Gernot Schultheiß, Leiter des Staatlichen Schulamtes Albstadt, begrüßt den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung, der den Eltern mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch mehr Verantwortung gibt. Archiv-Foto: Merck Foto: Schwarzwälder Bote

Grundschulempfehlung: Der Albstädter Schulamtsleiter Gernot Schultheiß über kreative Lösungen für den Einzelfall

Zollernalbkreis. Die Grundschulempfehlung – einst bindend – ist heute nicht mehr verpflichtend und damit immer mal wieder ein Zankapfel der Bildungspolitik. Gernot Schultheiß, Leiter des Staatlichen Schulamtes Albstadt, wirft im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten einen nüchternen, professionellen Blick auf das Thema.

Herr Schultheiß, wie viele Schüler haben zum Schuljahresbeginn 2017/18 im Zollernalbkreis von der Grund- auf eine weiterführende Schule gewechselt?

1540 Schülerinnen und Schüler.

Wenn alle Eltern der Grundschulempfehlung folgten – wie würden sich die Schüler dann auf die einzelnen Schularten verteilen?

Folgende Grundschulempfehlungen wurden im Februar 2017 von den Klassenkonferenzen Klasse 4 für das Schuljahr 17/18 ausgesprochen: Werkrealschule: 396; Realschule: 460; Gymnasium: 673; Sonstige: 11. Für die Gemeinschaftsschulen wird keine eigene Grundschulempfehlung ausgesprochen, da dort die Anmeldung mit jeder Grundschulempfehlung möglich ist.

Wie verteilen sich die Schüler aktuell tatsächlich auf die einzelnen Schularten?

Werkrealschule: 175; Realschule: 655; Gemeinschaftsschule: 130; Gymnasium: 589; Sonstige: 11

Gibt es Abweichungen zur Landesstatistik im Hinblick auf die Art der weiterführenden Schule, für welche die Eltern sich entscheiden?

Ja. Werkrealschulen besuchen im Zollernalbkreis 11,4 Prozent der Schüler, im Land 5,7. Für Realschulen haben sich im Landkreis 42,5, im Land nur 34,2 Prozent entschieden. Eine Gemeinschaftsschule besuchen 8,4 Prozent der Zollernälbler Schüler, aber 12,5 Prozent der baden-württembergischen. Bei Gymnasien sind es 37 Prozent der Schüler im Landkreis und 44,2 Prozent im Land. Im Zollernalbkreis gehen also tendenziell durchschnittlich mehr Schüler auf die Werkrealschulen und Realschulen im Vergleich zum Landesschnitt.

Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Im Vergleich zum Landesschnitt gibt es im Zollernalbkreis in der Relation zu den Schülerzahlen weniger Gemeinschaftsschulen. Die Anzahl der Werkrealschulstandorte hingegen ist im landesweiten Vergleich relativ höher, die Werkrealschulen werden im ländlichen Raum tendenziell noch etwas stärker nachgefragt.

Welche Trends gelten aktuell im Zollernalbkreis für welche Schulart?

Es sind keine eindeutigen Trends erkennbar, die Übergangszahlen pendeln sich langsam auf ein stabiles Niveau für alle Schularten ein.

Inwieweit wirkt sich die Zahl der geflüchteten Kinder auf diese Trends aus?

Das ist uns nicht bekannt.

Welche Kriterien wenden Lehrer an, wenn sie die Grundschulempfehlung für ein Kind aussprechen?

Der Grundschulempfehlung liegt eine pädagogische Gesamtwürdigung zugrunde, welche die seitherige Lern- und Leistungsentwicklung des Kindes, sein Lern- und Arbeitsverhalten sowie seine Lernpotenziale berücksichtigt.

In Grundschulen lehren meist Frauen. Hat das Einfluss auf die Grundschulempfehlung und ist das statistisch erkennbar?

Dazu liegen uns keine Erkenntnisse vor. Außerdem bezweifle ich diese These.

Kommt es oft vor, dass Eltern sich gegen die Beurteilung ihres Kindes verwahren und Korrekturen verlangen?

Genaue statistische Zahlen liegen uns nicht vor. Nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung ist aber die Anzahl der Problemanzeigen deutlich zurückgegangen.

Die Grundschulempfehlung ist bekanntlich nicht mehr verbindlich – anders als vor den Zeiten der grün geführten Landesregierungen. Begrüßen Sie diese Tatsache?

Die Entscheidung, welche Schule nach Klasse 4 in Frage kommt, liegt nun in der Verantwortung der Eltern. Das begrüße ich sehr. Hilfreich finde ich, dass ab sofort bei der Schulanmeldung für eine weiterführende Schule die Grundschulempfehlung durch die Eltern vorgelegt werden muss. Die Schulleiter haben dadurch die Möglichkeit, gegebenenfalls nochmals ein Beratungsgespräch mit den Eltern führen zu können, falls die Grundschulempfehlung nicht mit der "Zielschule" übereinstimmt. Gegebenenfalls können Eltern dann noch im Nachgang Schulanmeldungen freiwillig korrigieren oder es können für diese Schüler passende Förderangebote von Anfang an in der aufnehmenden Schule entwickelt werden.

Welche Konsequenzen haben sich aus dieser Tatsache ergeben?

Die Anmeldungen für die weiterführenden Schulen orientieren sich seit einiger Zeit wieder tendenziell stärker an der Grundschulempfehlung. Das verspreche ich mir besonders, wenn ab diesem Jahr bei der Anmeldung für die weiterführenden Schulen die Grundschulempfehlung vorgelegt werden muss.

Wie viele Eltern machen die Entscheidung rückgängig, wenn sie sehen, dass ihr Kind doch nicht für die höhere Schullaufbahn geeignet ist?

In den Klassen 8 und 9 an den Gymnasien, Realschulen, aber auch an den Gemeinschaftsschulen finden Schullaufbahnkorrekturen statt. Genauere statistische Angaben haben wir dazu bisher bei unseren Schulen, den Realschulen und Gemeinschaftsschulen, nicht erhoben.

Tun Eltern ihren Kindern einen Gefallen, wenn sie die Grundschulempfehlung missachten? Schließlich gibt es ja auch Spätzünder unter den Schülern, die sich erst nach ein paar Jahren auf der weiterführenden Schule zu richtig guten Schülern entwickeln...

Meiner Erfahrung nach arbeiten die Lehrkräften an der Grundschule die Grundschulempfehlungen sehr verantwortlich nach pädagogischen Kriterien und nach den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift aus und legen sie der Klassenkonferenz zur Entscheidung begründet vor. Das kommunizieren wir bei Nachfragen durch Eltern beim Schulamt immer wieder. Unser Schulsystem in Baden-Württemberg ist so durchlässig, dass auch "Spätzünder" ihre Chancen haben, den für sie passenden Schulabschluss zu erreichen. Im Zollernalbkreis gibt es ein gutes differenziertes Schulangebot. Jede leistungswillige Schülerin und jeder leistungswillige Schüler hat die Möglichkeit, in zumutbarere Entfernung den für sie oder ihn passenden Schulabschluss zu erreichen. Da steht der Zollernalbkreis im Vergleich den Verdichtungsräumen wie Tübingen oder Reutlingen im Schulangebot in nichts nach.

Die Wirtschaft beklagt allgemein, dass zu viele studieren und zu wenige eine Ausbildung, etwa zum Facharbeiter, machen wollten. Wäre eine verbindliche Grundschulempfehlung ein Mittel, da gegenzusteuern?

Das glaube ich nicht, da die Berufsorientierung erst in den höheren Klassen verstärkt erfolgt. Viele Eltern wollen halt, dass ihre Kinder es einmal besser haben. Daran orientiert sich der Wunsch vieler Eltern nach einem höheren Schulabschluss wie Abitur oder Fachhochschulreife. Durch eine verstärkte Informationskampagne in Schulen, in der Berufsberatung, in Industriebetrieben, in Handwerksbetrieben oder in Handelsunternehmen sollten Eltern auf die Chancen einer Berufsausbildung noch verstärkter und kreativer informiert werden. Das ist aber ein mühsamer Prozess. Haltungsänderungen können nur mühsam über die Jahre verändert werden, sicherlich nicht kurzfristig.   Die Fragen stellte Karina Eyrich