Obwohl 230 seiner Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden sind, darf der Betrieb Müller Fleisch weiterhin produzieren. Foto: Deck

Enzkreis will Infizierte gesammelt in Hotels, Reha-Kliniken oder Hallen unterbringen. Verschärfte Verordnung.

Höfen/Birkenfeld - Der Betrieb der Firma Müller Fleisch in Birkenfeld wird weiterlaufen. Auch wenn, Stand Donnerstag, 230 der rund 1100 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert sind. Der Enzkreis will die Infizierten in separaten Unterkünften unterbringen, um so die weitere Ausbreitung zu verhindern.

Newsblog zur Ausbreitung des Coronavirus in der Region

Was weiter vorne im Tal geschieht, das betrifft Höfen, Bad Wildbad, Schömberg und Dobel direkt: Hier leben viele der Saison- und Gastarbeiter von Müller Fleisch, die überwiegend aus Rumänien stammen. Etwa 500 Personen aus dem Ausland sind über Subunternehmer bei der Firma im Einsatz. Sie wohnen in Gemeinschaftsunterkünften. Nicht nur in den Gemeinden im Landkreis Calw, sondern auch im Enzkreis, nach bisherigem Kenntnisstand in Birkenfeld, Engelsbrand, Neuenbürg und Pforzheim.

Der Corona-Ausbruch bei Müller Fleisch hatte in Höfen zuletzt für großen Wirbel gesorgt. Dort schnellte die Zahl der Infizierten wegen des Ausbruchs in der Firma nach oben. Die Sorge der Bevölkerung vor einer hohen Ansteckungsgefahr wächst.

Druck aus der Kommunalpolitik

Bürgermeister Heiko Stieringer hatte im Gespräch mit unserer Zeitung bereits seinen Unmut geäußert. Befeuert wurde dieser durch die offenbar mangelhafte Zusammenarbeit der Unternehmensspitze mit dem Landkreis Calw. Denn wo die Mitarbeiter genau wohnen und ob sie überhaupt gemeldet sind, das ist schwer zu überblicken. Listen rückte der Betrieb nur sehr zögerlich heraus. Dazu kommen Meldungen, dass Betroffene gegen die eigentlich ausgesprochene Quarantäne verstoßen würden. Angesichts dessen sprach Stieringer offen über seine Verärgerung.

Der Druck aus der Kommunalpolitik dürfte mit dazu beigetragen haben, dass Enzkreis-Landrat Bastian Rosenau am Donnerstag kurzfristig eine Pressekonferenz einberief. Eine Botschaft war ihm dabei besonders wichtig: "Mit der Gesundheit der Menschen macht man keine Politik." Es gehe einzig und allein um medizinische Empfehlungen im Umgang mit der Situation, Entscheidungen würden nicht aus politischen Gründen getroffen.

"Kein erhöhtes Risiko für Verbraucher"

Der Enzkreis stimmt laut Rosenau seine Strategie in Sachen Müller Fleisch mit dem Kompetenzzentrum Gesundheitsschutz beim Landesgesundheitsamt ab. "Die Fachleute sind der Meinung, dass das, was wir getan haben und tun werden, das einzig Richtige ist." Und die Entscheidung des Enzkreises lautet: Der Betrieb bei Müller Fleisch wird weiterlaufen. Dazu erklärte Rosenau: "Es besteht kein erhöhtes Risiko für Verbraucher." Man sei täglich vor Ort und im Austausch. Und es gibt noch einen weiteren, gewichtigen Grund für die Aufrechterhaltung des Betriebs: Schicke man 1100 Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen nach Hause und verordne eine wochenlange Quarantäne, dann müsse diese auch kontrolliert werden. "Das ist eine Mammutaufgabe, die so wahrscheinlich nicht zu schaffen ist."

Damit verbunden ist die Sorge, dass sich das Virus dann unkontrolliert weiterverbreiten könnte. In der Firma Müller dagegen habe man ein "geschlossenes System", in dem sich die Infektionskette nachverfolgen lasse.

Zahl der Infizierten wird weiter steigen

Trotz allem ist klar: Die Zahl der Infizierten wird weiter steigen. Wie Brigitte Joggerst, die Leiterin des Gesundheitsamts, berichtete, sollten bis Donnerstagabend alle 1100 Mitarbeiter getestet werden. Die letzten Ergebnisse werden in zwei bis drei Tagen erwartet. Bisher waren 230 positiv. Den meisten Infizierten gehe es gut. Etwa fünf der Erkrankten werden laut Joggerst stationär behandelt, einer beatmet.

Die Sprachbarriere ist eine große Hürde beim Versuch, den Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Deutsch und Englisch spricht kaum einer der Betroffenen, nach derzeitigem Stand gibt es neben Rumänen noch Mitarbeiter aus zumindest zwei anderen Ländern. Mithilfe einer Ärztin aus dem Gesundheitsamt, die Rumänisch spricht, sowie der deutsch-rumänischen Gesellschaft versucht die Behörde, Informationen und Anweisungen zu verbreiten.

Solche Hürden kennt das Virus nicht. In den etwa 100 Gemeinschaftsunterkünften – die Rede ist von Wohngemeinschaften in privaten Häusern oder ehemaligen Gasthöfen – hat es ein leichtes Spiel. Deshalb will die Kreisverwaltung alle Infizierten aus ihren Wohngemeinschaften herausholen und an wenigen Orten gemeinsam unterbringen. Rosenau berichtete von Gesprächen mit Betreibern von Reha-Kliniken und Hotels, im Ernstfall kämen auch Hallen infrage. "Wir wollen die Menschen in möglichst wenigen zentralen Unterkünften betreuen." Das eine ist die medizinische Betreuung, das andere natürlich auch eine leichtere Kontrolle.

Verfügung soll weiter verschärft werden

Bereits am 17. April hatte der Enzkreis eine Allgemeinverfügung erlassen, die sowohl für Mitarbeiter des Unternehmens als auch für die des Landkreises, die vor Ort sind, gilt. Wer positiv ist oder Symptome zeigt, muss sich 14 Tage in "häusliche Absonderung" begeben, darf keinen Besuch empfangen und nicht arbeiten. Wer negativ getestet ist und keine Symptome hat, darf zur Arbeit – darüber hinaus aber nicht das Haus verlassen. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen nicht benutzt werden, Betroffene müssen im öffentlichen Raum Schutzmasken tragen. Diese Verfügung wird laut Dezernent Daniel Sailer noch einmal verschärft, sie gilt dann auch für alle Kontaktpersonen der Betroffenen. Schon jetzt geht der Enzkreis allen Verstößen nach – was mit einem enormen Aufwand verbunden ist – und ahndet sie mit Bußgeldern.

Immerhin: Linda Koiou, die Leiterin der Lebensmittelüberwachung im Verbraucherschutz- und Veterinäramt, berichtete in der Pressekonferenz von deutlichen Verbesserungen bei Müller Fleisch. "Man merkt durchaus, dass die Maßnahmen immer mehr umgesetzt werden", sagte sie übers Telefon – zugeschaltet aus Birkenfeld.

Bürgermeister schildern Sorgen der Bevölkerung

Ebenfalls zu Wort kamen in der Konferenz die Bürgermeister von Birkenfeld, Engelsbrand und Neuenbürg. Sie schilderten die Sorge der Bevölkerung, und sie erklärten, dass sie die getroffenen Maßnahmen für wirksam halten. Alle drei lobten die Zusammenarbeit mit dem Kreis. Neuenbürgs Rathauschef Horst Martin sagte: "Herr Landrat, Sie machen das Richtige."

Ob die Maßnahmen tatsächlich die Richtigen sind, das wird sich in rund zwei Wochen zeigen. In zehn bis 14 Tagen will das Gesundheitsamt die Mitarbeiter nämlich noch einmal testen.

Den ersten Hinweis auf einen Corona-Ausbruch bei Müller Fleisch erhielten die Behörden am 7. April. Ein Mitarbeiter, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, hatte die Polizei kontaktiert, weil es ihm so schlecht ging. Der Mann kam ins Krankenhaus, am 9. April lag das positive Testergebnis vor. Bei seinen Mitbewohnern wurden ebenfalls Abstriche genommen. Ergebnis: Zehn weitere waren infiziert. "Da ist es dann klar gewesen, dass es sich um ein großes Geschehen handelt", erklärte Brigitte Joggerst, die Leiterin des Gesundheitsamts. Am 14. April, dem Dienstag nach Ostern, testete das Gesundheitsamt 240 weitere Mitarbeiter im Unternehmen. Bis Donnerstagabend, 23. April, sollten alle 1100 getestet sein.