Dichte Rauchwolken stiegen am 11. Juli 1944 nach dem Luftangriff auf Ebingen auf. Es war der schwerste Angriff auf die damals noch eigenständige Stadt während des zweiten Weltkriegs. Foto: Stadtarchiv

Als aus Silbervögeln Drachen wurden: Bei Bombardierung Ebingens kamen 63 Menschen ums Leben.

Albstadt-Ebingen - Am 11. Juli vor 75 Jahren wurden weite Teile der Ebinger Innenstadt durch amerikanische Bomber zerstört. 63 Menschen wurden getötet, 209 verletzt; 35 Häuser wurden zerstört, 22 schwer beschädigt. Wie sich viel später herausstellte, war ein böser Zufall im Spiel.

Während des Kriegs hatten die Ebinger Kinder immer wieder ein in Friedenszeiten unbekanntes Spiel gespielt: "Silbervögel zählen". Angst hatten sie keine, und auch die Erwachsenen hatten sich im Lauf der Kriegsjahre einen lässigeren Umgang mit Luftalarmen angewöhnt: Die alliierten Flugzeuge pflegten ihre Bombenlast offenbar nicht über schwäbischen Kleinstädten abzuwerfen, sondern suchten sich lohnendere Ziele.

Doch am 11. Juli 1944 kam alles anders. Gegen 13.40 Uhr tauchten aus Südosten acht amerikanische Bomber auf und gingen plötzlich zum Angriff über. Die ersten Treffer bekam der Bahnhof ab, wenige Sekunden später folgten weitere Detonationen in der Rathaus- und der Marktstraße. Der Kirchengraben und die damalige Hindenburgstraße – heute Gartenstraße – wurden in Trümmer gelegt, Rathaus, Martins- und Kapellkirche sowie mehrere Fabriken schwer beschädigt; von der westlichen Altstadt zog sich die Schneise der Verwüstung den Hang hinauf in Richtung Raidental, Kälberwiese und Katzenbuckel.

Wie sich viele Jahre später herausstellte, war Ebingen Opfer eines üblen Zufalls geworden. Der Geschichtslehrer Franz Leitermann stellte um die Jahrtausendwende intensive Recherchen an, erhielt Zugang zum Archiv der US-Luftwaffe in Maryland und gelangte zu einem verblüffenden Ergebnis: Die Bomberbesatzungen, die Ebingen verwüsteten, wussten mit großer Sicherheit nicht einmal, wie die Stadt hieß. Sie gehörten zur 715. Bomberschwadron der 2. Luftdivision der 8. US-Luftflotte und waren am Morgen des 11. Juli in Seething in der englischen Grafschaft Norfolk gestartet und in der dritten Welle eines 1176 Maschinen starken Bomberschwarms nach Deutschland geflogen, um München anzugreifen. Indes hingen an diesem Tage dicke Wolken über Süddeutschland, welche die Navigation erschwerten. Die Schwadron dürfte schon auf dem Hinflug Sicht- und Funkkontakt zu ihrem Geschwader verloren haben.

Auch im vorletzten Kriegsjahr war der Aufenthalt im deutschen Luftraum alles andere als ungefährlich für alliierte Flugzeuge; wer versprengt wurde, sah zu, dass er Deutschland so schnell wie möglich verließ. Die Bombenlast – 2,3 Tonnen pro Maschine – war dabei nur hinderlich und kostete zusätzlichen Sprit; man sah deshalb zu, dass man sie möglichst schnell los wurde. Anders als die Briten, die ihre Bomben blind abzuwerfen pflegten, hatten die Amerikaner die Anweisung, ihre Waffen "nutzbringend" zu entsorgen und feindliche Infrastruktur zu zerstören. Die acht versprengten US-Bomber befanden sich offenbar über der Ebinger Talaue, als sich unter ihnen plötzlich die Wolken öffneten und ausgerechnet ein Bahnhofsgelände sichtbar wurde. Bahnhöfe waren willkommene Gelegenheitsziele; die Amerikaner fackelten daher nicht lange und griffen an. 322 Bomben, jede einen Zentner schwer, gingen über der Stadt nieder, also etwas mehr als 16 Tonnen Sprengstoff.

Der Sonnenschein war an diesem Tag verhängnisvoll

Zum Vergleich: In München waren am selben Tag über 2200 Tonnen Sprengstoff abgeworfen worden; dabei kamen 224 Menschen ums Leben. Dass der Blutzoll in Ebingen so unverhältnismäßig hoch ausfiel lag offenbar daran, dass viele Ebinger den Luftalarm ignoriert hatten und in ihren Wohnungen geblieben waren: Sie glaubten nicht an die Gefahr. Im amtlichen Luftschutzbericht hieß es später, es wären allenfalls "zehn, höchstens 15" Tote zu beklagen gewesen, wenn alle in die Keller gegangen wären. Die Ebinger waren ganz einfach nicht vorbereitet, und das wurde ihnen zum Verhängnis – und außerdem, dass ausgerechnet bei ihnen zur Unzeit die Sonne schien.