Die virtuelle Kollektion ist von einer realen kaum noch zu unterscheiden. Foto: Korinth Foto: Schwarzwälder Bote

Hochschule: Die Couturiers aus dem sechsten Semester kommen ohne Stoff und Schere aus

Eine virtuelle Kleiderkollektion haben Sechstsemester des Studiengangs Textil- und Bekleidungstechnologie der Hochschule Albstadt-Sigmaringen entworfen – ohne ein einziges Stück Stoff in die Hand zu nehmen.

Albstadt. Wie wird sich die Textilbranche durch die Digitalisierung verändern? Welche Chancen bietet sie angehenden Textilingenieure? Welche Möglichkeiten eröffnet die Arbeit im Home-Office? Diese Frage haben sich 29 Studierende der Hochschule und der TTK University of Applied Sciences in Estlands Hauptstadt Tallinn im Rahmen eines gemeinsamen Industrieprojekts gestellt – und auf überzeugende Weise beantwortet: Mit der Unterstützung der Professoren Marina Baum und Christian Kaiser schufen sie im Home-Office eine virtuelle Kollektion, die sie dreidimensional visualisierten – ihr Stoffverbrauch war dabei gleich null.

Dank der Kooperation mit der Firma Inneo Solution fielen die Bilder so realistisch aus, dass sie von einer Fotografie kaum zu unterscheiden sind. Eigens entwickelte textile Texturen und Settings waren in verschiedenen Szenarien visualisiert, und zwar in einer Qualität, die für einen Produktkatalog ausgereicht hätte. "Mit diesem Wissen verändert sich natürlich auch der Blick auf die Bilder der Kataloge und Online-Shops", kommentieren die Professoren Baum und Kaiser. Für die Nachwuchsingenieure steht spätestens jetzt fest: Die Zukunft gehört der Simulation.

Und zwar sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Erwägungen, wie Marina Baum konstatiert. Der herkömmliche Entwicklungsprozess dauert im Regelfall mehrere Monate; Transporte über weite Entfernungen gehören dazu. Durch die digitale Simulation werden sie überflüssig. "Die Entwicklungszeit wird beträchtlich kürzer, was es wiederum erlaubt, schneller auf Trends zu reagieren", stellt Christian Kaiser fest. Parallel dazu schrumpfen Lagerbestände, Ressourcenverbrauch, Kosten und Umweltbelastung. "Aber auch die Gefahr von Missverständnissen und Fehlinterpretationen verringert sich", ergänzt Marina Baum: Die Simulation vermittle eine wesentlich genauere Vorstellung davon, wie das Endprodukt aussehen soll, und davon profitiere sowohl die interne Verständigung während der Entwicklungsphase als auch die externe Kommunikation mit Vertriebspartnern oder dem Endkunden.

Christian Kaisers Fazit: In Zeiten des industriellen Umbruchs sei die Praxiserfahrung, die das Projekt vermittelt habe, ganz besonders wertvoll: "Es bringt unseren Studierenden einen Wettbewerbsvorteil – was die dabei gelernt haben, werden sie in Zukunft brauchen." Erste Ergebnisse des Projekts sind mittlerweile per Videoanimation auf der digitalen Messe "KeyShot-World" der Öffentlichkeit vorgestellt worden; die öffentliche Abschlusspräsentation findet am Donnerstag, 16. Juli, um 14 Uhr statt – als MS Teams-Livestream auf der Internetseite https://tinyurl.com/y7gfw4f7. Die Zukunft hat schon begonnen.