Mehr Platz für Radfahrer, weniger Platz für Autos – längere Staus wie hier am S-Bahn-Halt Nürnberger Straße sind die Folgen des neuen Radwegs durch Bad Cannstatt. Foto: Leif Piechowski

27.000 Autos wälzen sich täglich durch Bad Cannstatt. Ein Viertel davon könnte bei Fellbach durch den Kappelbergtunnel fahren, die Bewohner im Stadtbezirk hätten dann weniger Lärm und Gestank zu ertragen, sagt die Stadt. Die frühere B 14 soll für Pendler auch durch den umstrit­tenen Radweg unattraktiv werden.

27.000 Autos wälzen sich täglich durch Bad Cannstatt. Ein Viertel davon könnte bei Fellbach durch den Kappelbergtunnel fahren, die Bewohner im Stadtbezirk hätten dann weniger Lärm und Gestank zu ertragen, sagt die Stadt. Die frühere B 14 soll für Pendler auch durch den umstrittenen Radweg unattraktiv werden.

Stuttgart - Zweiräder haben in Bad Cannstatt seit einigen Wochen Vorrang. Doch wo sind die Radler? „Ich sehe keine“, stellt Leser Heinz K. fest. Stattdessen steht er zwischen Fellbach und Wilhelmsplatz viel häufiger im Stau als bisher. Zudem ärgert er sich über Motorrollerfahrer, die einen verbotenen Vorteil nutzen und auf dem leeren Radweg an ihm vorbeibrausen, um die Zeit zu sparen, die ihm ebenfalls fehlt.

Vielen Autofahrern auf der früheren B 14 geht es ähnlich, seit die Straße fast durchgängig zugunsten eines Radwegs einspurig umgebaut wurde. „Die Beschwerden reißen nicht ab“, weiß die Cannstatter CDU. Auch bei der Stadt Stuttgart melden sich verärgerte Pendler. Zwei bis drei Anrufer am Tag würden die neue Verkehrssituation beklagen, sagt Susanne Scherz, leitende Verkehrsplanerin im Stuttgarter Stadtplanungsamt. Tenor: Radfahrer verschmähen den neuen Weg an der unattraktiven Straße nicht von ungefähr, der Stau produziert zusätzlich Feinstaub, ganz zu schweigen von der Zeit, die man dadurch liegen lässt. Für viele ist Fritz Kuhn der Schuldige: Der Radweg sei Beleg dafür, dass der grüne Oberbürgermeister Autofahrer bewusst ausbremse.

Der Rückbau der Waiblinger und Nürnberger Straße hat jedoch eine längere Geschichte als jenes knappe Jahr, das Kuhn im Amt ist. Die Förderung des Radverkehrs war dabei nicht die einzige Triebfeder.

Verkehrsberuhigung

Rund 27 000 Autos passieren im Durchschnitt täglich den Abschnitt zwischen Fellbach und dem Cannstatter Wilhelmsplatz. Bis zu einem Viertel davon könnte auch auf der 1992 nach Süden verlegten, vierspurigen B 14 fahren, schätzt man bei der Stadt Stuttgart. Unter anderem der neue Radweg soll Pendlern den Weg nach Stuttgart und zurück erschweren. „Der jetzt erfolgte Umbau hat einen längeren Planungsprozess durchlaufen“, erklärt dazu Verkehrsplanerin Scherz. Die Erweiterung des Radwegenetzes sei dabei nur einer von mehreren Aspekten gewesen.

Um Bad Cannstatt und Fellbach vom Durchgangsverkehr zu entlasten, wurde einst die vierspurige Umgehung inklusive des Kappelbergtunnels gebaut. Zu diesem Konzept gehörte damals auch, die alte Bundesstraße zurückzubauen. Das hatten die Stadtoberen von Stuttgart und Fellbach vereinbart und den geplagten Anwohnern öffentlich zugesagt. Begonnen wurde damit in Cannstatt Ende der 1990er Jahre: Nach der Eröffnung des Fellbacher Stadttunnels wurden die Fahrbahnen stadteinwärts zwischen der Gemarkungsgrenze und dem Augsburger Platz von zwei auf eine Spur reduziert – was zu ähnlichen Protesten wie zurzeit führte. Wie damals rechnet die Stadt Stuttgart aber auch jetzt damit, dass sich die Autofahrer an die neue Situation gewöhnen und sich die Gemüter beruhigen. „In der Planung haben wir das Verkehrsaufkommen untersucht und als beherrschbar eingeschätzt“, sagt Susanne Scherz. Staus zu bestimmten Tageszeiten seien einkalkuliert. Man beobachte ständig und bessere bei Bedarf nach.

Fahrradoffensive

Verkehrsberuhigung war freilich weniger das Argument, als der von der öko-sozialen Mehrheit aus Grünen, SPD und SÖS dominierte Gemeinderat vor zwei Jahren 1,6 Millionen Euro für den Radwegbau in Bad Cannstatt genehmigt hatte. Es sollte vor allem eine von mehreren Lücken in der Radhauptroute 1 Vaihingen–Fellbach geschlossen werden. Förderung des Radverkehrs lautete das Etikett, unter dem jüngst etwa auch der Radweg quer über den Charlottenplatz entstand. 2020 soll der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen 20 Prozent betragen, hatte Ex-OB Wolfgang Schuster (CDU) vor fast zehn Jahren als Ziel ausgegeben. Davon ist die Landeshauptstadt bis heute weit entfernt. Die Stuttgarter SPD nennt in einem aktuellen Grundsatzpapier einen Anteil von 5,6 Prozent. Mit dem steten Verweis auf die Topografie „wurde ein Mangel an Engagement zur Förderung des Radverkehrs überdeckt“, heißt es darin. Ohne sie direkt zu nennen, zielt die SPD mit ihrer Kritik auf die CDU, die traditionell die Interessen der Autofahrer im Blick hat. Ein Radweg dürfe nur dort gebaut werden, „wo er Radfahrern einen Mehrwert bringt und zugleich aber den Individualverkehr nicht maßgeblich beeinträchtigt“, heißt es in einem Papier der Cannstatter CDU.