Als OB war Hans-Martin Haller der Chef von Hauptamtsleiter Axel Pflanz, im Aufsichtsrat der Volksbank Tailfingen war es umgekehrt. Archiv-Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Jubiläum: "Alt"-OB Hans-Martin Haller hat runden Geburtstag gefeiert / Einer aus der "Generation Mehr"

Man sieht ihm die 70 so wenig an wie vor zehn Jahren die 60 – Hans-Martin Haller, der "Alt"-OB, wirkt jugendlich wie eh und je. Gestern hat er im Kreis seiner Familie runden Geburtstag gefeiert.

Albstadt-Tailfingen. Die Hallers aus Tailfingen sind ein unverwüstlicher Menschenschlag: Wer in dieser Familie vor dem 90. Geburtstag eines natürlichen Todes stirbt, der ist, so hart muss man das sagen, aus der Art geschlagen – Hans-Martin Haller hat eine Tante, die 106 Lenze zählt! Nun ist selbst die genetische Anwartschaft auf viele Lebensjahre ein Erbe, das man verprassen oder mehren kann – aber das Prassen dürfte einem, der als Bäckersohn im pietistischen Talgang aufgewachsen ist, schwer fallen. Das "Mehren" liegt ihm eher: Fragt man Haller nach einem Motto für die ersten 70 Jahre seines Lebens, dann verweist er auf seine Zugehörigkeit zur "Generation Mehr": Er ist, anders als die meisten Nachgeborenen, noch mit der Ahnung und später der Erfahrung groß geworden, dass immer noch "mehr" drin sein könnte, als man zuerst angenommen hatte – und dass es der Mühe wert ist, zuzugreifen und sich dieses "Mehr" zu sichern.

Das hat Hans-Martin Haller zeitlebens getan – andere sind schon mit einem Beruf überfordert, er hat gleich drei erlernt und ausgeübt, und nicht selten parallel: Schon als Kind und Jugendlicher "durfte" er nach der Schule im elterlichen Betrieb mithelfen, während die Kameraden im Freibad waren; der Bäckerlehre ließ er das Lehramtsstudium – nicht in Tübingen, sondern in Freiburg und an der Pariser Sorbonne – folgen, ging zwischendurch auf halbjährige Afrika- und Südamerikareisen, die er durch Waldarbeit finanzierte, und trat en passant 1971, in der Aufbruchszeit der sozialliberalen Koalition, der SPD bei. Als er den Meisterbrief der Bäckerinnung erwarb, war er bereits Lehrer; seit 1979 unterrichtete er am Gymnasium Ebingen. Die Heimatnähe hatte auch für die Kollegen handfeste Vorteile: Bis 1982 half Haller in der väterlichen Bäckerei aus; die Brezeln und Laugenwecken, die er ins Lehrzimmer mitbrachte, waren ofenfrisch.

Zu dieser Zeit war Haller bereits in seinen späteren dritten Beruf eingestiegen: 1979 hatte er für den Albstädter Gemeinderat kandidiert und war aus dem Stand Tailfinger Stimmenkönig geworden – das ging damals noch, dank der unechten Teilortswahl, die 17 Jahre später unter dem OB Hans-Martin Haller abgeschafft wurde. 1989 wurde er Kreisrat; 1991 bot ihn die SPD dann bei der Oberbürgermeisterwahl gegen Hubert Wicker auf. Alle auswärtigen Hoffnungsträger hatten angesichts der unlösbar erscheinenden Aufgabe, den Lokalmatador zu bezwingen, abgewinkt; Haller löste sie in einem Wahlkampf, der "Rest-Albstadt" gegen den Ebinger Wicker mobilisierte, mit Bravour.

Im Juni 1991 trat er sein Amt an. In seiner Amtszeit wurde die Ebinger Osttangente gebaut, zwei Tunnelbauprojekte auf den Weg gebracht, die Ferngasgesellschaft und die aswohnbau gegründet und das E-Werk Haux gekauft. Der Wahlerfolg von 1991 ließ sich acht Jahre später nicht wiederholen: Das Timing der Ebinger Tunnelbauplanung kollidierte mit dem der Wiederwahlkampagne; zudem gelang es der anderen Seite, Haller als uninspirierten, vom Amt verschlissenen Sachbearbeiter hinzustellen. Er verlor mit Anstand und kehrte an die Schule zurück.

Fünf Jahre lang in der Regierungspartei SPD – es waren seine schönsten als Landtagsabgeordneter

Doch die allein genügte ihm nicht lange. 2001 kandidierte er für den Landtag, wurde über die Landesliste gewählt und gehörte danach – neben dem Schuldienst – 15 Jahre dem Landtag an, die letzten fünf davon als Repräsentant der Regierungspartei. Haller macht kein Hehl daraus, dass es die schönsten in Stuttgart waren – Regieren macht Spaß, auch wenn man verkehrspolitischer Sprecher der kleineren Fraktion ist und die größere den Minister stellt. Als die CDU noch das Verkehrsressort besaß, hatte Haller mit Leidenschaft wider die Vernachlässigung des Landesstraßenbaus gestritten – nach Reibungspunkten mit Winfried Hermann musste er nicht lange suchen.

Vorbei. Wer damit rechnen muss, 100 oder älter zu werden, tut sich schwer damit, Ämter und Verantwortung mit noch nicht einmal 70 abzugeben. Trotzdem kandidierte Hans-Martin Haller 2016 kein weiteres Mal für den Landtag und 2019 nicht mehr für den Kreistag; den Aufsichtsratsposten bei der Volksbank hat er 2017 aufgegeben.

Seine Frau Ulrike hat ihn schon 1973 auf der langen Afrika-Tour begleitet – und ihm stets den Rücken freigehalten

Entzugserscheinungen? Kein bisschen. "Ich genieße es, Zeit zu haben, ins Konzert gehen, spontan einen Kaffee in der Fußgängerzone zu trinken, wenn ich einen alten Bekannten treffe." Außerdem genießt er die Zeit mit der Familie, den erwachsenen Kindern, den drei Enkeln und vor allem mit seiner Frau Ulrike, die ihn bereits 1973 auf der Afrikareise begleitet hatte und in den folgenden Jahrzehnten stets dem Mann mit den drei Berufen den Rücken stärkte.

Und natürlich genießt er den Sport. Die Zeiten, da Hans-Martin Haller im Renntrikot die Alpen überquerte und an einem Tag 3700 Meter Höhendifferenz bewältigte, mögen vorbei sein, aber am Albstadt-Bike-Marathon nimmt er nach wie vor teil und bringt die über 80 Kilometer Jahr für Jahr in rund viereinhalb Stunden hinter sich – je nach Wetter sind es mal 4:20, mal 4:40 Stunden; langsamer war Haller nie, und er ist zuversichtlich, diesen Schnitt noch lange halten zu können. Er kommt schließlich aus einer Familie, die langsam altert – und er gehört zur "Generation Mehr". Mehr denn je.