Ein Luther-Text - von Helmut Luckert für seine beliebten Luther-Vorträge in eine "zeitgenössische Nagolder Realität übersetzt" hat. Foto: Kunert

Am Handgelenk trägt er eine Armbanduhr mit dem Konterfei Martin Luthers, in seinem Arbeitszimmer zeugen drei Regalmeter mit Lutherbibeln und Werken über den großen Reformator von Helmut Luckerts großer Luther-Begeisterung. Weshalb der 21. September 2022 für Luckert ein echter Festtag ist.

Nagold - Denn an diesem Tag vor genau 500 Jahren zeigte der später als Reformator geehrte Martin Luther auf der damaligen Leipziger Buchmesse seine in Wittenberg erschienene Erstausgabe des "Neuen Testaments Deutsch" - und löste damit, so der Nagolder Luther-Forscher Luckert, "eine echte Zeitenwende" aus.

Das besondere an dieser allerersten Lutherbibel: Sie war aus den biblischen Ur-Texten in ein Deutsch übersetzt worden, das alle Menschen im deutschsprachigen Raum verstanden. Keine "Vulgärsprache", sondern einfach nur "eine verständliche Sprache". Die in den folgenden Jahrhunderten die Sprache, wie wir sie heute im deutschsprachigen Raum sprechen, nachhaltig prägen sollte.

Erste Übersetzungen nur kleinen Bevölkerungsgruppen zugänglich

"Unmittelbar bevor Luther seine Übersetzungsarbeit begann" – damals auf der thüringischen Wartburg bei Eisenach - "hatte Erasmus von Rotterdam den griechischen Urtext als gedruckte Ausgabe veröffentlicht", und so auch für Martin Luther leicht zugänglich gemacht. Bereits vor Luthers erster deutschen Übersetzung waren allein 18 gedruckte "und unendlich viele handschriftliche" Bibelübersetzungen erschienen – aber die "waren in ober- oder niederdeutscher Sprache" verfasst worden, damit nur jeweils kleinen Bevölkerungsgruppen zugänglich. Und sie basierten alle auf Vor-Übersetzungen der biblischen Urtexte ins Lateinische. Womit es eigentlich "Übersetzungen von Übersetzungen" waren. Von Autoren, findet Luckert, die halt auch keine solche "sprachgewaltige Begabung besaßen" wie später eben Martin Luther.

Luckert wollte schon immer Pfarrer werden

Helmut Luckert selbst stammt ursprünglich aus Winnenden. Im Jahr 1973 kam er ein erstes Mal – als Stadtkirchen-Pfarrer – nach Nagold, seine "erste ständige Pfarrstelle". Bewegende Zeiten damals, erinnert sich Luckert. Religion habe ihn immer interessiert, er habe immer schon Pfarrer werden wollen. Als Schüler habe er dann ein kirchliches Internat besucht. Er sei ohne Vater aufgewachsen, der noch vor seiner Geburt im Zweiten Weltkrieg als Soldat vermisst worden war – in der Ukraine. Wo gerade wieder Krieg herrscht. Auch dem eigenen Vater hat Forscher Luckert eine große Spurensuche gewidmet. Vielleicht, so muss man überlegen, ist auch diese intensive Auseinandersetzung mit Martin Luther für den Halbwaisen Luckert die Suche nach einer Vater-Figur. Einem Vorbild.

Luther – ein "streitbares" Vorbild für Luckert

Wofür Luther offenbar so richtig gut taugt. Der Reformator war ein ungemein streitbarer Mann. Wurde für seine Bibelübersetzung sofort angefeindet, später löste er eben die Reformation aus – und die damit verbundene Kirchenspaltung in Katholizismus und Protestantismus. Mit seiner ersten Pfarrstelle in Nagold gab es auch für Helmut Luckert "einige Reibungspunkte" mit dem "damaligen knöchernen Pietismus" – wie er es nennt. "Den haben wir ein bisschen aufgebrochen", lächelt Luckert heute bei der Erinnerung daran. Wobei sich Luckert selbst als "Alt-68er" bezeichnet: auch in Luthers Arbeit und Werk habe es "immer auch eine politische Komponente" gegeben. Eben ein tolles – und streitbares – Vorbild.

Prägende Sprache des Reformators beschäftigt ihn

Bis 1984 blieb Luckert damals in Nagold. Dann folgte der Ruf als Geschäftsführer der Württembergischen Bibelgesellschaft nach Stuttgart – was Luckerts Luther-Liebe erst so richtig in Gang bringen sollte. Schließlich gehörte es dort zu seinen ersten Aufgaben, eben die damalige Bibel-Revision zu begleiten, zum Beispiel bei diversen Dienstbesprechungen mit den eingesetzten Lektoren. "Seitdem beschäftigt mich das" – das mit dieser besonders prägenden Sprache des großen Reformators. Dieser spürbare Lust Luthers, die historischen Bibeltexte an die Lebenswirklichkeit der Menschen – nicht nur seiner Zeit – anzupassen. "Luther hat die Texte immer interpretiert", was ihm viele Anfeindungen eingebracht habe. Aber man "muss dem Volk aufs Maul schauen", zitiert Luckert seinen Luther. Und preist ihn für sein ungemeines Talent, eine für dieses Volk verständliche Sprache auch gefunden zu haben.

Folgende Bibel-Interpreten werden inspiriert

Was auch folgende Bibel-Interpreten – denn das eigentlich war Martin Luther – immer wieder neu inspirierte: "Alter Wein in neuen Schläuchen", so ein (Luther-)Bibelzitat, würde in Papua-Neuguinea kein Mensch verstehen, weil es da keinen Wein gibt. Weshalb es in der dortigen, heimatsprachlichen Bibelübersetzung "altes Wasser in neuen Bambusrohren" heiße. Näher am Menschen. Und ihrer jeweiligen Lebenswirklichkeit. "›Übersetzen‹ im wortwörtlichen Sinne meint immer ›etwas hinüberbringen‹", erläutert Helmut Luckert. "Da entsteht dann unweigerlich etwas Neues!" Etwas fundamental Neues. "Weshalb Luther mit seinem Werk eben wirklich eine echte Zeitenwende ausgelöst hat."

Information Zeitenwende

Zeitenwende – ein gerade aktuell in unserer Zeit und unserer Gesellschaft wieder arg strapazierter Begriff. Vor allem wegen der Digitalisierung, die unsere Realität ähnlich nachhaltig verändert, findet Helmut Luckert, wie seinerzeit der Buchdruck – der mit Luthers Schriften erst ein echtes Massenphänomen auslöste. Die Startauflage für sein "September-Testament" von 1522 betrug 3000 Exemplare – ein bis dahin nie dagewesener Bestseller. Bereits drei Monate später erschien die zweite Auflage, 106 weitere Auflagen sollten folgen. 1534 konnte Luther dann die gesamte Bibel mit Alten und Neuen Testament herausgeben. Bis zu seinem Tod im Jahr 1546 kam es zu rund 430 Gesamt- und Teilausgaben seiner deutschen Bibel. Heute spricht man von einer Gesamtauflage von bis zu drei Milliarden Exemplaren – womit es das erfolgreichste Buch aller Zeiten ist. Allein 2019 wurden 40 Millionen Vollbibeln verbreitet, soviele wie nie zuvor in einem Jahr – davon ein Viertel bereits als rein digitale Ausgaben.