Recherche vor Ort: Verena Schickle Foto: Schwarzwälder-Bote

Wenn die Flözlinger etwas wollen, dann handeln sie: wortstark, tatkräftig und mitunter emotional / Ein Porträt

Von Verena Schickle

Zimmern-Flözlingen. Wie ein Bilderrahmen wirkt der Ast des Baumes, der die Silhouette von Flözlingen umgibt. Idyllisch liegt sie da, die kleine Gemeinde im Eschachtal. Zwar verliert der Baum bereits seine Blätter, das Dorf allerdings ist noch von saftig-grünen Wiesen umgeben. Darüber der blaue, fast wolkenlose Himmel. Was jetzt noch fehlt, sind grasende Kühe – aber die sind, zumindest aus der Distanz, an dem sonnigen Vormittag nicht zu sehen.

Keine Frage: Flözlingen hat das Zeug zum Postkartenmotiv. Auch innerorts, wo lediglich das Hämmern der Zimmermänner, die das Dach des Rathauses erneuern, und ab und an Autos, die die Bergstraße entlangfahren, die Stille durchdringen. Und doch: Unter der Oberfläche brodelt es derzeit gewaltig im "Däle". Was die Idylle stört, ist der Streit über die längst überfällige Sanierung der örtlichen Halle und einen Anbau, den sich die Flözlinger seit jeher wünschen, aber nicht bekommen werden.

Ein älterer Mann in grüner Latzhose ist am Schaffen, wie sich das gehört für einen Werktag. Er ist in der Eschachtalgemeinde geboren und hat sein ganzes Leben dort verbracht. Er kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, als Flözlingen eine selbstständige Gemeinde war. Das war vor der Kreisgebietsreform im Jahr 1973. Eigentlich, sagt er, habe der damalige Bürgermeister Weichler gewollt, dass seine Gemeinde sich Dunningen anschließt. "Aber die Bürger wollten nach Zimmern", erinnert er sich.

Seit über 40 Jahren gehören Flözlingen und Zimmern, dazu noch Stetten und Horgen zusammen, jetzt herrscht dicke Luft. Beim Gemeinderat ist der ersehnte Hallenanbau in der jüngsten Sitzung durchgefallen ("zu teuer"), was nicht gerade geräuschlos und vor den Augen vieler Flözlinger Zuhörer vonstatten ging. Das Thema treibt den Ort um: Seine Bewohner fühlen sich ausgebootet. Erst wird jahrzehntelang nichts an der Halle gemacht, jetzt wundert man sich, dass es richtig teuer wird und sagt "Nein".

Flözlingen, sagt der Mann in der grünen Latzhose, wäre eine reiche Gemeinde, wenn es die Gewerbesteuer von Unternehmen im Inkom direkt bekommen würde. Schließlich befinde sich über ein Drittel der Fläche des interkommunalen Gewerbegebiets auf Flözlinger Gemarkung. Er sagt es nicht verärgert oder polternd, sondern genauso ruhig, wie er sonst über seine Heimat spricht. Was mitschwingt: Dann wären die errechneten 1,98 Millionen Euro für Sanierung und Anbau an die Halle mit einem erwarteten Eigenanteil von knapp 1,6 Millionen Euro wohl kein Problem. Stattdessen sei man nun angewiesen auf Zimmern. Auch in anderen Bereichen: "Ob das jetzt Lebensmittel sind, Ärzte oder Geldinstitute." Denn Geschäfte gibt es in Flözlingen keine mehr, auch viele, gerade landwirtschaftlich geprägte Anwesen stehen leer.

"Hirsch"-Wirt Rolf Schittenhelm weiß um die Diskussionen im Ort. Zumal fast jeder involviert ist: Bald alle Vereine nutzen die Halle, die Feuerwehr ist dort untergebracht. Außerdem gibt es einen Förderverein, der mit Aktionen seit Jahren Geld sammelt für die Erweiterung.

Schittenhelm kann beide Seiten verstehen: Zum einen gibt es auch in Zimmern den Wunsch nach einer neuen Halle für die Gesamtgemeinde, zum andern habe Flözlingen aber schon lange eine andere Halle nötig. Auch, weil dort die Gewichtheber des Sportvereins trainieren. Jahrelang war er selber aktiv. Der Verein habe "die besten Erfolge mit primitivsten Mitteln" erzielt, Welt-, Europa- und deutsche Meister hervorgebracht. Und das aus einer Gemeinde mit knapp 700 Einwohnern, dem zweitkleinsten Teilort Zimmerns. Er wisse von keinem Zimmerner, der schon mal bei einer Weltmeisterschaft mitgemacht habe, sagt Rolf Schittenhelm.

Bei allen Emotionen ist ihm wichtig, dass die Diskussion sachlich geführt wird. "Damit die Spalte nicht noch tiefer wird." Der "Hirsch"-Wirt, der seinem Heimatort zum eigenen Bier verhilft, stellt trotz aller Querelen klar: "Selbstverständlich gehört Flözlingen zu Zimmern." Man müsse zusammenarbeiten, nicht gegeneinander.

Nach Sachlichkeit und Zusammenhörigkeitsgefühl hatte es in der vergangenen Gemeinderatssitzung allerdings nicht ausgesehen: Mit so manchem waren die Emotionen durchgegangen – mit Zuschauern aus Flözlingen und Zimmern genauso wie mit einigen Ratsmitgliedern. Die beiden Flözlinger Vertreter, Reiner Haas und Thomas Bausch, hatten die Sitzung schließlich einfach verlassen.

Haas, der auch Ortsvorsteher ist, meint im Rückblick: Er würde es wieder so machen. Die Argumente mancher Ratskollegen seien "unter der Gürtellinie" gewesen. "Die ganze Vereinsarbeit ist mit Füßen getreten worden." Der Beschluss für die bloße Sanierung sei nun eben so, die Entscheidung demokratisch gefallen. Aber: Die Art und Weise sei nicht richtig gewesen. "Flözlingen hat den Anbau verloren, die Gemeinde Zimmern die Gemeinschaft", sagt er. Das klingt, als ob der Zusammenhalt in der Gesamtmeinde bröckelt.

Ortschaftsräte reißen "Waaghäusle" an und sanieren Bollhütte

Dabei ist gerade der im Eschachtal stark. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Dutzende Flözlinger die entscheidende Sitzung mitverfolgt hatten. Und es zeigt sich an Ereignissen wie dem "Dorfrocker"-Konzert im vergangenen Jahr. Ausgerechnet vier Flözlinger Jungs hatten die Leseraktion "Dorfkind" unserer Zeitung gewonnen. Hauptpreis war ein Konzert mit der bayerischen Combo. 1000 Besucher feierten in einem Festzelt mit, der Hallen-Förderverein stemmte die Organisation.

Überhaupt: Wenn die Flözlinger etwas wollen, dann kämpfen sie dafür. Die Halle ist nur ein Beispiel. Ein weiteres ist der Kindergarten "Pusteblume". Auch für ihn haben sich Bausch und Haas im Gemeinderat vehement eingesetzt – zumindest noch ein Jahr Zeit trotz fehlender Kinder gefordert. Und bekommen. In Sachen Parkplatz an der Kreisstraße 5540 hauten die Flözlinger ebenfalls auf den Putz: Den hatte der Landkreis Rottweil einfach zurückgebaut, ohne vorher einen Ton zu sagen. Der Parkplatz ist zwar passé, allerdings: Solch eine "Informationspanne" dürfte der Behörde nicht noch einmal unterlaufen.

Ihre Beschwerden bringen die Bewohner der Eschachtalgemeinde auch völlig unerschrocken an höchster Stelle an: Als Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) im Juli in Schramberg war, schafften sie es doch tatsächlich, dass dieser die Stadt eine Stunde eher verließ, um einen Stopp in Flözlingen einzulegen: Bei ihm direkt beschwerten sich die Bürger darüber, dass 40-Tonner die enge, steile und kurvige Ortsdurchfahrt als Abkürzung in den Schwarzwald benutzen.

Doch die Flözlinger belassen es nicht bei Worten, sie sind auch Schaffer, wenn es um ihre Gemeinde geht. So haben einige eine überdachte Sitzgruppe gestiftet, die am Rad- und Fußweg, der von der Straße nach Weiler abzweigt, steht. Die bietet nicht nur die Gelegenheit, sich auszuruhen, sondern nebenbei noch einen wunderbaren Blick über das idyllische Eschachtal und auf die Höhen rund um Flözlingen. Und die Ortschaftsräte haben das alte "Waaghäusle" an der Brücke über die Eschach abgerissen, um Platz unter anderem für eine kleine Anlage zu schaffen. Vor gut zwei Jahren haben sie zudem mit einigen Bürger in Eigenleistung die Bollhütte saniert.

Im Sommer stellt das Dorf gar zusätzlich zum "FeZi" der Gesamtgemeinde sein eigenes Kinderferienprogramm auf die Beine, den "Flözlinger Sommer". Man könnte nun sagen, die braten ihre Extrawurst, auf der anderen Seite bieten sie den Kindern im Dorf etwas. So sind sie eben, die Flözlinger – im "Däle" ist immer was los.

Der Mann in der grünen Latzhose sagt es mit seinen Worten: "Wir als Flözlinger fühlen uns als Flözlinger." Dann nimmt er den Holzbalken, den er gerade transportiert hatte, und läuft los. Weiterschaffen.

Im Gemeinderat ist immer wieder zu erleben, wie entschieden, mitunter auch sehr emotional sich die beiden Flözlinger Vertreter für ihr Heimatdorf einsetzen. Allerlei hört man über die Flözlinger auch im Gespräch mit Bewohnern aus anderen Teilorten Zimmerns. Bei der Recherche vor Ort zeigt sich vor allem eins: Flözlingen im Sonnenschein ist wunderschön und sehr idyllisch.