das durch", sagte sie zum vorsitzenden Richter. Die Verhandlung wird kommende Woche fortgesetzt.

Viel Glück im Unglück

Über den recht glimpflichen Ausgang des Unfalls, vor allem für sie und ihre Begleiterin, kann sich die Bisingerin glücklich schätzen. Wäre sie mit ihrem Fahrzeug nicht gegen den Lieferwagen geknallt, wäre sie unweigerlich und völlig ungebremst gegen die Hauswand einer Pizzeria gedonnert, machte der Sachverständige deutlich. "Auto gegen Hauswand", so meinte er, diese Situation hätte für die beiden Fahrzeuginsassen sicher noch einmal etwas anders ausgesehen – zumindest wurde vor Gericht von keinerlei Verletzungen gesprochen.