Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau las aus ihrem Buch. Pfarrer Walter Schwaiger dankte ihr dafür. Foto: Göttling Foto: Schwarzwälder Bote

Lesung: Pfarrerin Biermann-Rau erzählt von Elisabeth Schmitz / Die Kirche schwieg / Eindrücklicher Abend

Albstadt-Ebingen. Aus ihrem Buch über Elisabeth Schmitz und deren Engagement für Juden in der Zeit des Nationalsozialismus hat die frühere Pfarrerin der Friedenskirche, Sibylle Biermann-Rau, in der Martinskirche vorgelesen. Sie berichtete über ihr Buch hinausgehend und stand zur Diskussion zur Verfügung. Die Veranstaltung der örtlichen Kirchengemeinde fand im Rahmen der Reihe "80 Jahre Reichspogromnacht" statt.

Die Studienrätin sah den Holocaust voraus

Die Geschichte der gebürtigen Hanauerin und Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz im Dritten Reich blieb nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur zufälligen "Entdeckung" ihrer Schriften in den 1990er-Jahren unbekannt, erzählt Referentin Biermann-Rau. "Dabei war sie es, die zum Widerstand gegen die Judenverfolgung aufrütteln wollte." Das tat sie unter Einsatz ihres Lebens, etwa durch ihre Denkschrift aus den Jahren 1935 und 1936 "Zur Lage der deutschen Nichtarier".

Viele Freundinnen waren jüdischer Herkunft. Dadurch habe Schmitz unmittelbar miterlebt, was der "Ungeist" der Nationalsozialisten für Juden bedeutete. Wegen ihrer mutigen Worte und ihrer offen gezeigten Ablehnung des Hitler-Regimes wurde die Lehrerin versetzt. Sie schloss sich der "Bekennenden Kirche" an. Schmitz kritisierte scharf. Doch erst zwei Jahre später ließen sich Theologen wie Karl Barth von ihren Mahnungen überzeugen. Mit dem Rassenwahn habe Deutschland einen Götzen, der Millionen Menschen das Leben kosten könne, sah Schmitz den Holocaust voraus. Die christliche Liebe fehle auch innerhalb ihrer Kirche, monierte Schmitz. Indem sie in ihren Schriften von konkreten Schicksalen der Juden berichtete, wollte sie die Menschen aufrütteln und warnte darin vor dem "Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland".

Nach der Reichspogromnacht 1938 verweigerte Schmitz ihren Dienst als Lehrerin und beantragte Frühpensionierung. Sie nahm zeitweilig untergetauchte Juden in ihrer Wohnung auf, wie Biermann-Rau durch Gespräche mit einer ehemaligen Schülerin und späteren Freundin von Elisabeth Schmitz erfahren hat. Sie brachte Juden in den Gottesdienst ihrer Kirche mit und begleitete einzelne von ihnen zur Taufe. Schmitz schrieb: "Ich bin überzeugt, dass mit den letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet." Damit stellte sie eine untrennbare Verbindung zwischen Juden- und Christentum her und war laut Biermann-Rau "ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus".

Der Einzelne darf nicht außer Acht bleiben

Über ihre Jugend, die alles andere als unbeschwert gewesen sei, schrieb Schmitz einst "aber wir durften studieren, und glücklicherweise ahnten wir nicht, was uns alles noch bevorsteht in unserem Leben". Nach 1945 beschäftigte sie sich mit der Aufarbeitung des Geschehenen, machte sich einerseits stark für einen Neuanfang und für Vergebung, aber auch für eine Erinnerungskultur. Wie eine Mahnung für alle Zeiten liest sich ihre Überzeugung: "Der Einzelne darf niemals außer Acht gelassen werden." Auch Pfarrer Walter Schwaiger, der durch den Abend führte und der Referentin dankte, bezog Stellung. Elisabeth Schmitz’ Biografie habe ihn sehr bewegt und zeige, dass jedermann etwas bewirken und seine Stimme erheben könne. Wie Dietrich Bonhoeffer habe Schmitz "sehr früh erkannt, wohin der Nationalsozialismus führt".

Eine Kirche, die sich "wegduckt" und den Opfern nicht zur Seite stehe, verliere sich selbst, sagte der Pfarrer der Martinskirche. Auch heute noch gelte es, "ungutem Zeitgeist" nicht nachzugeben. Das Studium der Bibel und der Kontakt zu anderen Menschen, zum Beispiel mit verschiedenen Religionen, könne einen bereichern und ermutigen, seine Stimme gegen Verleumdungen "gegen Menschen, die dafür wahrlich nichts können", zu erheben.

In der im Anschluss an die Lesung stattgefundenen Diskussion ging es darum, wie die kirchliche Aufarbeitung aus heutiger Sicht zu bewerten sei und wie Schmitz überhaupt einer Verhaftung oder gar Tötung durch die Nationalsozialisten entgangen sei.