Wohnraum in den Ballungszentren ist nach wie vor begehrt. Ein Ende der steigenden Nachfrage ist nicht in Sicht. Foto: Mierendorf

Die Arbeitsgemeinschaft der Bausparkassen sieht in den vorliegenden Zahlen noch keine Entwarnung für den Wohnungsmarkt im Land.

Stuttgart - Bei den Bausparkassen im Land fühlt man sich durch die aktuellen Zahlen der Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung, auch Zensus 2011 genannt, bestätigt. 'Nach wie vor gibt es keine Entspannung bei der Wohnraumsituation in Baden-Württemberg', fasst Jens Kuderer, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft baden-württembergischer Bausparkassen ARGE, die Ergebnisse einer Kurzanalyse des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung IÖR im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft bei einem Pressegespräch zusammen. Vor allem in Städten wie Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart müsse man nach wie vor von Wohnraummangel sprechen. Kuderer warnt davor, aufgrund der im Zensus-2011-Bericht publizierten niedrigeren Bevölkerungszahlen und den 'scheinbar' höheren Wohnungszahlen der 'falschen' Annahme zu verfallen, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt entspannt haben könnte.

Auch wenn die Bevölkerung in einzelnen Kommunen aufgrund von Korrekturen weniger geworden sei, letztendlich sei aber die Anzahl der Haushalte für die Berechnung des Wohnraums entscheidend. Und die werden noch weiter ansteigen, sind sich die Forscher beim IÖR einig. Professor Dr. Thomas Hirschle, Berater der ARGE, sieht eine Ursache für den gestiegenen Bedarf an Wohnraum in der Umsetzung individueller Lebenskonzepte. 'Künftig werden noch mehr private Haushalte Wohnraum in den Ballungszentren nachfragen', ist er sich sicher. Verstärkt werde diese Entwicklung auch durch die Euro- und Wirtschaftskrise in Europa, die künftig vermehrt Zuwanderer aus anderen Staaten anziehen werde.

Die Spitze ist noch nicht erreicht

So stieg die Zahl der jährlichen Zuwanderer im Land von 17 000 Personen im Jahr 2011 auf über 41 000 Personen und 2012 auf 66 000 Personen. 'Hier haben wir die Spitze des Eisbergs noch lange nicht erreicht', sagt Professor Hirschle. Auch dass der Wohnungsbestand in Baden-Württemberg von rund fünf Millionen nach der aktuellen Zählung um 50 000 nach oben korrigiert wurde, bringt für den Wohnungsmarkt aus Sicht des Wissenschaftlers keine wirkliche Erleichterung. 'Das ist allein einer geänderten statistischen Definition des Begriffs ,Wohnung? geschuldet', so Thomas Hirschle.

Werde die Zahl um die Effekte dieser anderen Betrachtung bereinigt, liege der Wohnungsbestand im Land knapp unter den Werten der Fortschreibung. Für den Wissenschaftler hat die Leerstandsquote in weiten Teilen Baden-Württembergs bereits einen kritischen Wert erreicht. Er rechnet vor: Wenn man davon ausgeht, dass landesweit jedes Jahr etwa 600 000 bis 700 000 Menschen umziehen und diese Menschen zeitnah einen bezahlbaren Wohnraum finden wollen, sei ein Leerstand von mindestens fünf Prozent als sogenannte Fluktuationsreserve notwendig.

Leerstandsquote liegt bei 3,4 Prozent

Tatsächlich liege diese Quote in vielen Kommunen des Landes aber weit darunter. So hat das Leibniz-Institut ermittelt, dass die durchschnittliche Leerstandsquote in kreisfreien Großstädten in Baden-Württemberg bei durchschnittlich 3,4 Prozent liegt, in städtischen Kreisen bei 4,1 Prozent. Nur in ländlichen Kreise kommt das Institut durchschnittlich auf eine Leerstandsquote von 4,9 Prozent. Karlsruhe und Freiburg kommen auf 2,3 Prozent, Ulm auf 2,9 Prozent, Heidelberg auf 3,1 Prozent und Stuttgart auf 3,7 Prozent. Zum Vergleich: Nur Metropolen wie Hamburg (1,5 Prozent) und München (2,1 Prozent) haben noch geringere Leerstandsquoten laut der Erhebung des Leibniz-Instituts. Hinzu käme, dass nicht alle vom Zensus erfassten leerstehenden Wohnungen auch wirklich am Markt angeboten werden. 'Gerade in der aktuellen Situation an den Finanzmärkten lassen viele Immobilieneigentümer ihre Häuser lieber ungenutzt, als sie zu verkaufen', so der ARGE-Geschäftsführer.

Und ein Teil des Leerstandes auf dem Mietmarkt sei unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass nicht alle Objekte der Nachfrage hinsichtlich Lage, Größe und Ausstattung entsprechen würden. Letztendlich seien aber auch die steigenden Miet- und Kaufpreise ein Indiz dafür, dass die aktuelle Wohnraumnachfrage im Land vielerorts nicht befriedigt werden kann, so Jens Kuderer. Zwar habe der Wohnungsneubau durch einen deutlichen Anstieg der Bautätigkeit in den zurückliegenden zwei Jahren zu einer höheren Fertigstellungsquote geführt, letztendlich sei dies aber keine Garantie für eine dauerhaft entspannte Marktsituation. Im Vergleich zum Bedarf liege Baden-Württemberg hinter anderen Bundesländern zurück, so dass weiterhin Nachholbedarf im Land bestehe, so Professor Hirschle.

Dazu dürften sich aber die Bedingungen für Neubauten in den nächsten Jahren nicht verschlechtern. Vor allem übertriebene regulatorische Eingriffe der Politik in den Markt seien hier kontraproduktiv. Neben stabilen, unterstützenden staatlichen Rahmenbedingungen müsse auch ein ausreichendes Angebot an Bauplätzen zur Verfügung stehen, so Hirschle.