Die Bundesregierung will das Wort „Rasse“ offenbar doch nicht aus dem Grundgesetz streichen. Grund seien Einwände des Zentralrates der Juden und juristische Bedenken, heißt es. Über einen umstrittenen Begriff und seine wechsel- und unheilvolle Geschichte.
Die Ampel gibt einem Medienbericht zufolge ihre Pläne auf, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen und es zu ersetzen. Darauf hätten sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP verständigt, berichtete die Düsseldorfer „Rheinische Post“ am Freitag (9. Februar) unter Berufung auf Koalitionskreise. „Da sind wir uns einig“, heißt es demnach übereinstimmend.
Am 7. Februar 2024 hatte der Landtag des Saarlandes den Begriff der „Rasse“ aus der Verfassung gestrichen.
Im März 2023 hatte das Thüringer Bildungsministerium für Schulen im Freistaat eine Broschüre zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Rassen-Begriff veröffentlicht. „Dass die Vorstellung von Menschenrassen wissenschaftlich unhaltbar und klar widerlegt ist, spiegelt sich bereits seit Langem in den Thüringer Lehrplänen wider“, sagte damals Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Es bedürfe aber dennoch „immer wieder konkreter fachlicher Darlegungen, damit aus theoretischer Faktenlage auch tatsächliches Wissen und daran anknüpfend demokratische Überzeugung werden kann.“
Artikel 3 des Grundgesetzes
Im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, das Wort aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu entfernen. Dort heißt es im dritten Absatz: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Die Ampel wollte den Begriff „Rasse“ streichen und ein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität hinzufügen.
Bedenken des Zentralrats der Juden
Aus Koalitionskreisen heißt es demnach, mit dem Verzicht auf die Streichung des Begriffs folge die Ampel den Bedenken des Zentralrats der Juden. Dessen Präsident Josef Schuster hat erklärt, er sei gegen eine Streichung, weil das Wort an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen, „in erster Linie Jüdinnen und Juden“ erinnere.
„Die Einwände und Hinweise sind richtig“, heißt es dazu aus Koalitionskreisen. Darüber hinaus sei das Ersetzen des Begriffs juristisch zu kompliziert: „Es gibt erhebliche Bedenken, welche Formulierung das gleiche Schutzniveau garantiert.“
Belasteter Begriff
Seit Jahren wird in Deutschland über Rassismus in Staat und Institutionen diskutiert. Dabei geht es immer wieder auch um die Frage, ob der belastete Begriff weiter an zentraler Stelle der Verfassung auftauchen sollte.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten sich vor 70 Jahren keine Gedanken darüber gemacht, sagt der Verfassungshistoriker Michael F. Feldkamp. Im Entwurf von Herrenchiemsee, der Grundlage für die Beratungen im Parlamentarischen Rat, sei „Rasse“ nicht vorgekommen.
Erst in der sechsten Sitzung des Grundsatzausschusses am 5. Oktober 1948 wurde das Wort stillschweigend eingeführt. Damit sollte auch deutlich werden: Das Grundgesetz bleibt nicht auf die Deutschen beschränkt, sondern meint alle Menschen, sagt Feldkamp.
Begriff der Rasse wissenschaftlich längst widerlegt
„Der Begriff der Rasse ist natürlich mittlerweile wissenschaftlich widerlegt: Es gibt keine Rassen“,erklärt der Staatsrechtler Alexander Thiele. „Aber der Rassebegriff im Grundgesetz war zunächst einmal eine Reaktion auf den Rassenwahn der Nationalsozialisten und findet sich vor diesem Hintergrund nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in internationalen Grundrechtsverbürgungen, etwa der Europäischen Menschenrechtskonvention.“ In Frankreich sei der Begriff bereits 2018 gestrichen worden.
Die Bezeichnung „Rasse“ legt grundsätzlich die Vorstellung von qualitativen Unterschieden nahe, wie es von der Nutztier-Zucht bekannt ist. Heute wird der Rasse-Begriff auch in der Biologie vermieden. Man spricht stattdessen von Varietäten und Unterarten (Subspezies).
„R“-Wort: wechselvolle und teils unrühmliche Karriere
Das „R-Wort“ hat in Europa eine wechselvolle und teils unrühmliche Karriere. Mit der Aufklärung begannen Wissenschaftler, die Natur in Kategorien zu erfassen – Pflanzen, Tiere, aber auch Menschen wurden in Arten, Familien, Gruppen und eben auch Rassen unterteilt.
Im 17. Jahrhundert benutzte der französische Forscher François Bernier (1620-1688) die Bezeichnung noch synonym zu „espèce“ (Art). Er gilt als der erste Forscher, der die Bezeichnung im Rahmen einer anthropologischen Taxonomie zum Zwecke der Klassifikation von Menschen verwendete.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tauchte in Reiseberichten das Wort immer häufiger auf, um die Bevölkerung anderer Länder zu beschreiben. Körpermerkmale und Charaktereigenschaften wurden bestimmten „Rassen“ zugeordnet. Die Nationalsozialisten übernahmen es dann in ihren Sprachgebrauch, etwa in den Nürnberger „Rassengesetzen“ und dem „Arier-Paragraphen“.
1950 hatte die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) darauf hingewiesen, dass „Rasse“ für einen sozialen Mythos stehe, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursacht habe.
Rassentheorie ist „falsch und niederträchtig“
In ihrer „Jenaer Erklärung“ erklärten 2019 Spitzenforscher aus Zoologie und Anthropologie dann, eine solche Einteilung der Menschen – etwa in der Theorie von den drei anthropologischen „Großrassen“ Mongolide, Europide und Negride, die wissenschaftlich längst widerlegt ist – sei eine Typenbildung auf Grundlage willkürlich gewählter Eigenschaften wie Haar- und Hautfarbe.
„Diese Argumentation heute noch als angeblich wissenschaftlich zu verwenden, ist falsch und niederträchtig. Es gibt auch keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Intelligenz und geographischer Herkunft, aber einen deutlichen mit sozialer Herkunft“, heißt es in der Stellungnahme der Forscher.
Beim Menschen bestehe der weitaus größte Teil der genetischen Unterschiede nicht zwischen geografischen Bevölkerungsgruppen, sondern innerhalb solcher Gruppen. Die höchste genetische Vielfalt finde sich bei Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Dort liegen die Wurzeln und die meisten Verzweigungen im menschlichen Stammbaum, wie es in der „Jenaer Erklärung“ heißt. Allein die Hautfarbe habe sich im Lauf der Migrationen des Menschen immer wieder verändert und sei dunkler und heller geworden je nach lokaler Sonneneinstrahlung oder Ernährungsweise.
„Es gibt Rassismus, aber keine Rassen“
Für den Menschenrechtsexperten Hendrik Cremer ist es zwar historisch nachvollziehbar, warum die Grundgesetz-Autoren nach dem Holocaust mit dem Wort rassistische Diskriminierungen meinten. „Das Problem ist nur, dass die jetzige Formulierung suggeriert, dass es tatsächlich auch unterschiedliche menschliche Rassen gibt“, sagt der Jurist vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Das habe für die Betroffenen eine verletzende Wirkung.
„Sie werden praktisch gezwungen, sich einer ‚Rasse‘ zuzuordnen und damit rassistische Terminologie zu verwenden, wenn sie eine Diskriminierung geltend machen wollen.“ Für Cremer geht es also um einen Perspektivwechsel in der Sprache des Grundgesetzes. „Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Es gibt Rassismus, aber es gibt keine ‚Rassen‘“.