Im Gerichtssaal sprachen die Täter über ihre bewegte Vergangenheit mit Drogen und Kriminalität. Foto: M. Bernklau

Raubüberfall: Richter Streicher spricht von "gescheiterter Erziehung der Mutter" beim jüngsten Täter.

Tübingen/Bad Wildbad - Im Prozess um den Raubüberfall auf ein Lebensmittelgeschäft in Bad Wildbad sind vor dem Tübinger Landgericht auch die Lebensgeschichten der Täter beleuchtet worden.

Anfang der Woche war bereits die 60-jährige Verkäuferin vernommen worden, die den Räubern die Kasse geöffnet hatte, nachdem der Anführer der jungen Männer sie mit einem Baseballschläger bedroht hatte. Mit einer Beute von 1780 Euro in Scheinen waren die Täter geflohen, aber schon wenig später gestellt und festgenommen worden. Ähnlich ruhig wie bei ihrer Aussage als Zeugin vor Gericht muss die Frau bei dem eher dilettantisch ausgeführten Raubüberfall reagiert haben. Sie ließ sich später nicht einmal davon abhalten, den Verkauf bis zum normalen Ladenschluss weiterzuführen.

Der jüngste Angeklagte, nach der Festnahme in Stammheim inhaftiert und später in eine geschlossene Jugendhilfe-Einrichtung bei Karlsruhe überstellt, beschrieb eine durch frühen Drogenkonsum vollends verkorkste Jugend. Der leibliche Vater war, straffällig geworden, in die Türkei abgeschoben worden. Die Mutter hatte neben dem früh verhaltensauffälligen Jungen eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, jeweils von anderen Vätern, großzuziehen.

Dass er als ADHS-Kind schon in der Grundschule mit dem Aufputschmittel Ritalin behandelt worden war, bestätigte später auch sein Jugendgerichtshelfer. Schon früh sei er "in falsche Kreise gekommen", habe "viel Mist gebaut", gab der Heranwachsende an: Schlägereien schon in der Grundschule, mit zwölf erstmals volltrunken, mit 14 Cannabis, bis zur Verhaftung dazu schließlich Amphetamine, Ecstasy, auch Kokain – "alles außer Heroin".

Einen Hauptschulabschluss schaffte er gerade noch, dann aber unter psychischen und körperlichen Nebenwirkungen der Drogen nicht mehr viel.

Richter Streicher spricht von "gescheiterter Erziehung der Mutter" beim jüngsten Täter

Drei Verfahren wegen Beleidigung, Steinwürfen auf Autos, versuchtem Einbruchsdiebstahl – "eine gescheiterte Erziehung der Mutter" resümierte der vorsitzende Richter Martin Streicher. Auch in der Jugendhilfeeinrichtung gibt es inzwischen Probleme mit dem 17-Jährigen, von Prügeleien bis zu verbotenem Kiffen, aber auch einem Suizidversuch mit der Rasierklinge.

Dennoch empfahl der Jugendgerichtshelfer eine Bewährungsstrafe und eine Suchttherapie, zumal der junge Täter die Einsicht beteuerte, sein "Leben versaut" zu haben und nur ohne Drogen noch eine Chance zu haben und "wieder nach Hause zu können".

Was denn überhaupt sein Zuhause sei, gab der Richter bedenken. Eine Woche nach dem Überfall sei die Mutter mit ihrem jüngsten Kind – wie geplant – zu ihrem neuen Lebensgefährten ins bergische Solingen gezogen. Nach der Haft komme für den Sohn nur eine betreute Wohngruppe oder eine Pflegefamilie als Basis für einen Neubeginn infrage.

Anders der zweite 19-jährige Täter, den die Anklage für den Anführer des Trios hält – er führte den Baseballschläger. Er wuchs zwar auch vaterlos auf, genoss aber offenbar trotz aller Probleme stets den bedingungslosen Rückhalt seiner Mutter. Noch bis zum Überfall und der Festnahme hatte ihm deren neuer Partner seine eigene Wohnung zur Verfügung gestellt.

Richter Martin Streicher spottete angesichts der zahllosen, zunächst immer erfolgreichen Versuche der Mutter, dem Realschul-Abbrecher neue Praktika, Jobs oder Wohnungen zu verschaffen, die Frau sei ja "ein regelrechtes Arbeitsamt" gewesen.

Selbst in seinem "Traumjob" mit Aussicht auf eine Lehrstelle als Industriemechaniker – ein Hauptschulabschluss mit gutem Schnitt war ihm noch gelungen – hielt es der junge Mann nicht lang aus.

Ein Suizidversuch, Diebstähle und Drogen pflastern den Weg des 19-Jährigen

Notorische Disziplinlosigkeiten, Streitereien mit Vorgesetzten und Kollegen, aber auch Diebstähle waren die Gründe, wie früher schon für mehrere Schulverweise. Mit 13 hatte er zu rauchen begonnen, Alkohol und Drogen folgten bald, bis er nach eigener Auskunft vor allem durch das Aufputschmittel Pep (Amphetamin) "völlig neben der Spur" war. Auch er unternahm schließlich im Januar 2015 einen Selbstmordversuch durch Schnitte in die Pulsadern, wurde aber rechtzeitig gefunden.

Vor allem für den als Erwachsenen zu beurteilenden 21-jährigen Mittäter wird das für heute erwartete Gutachten des Jugendpsychiaters von entscheidender Bedeutung sein. Er fällt schon unter Erwachsenen-Strafrecht, weil er gerade 21 Jahre alt war, als das Trio im vergangenen Oktober den Feinkost-Laden Milch-Günthner überfiel. Am morgigen Nachmittag will die Große Jugendkammer des Tübinger Landgerichts die Urteile sprechen.