Arbeitsminister Hubertus Heil will die AfD zurückdrängen. Foto: photothek.de/Thomas Trutschel

Die Ampel-Koalition ist durch mehrere verlorene Landtagswahlen unter Druck geraten. Arbeitsminister Hubertus Heil verrät im Interview, wie die Koalition jetzt bei den Themen Renten und Flüchtlinge punkten will.

Was kostet es, wenn die Rente dauerhaft sicher bleiben soll? Sollen Asylbewerber gemeinnützige Arbeit verrichten? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stellt sich den Fragen und spricht auch darüber, wie der Kampf gegen die AfD gelingen soll.

Herr Heil, die Renten sind in diesem Jahr um 4,39 Prozent im Westen und 5,86 Prozent im Osten erhöht worden. Können Sie Menschen verstehen, die sagen: „Das reicht nicht. Die Inflation frisst alles auf“?

Ich verstehe das gut, denn die Inflation ist eine Belastung für die ganze Gesellschaft. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Energiepreispauschale, einem Zuschuss für Wohngeldempfänger und der Dezemberhilfe auch die Rentnerinnen und Rentner spürbar entlastet. Die Rentenanpassung ist jedoch keine willkürliche politische Entscheidung, sondern beruht auf klaren gesetzlichen Vorgaben. Dabei folgt die Rente den Löhnen, was sich in den letzten 20 Jahren auch bewährt hat, da über diesen Zeitraum die Löhne stärker gestiegen sind als die Inflation.

Was erwarten Sie für das kommende Jahr?

Die gute Nachricht ist, dass die Inflation – so die Prognosen – im kommenden Jahr zurückgeht und wir in diesem Jahr gute Lohnabschlüsse haben. Das stimmt optimistisch.

Im Koalitionsvertrag versprechen die drei regierenden Parteien, das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent zu sichern. Das entsprechende Gesetz gibt es noch nicht. Bis wann halten Sie Wort?

Bis 2025 darf das Rentenniveau schon jetzt nicht unter diesen Wert sinken. Mit dem Rentenpaket II stabilisieren wir die Rente nun dauerhaft und sorgen so für sozialen Schutz in unsicheren Zeiten.

Damit es jeder genau vor Augen hat: Können Sie in einem Satz beschreiben, was das Rentenniveau ist?

Das Rentenniveau beschreibt, wie die Renten sich im Verhältnis zu den Löhnen entwickeln. Wenn die Löhne steigen, muss dies auch für die Renten gelten. Mit einem stabilen Rentenniveau garantieren wir auch der jungen Generation eine Rente, auf die sie sich verlassen kann.

Mehr als 100 Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus dem Haushalt ohnehin schon in die Rente. Wird das jetzt immer mehr?

Die wesentliche Finanzierung der Rente kommt heute und auch zukünftig aus den Beiträgen. Deshalb gilt: Je stabiler der Arbeitsmarkt ist, desto stärker ist die Rente. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren war viel besser als erwartet, der Beitragssatz ist seit Jahren stabil und war unter Helmut Kohls Zeiten höher als heute. Schon manche Prognose über den Untergang der Rente hat sich als falsch erwiesen. Deshalb handeln wir jetzt, damit das auch künftig so bleibt.

Im Rentenpaket II geht es auch um das Generationenkapital. Die Idee dahinter: die gesetzliche Rente auch mit Hilfe von Renditen aus dem Kapitalmarkt stärken.

Die Idee ist jetzt einen Fonds zu schaffen und diesen langfristig und verlässlich anzulegen, damit man ab Mitte der 2030er Jahre den Anstieg von Beiträgen bremsen kann. Das dient der Stabilisierung der gesetzlichen Rente. Eines ist dabei aber ganz wichtig: Wir werden keinen einzigen Cent aus Sozialversicherungsbeiträgen in Aktien anlegen.

Bleiben wir noch ein bisschen bei der Rente, das bewegt ja doch viele Menschen im Land. Immer wieder sorgen die großen Unterschiede zwischen gesetzlichen Renten und Pensionen für Aufregung. Wollen Sie da ran? Vielleicht ähnlich wie Österreich mittlerweile einen Rententopf für alle hat?

Ich hege Sympathie für diese Idee. Es ist aber eine Frage, die sich sehr viel stärker an die Länder und Kommunen richtet als an den Bund. Der Bund hat auch Beamte – aber eben nicht so viele. Änderungen wären ohnehin nur langfristig denkbar. In dieser Legislaturperiode werden wir aber eines noch anpacken: Wir werden dafür sorgen, dass Selbstständige im Alter auf jeden Fall besser abgesichert sind.

Wechseln wir vom Leben nach der Arbeit zum Arbeitsleben. Laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts müssen Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden erfassen. Ihr Haus arbeitet an einem entsprechenden Gesetz. Wie ist das bei Ihnen persönlich? Schicken Sie eine Exceltabelle an den Kanzler mit ihren Arbeitsstunden?

Das Arbeitszeitgesetz dient dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber gilt natürlich nicht für Kabinettsmitglieder. Aber mein Ministerium hat eine Arbeitszeit-Aufzeichnung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Kern geht es jetzt darum, das Urteil gesetzgeberisch umzusetzen – allerdings lebenspraktisch. Mir geht es um Rechtsklarheit für Beschäftigte und Unternehmen, und Transparenz. Es soll sehr flexible Erfassungsmöglichkeiten geben, weil ich kein bürokratisches Monstrum will.

Was ist mit Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit wird weiter möglich sein – ohne Stechuhr. Allerdings schließen sich Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeiterfassung nicht aus. Eine Option für die Praxis sind insbesondere digitale Aufzeichnungsmöglichkeiten.

Sie legen gerade ein Gesetz zur Vergütung von Betriebsräten vor. Was wollen sie damit erreichen?

Es hat in letzter Zeit häufig Rechtsstreitigkeiten darüber gegeben, wie Betriebsräte vergütet werden. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes hat dann die bisherige Praxis in Frage gestellt und zu viel Verunsicherung bei Arbeitgebern und Betriebsräten geführt. Deswegen folgen wir jetzt den Vorschlägen einer Expertenkommission und sorgen für Rechtssicherheit. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter können zukünftig Regeln vereinbaren, wie sich die Vergütung von Betriebsräten über die Zeit entwickeln kann. Damit sich Betriebsräte auf das konzentrieren können, was ihre Arbeit so wichtig macht: Die Interessen der Beschäftigten zu vertreten.“

Ein großes Thema ist die Debatte über Migration. Wie sehen Sie die Forderung, Asylbewerber schneller arbeiten zu lassen?

Wir bringen jetzt Ordnung in das Thema Migration. Wir erleichtern die Rückführungen derjenigen, die ausreisepflichtig sind, und verbessern die Arbeitschancen von Geflüchteten mit Bleibeperspektive. Das ist der richtige Weg.

Sind Sie für eine Arbeitspflicht für Asylbewerber, wie die Länder sie fordern?

Diese Möglichkeit gibt es heute schon im Asylbewerberleistungsgesetz. Deshalb unterstützen wir es als Bundesregierung, wenn die Länder und Kommunen davon Gebrauch machen und Asylbewerber auch zu gemeinnützigen Tätigkeiten einsetzen. Wo das sinnvoll ist, kann und sollte das genutzt werden.

Sollten auch mehr Sach- statt Geldleistungen an Geflüchtete gezahlt werden?

Auch hier gibt es die Möglichkeit schon länger. Länder und Kommunen haben das bisher nicht gemacht, weil das auch mit bürokratischem Aufwand verbunden ist. Ich sehe, dass es ein Umdenken gibt – und da habe ich nichts dagegen.

Die AfD erzielt in Umfragen und Wahlen große Erfolge. Sie sind geborener Niedersachse, eigentlich auch ein halber Brandenburger, denn dort leben sie seit Jahren mit ihrer Familie. Wie nehmen Sie die Stimmung um sich herum wahr? Haben Sie Angst vor den Landtagswahlen im Osten nächstes Jahr?

Nein, ich habe vor keiner demokratischen Wahl Angst. Aber ich stelle fest, dass wir in dieser Gesellschaft eine ganze Menge an Sorgen haben. Die Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass unsere Gesellschaft auseinandergetrieben werden kann. Rechtsextreme haben aber keine Lösungen für die Gesellschaft. Sie sind Gift für das Land und sie spalten. Nur demokratische Politik kann Probleme lösen. Dafür arbeite ich.

Wie wollen Sie die AfD zurückdrängen?

Durch drei Dinge: Ich will, dass wir die großen Aufgaben lösen, vor denen unser Land steht und die die Menschen umtreiben, etwa wenn es um sichere Arbeitsplätze, anständige Löhne und soziale Sicherheit geht. Zweitens müssen alle Vernünftigen in diesem Land dafür einstehen, dass es zu unserem demokratischen Deutschland keine Alternative gibt. Rechtsextreme spalten unsere Gesellschaft und schaden der wirtschaftlichen und sozialen Zukunft. Und gleichzeitig sollten Demokraten auch klarmachen, dass bei allem notwendigen Streit um den richtigen Weg ‚Kompromiss‘ kein Schimpfwort ist, wenn man große Fortschritte erreichen will.

Als wichtige Sozialreform der Ampel gilt die Kindergrundsicherung. Da wurde viel gezankt, nun liegt ein Gesetzentwurf vor. Schafft die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit die riesige Aufgabe, die Reform umzusetzen?

Mit der Kindergrundsicherung, die unter Federführung von Lisa Paus erarbeitet wird, sorgen wir dafür, dass Kinder besser gefördert werden und dass die Leistungen besser ankommen. Eine zentrale Rolle wird dabei der Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen, und dort ist es auch gut aufgehoben.

Ja oder nein: Wird im Januar 2025 Kindergrundsicherung zum ersten Mal ausgezahlt?

Das ist das Ziel, aber das hängt von der Dauer des parlamentarischen Verfahrens ab. Die Familienkasse braucht für eine so große Reform auch ausreichend Zeit zur Umsetzung.