Kleinkariert oder kostenbewusst? Warum ganz große Organisten-Namen bei Konzerten an der Orgelskulptur fehlen

Von Claus Wiegert Alpirsbach . Eine kirchenmusikalische Rarität wollte Thilo Kreiser der Besucherin aus China nicht vorenthalten: Der Musikliebhaber aus Stuttgart fuhr mit Shen Fanxiu nach Alpirsbach und zeigte ihr die Orgelskulptur in der Klosterkirche. Die Weltklasse-Organistin und Orgelsachverständige der chinesischen Regierung sagte denn auch spontan ein Gastspiel an der Alpirsbacher Orgelskulptur zu. Als Termin wurde der 3. August dieses Jahres vereinbart. Doch aus der Orgelmatinee mit Shen Fanxiu wird nichts.

Der evangelische Kirchengemeinderat hat den Konzertvorschlag von Kantor Ulrich Weissert gestrichen – aus Kostengründen. Die Ausländersteuer hat offenbar den Ausschlag dafür gegeben, sagt Kreiser im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten. 15 Prozent der Gage müssten dafür an das Finanzamt abgeführt werden. Im Fall der chinesischen Star-Organistin hätte dies gerade mal 60 Euro ausgemacht. "Stinksauer" ist Kreiser denn auch, dass man in Alpirsbach wegen solch eines Betrags eine Weltklasse-Organistin ziehen lasse und die Qualität auf der Strecke bleibe. "Kleinkariert und ahnungslos" nennt er dieses Vorgehen. Die Alpirsbacher Orgel sei ein hervorragendes Instrument, das internationale Beachtung verdient habe.

Shen Fanxiu trat im August vergangenen Jahres beim Internationalen Orgelsommer in der Stuttgarter Stiftskirche auf. Während ihres damaligen Deutschland-Aufenthalts unternahm Kreiser mit ihr den Abstecher nach Alpirsbach. Dass das Konzert von Shen Fanxiu nicht zustande kam, ist laut Kreiser nicht nur aus musikalischer Sicht bedauerlich, sondern auch wegen anderer Kontakte: Derzeit, so der Stuttgarter, werden in China viele Konzerthäuser mit Orgeln gebaut, wo ihr Rat gefragt ist. Auch gründen sich laut Kreiser in China zurzeit viele christliche Gemeinden, die auch Orgeln bestellen. Deutsche Orgelbauer seien dabei immer erste Wahl. Auch für die Firma Winterhalter, Erbauerin der Alpirsbacher Orgel, wäre dies laut Kreiser ein "interessanter Kontakt" gewesen.

Fehlt es im Kirchengemeinderat an Verständnis für kirchenmusikalische Qualität, für die Bedeutung der Orgelskulptur? Ist der Lack sechs Jahre nach der Einweihung in der auf Luftkissen fahrbaren Orgel, die internationale Beachtung fand und findet, bereits ab? In der Orgelszene sicher nicht. Aber der Publikumsandrang der ersten Jahre ist vorbei. Und der Alpirsbacher Stadtpfarrer Horst Schmelzle hat neben den Besonderheiten der 16 Tonnen schweren und elf Meter hohen Königin der Instrumente in der Klosterkirche immer auch deren Kosten im Blick.

Besucherzahlen bei den Orgelkonzerten sind zurückgegangen

An die Streichung des Konzerts der chinesischen Organistin aus Weisserts Vorschlagsliste für die Klosterkonzerte 2014 kann er sich nicht mehr genau erinnern. Aber er räumt auf Anfrage unserer Zeitung ein, dass der finanzielle Aspekt bei der Auswahl der Konzerte durchaus eine wichtige Rolle spielt und er, Schmelzle, eher eine "merkantile Sicht" auf die Sache habe. Der Kirchenmusikausschuss des Kirchengemeinderats achte schon darauf, dass mit den Konzerten Geld für die Orgel eingespielt werde. Die Zeiten, als regelmäßig 250 bis 300 Zuhörer zu den Orgelmatineen kamen, seien vorbei – die Besucherzahlen bei den Auftritten sonntagvormittags gingen zurück. Oft, bilanziert der Pfarrer, seien es kaum 100 Zuhörer. Zudem werde bei den Matineen kein Eintritt erhoben, sondern nur um Spenden gebeten. Die Erfahrung habe gezeigt, dass es bei Orgelkonzerten "nicht auf große Namen ankommt", wenn man eine große Publikumsresonanz erreichen will. Im vergangenen Jahr hätte es, so Schmelzle, bei den Orgelmatineen ein Defizit gegeben, wenn "uns nicht ein Konzert gerettet hätte": Diese bestbesuchte Orgelstunde sei ausgerechnet die gewesen, bei der eine Orgelverfahrung zu bestaunen war. Und wenn Orgelbauer Claudius Winterhalter bei den Konzerten in der Alpirsbacher Klosterkirche mehr Star-Organisten haben wolle, müsse er eben mal "5000 Euro geben, um zwei bis drei Leute verpflichten zu können". Denn drauflegen könne die Kirchengemeinde nicht. Sie trage am Schluss das finanzielle Risiko.

Er hätte durchaus nichts dagegen, sagt Schmelzle, wenn ein Weltklasse-Organist es für eine Ehre halte, an der Orgelskulptur zu spielen, und ein Benefizkonzert für das Instrument gebe.

Die Orgelmatinee am 3. August gestaltet nun eine andere Größe der Organistenszene, und das aus der klösterlichen Nachbarschaft: Zu Gast ist Erika Budday, Kirchenmusikdirektorin am Kloster Maulbronn, zusammen mit der Cellistin Barbara Noeldecke. Natürlich, räumt Thilo Kreiser ein, "sind die auch gut". Dennoch ärgert es ihn, dass er an diesem Tag nicht seine Bekannte aus China in die Klosterstadt chauffieren wird.