Damals und heute: Das Rathaus ist eines der ersten Gebäude, das in der Innenstadt weichen muss. Foto: Archiv/Klossek

Bevor 1968 das Rathaus abgerissen wird, haben die Mitarbeiter Hindernisse zu überwinden.

St. Georgen - Vom echten Alleskönner über ein ausgedientes Modell bis hin zum Abriss: Das alte Rathaus markiert den Startschuss der großen Umgestaltung von St. Georgen. Für das neue Rathaus müssen mehrere Gebäude weichen, unter anderem die Residenz des Dorfvogts.

Die Liste der in der Innenstadt abgerissenen Gebäude ist lang. Doch wo ließe sich eine Reise durch das Zentrum besser beginnen als dort, wo alles entschieden wurde und wird? Nimmt man es ganz genau, war das Rathaus kein Teil des eigentlichen Stadtkernsanierungsgebiets – und doch markiert der Abriss und Neubau gewissermaßen den Startschuss für den jahrelang andauernden Prozess.

Dabei war es nicht nur das Rathaus, das abgerissen wurde. Vielmehr verschwanden in diesem Bereich gleich fünf Gebäude auf einmal, die teilweise aneinandergebaut waren: Neben dem Rathaus waren das die Stadtkasse, das Haus mit der Nummer 13, das seinerzeit das Radiogeschäft Fichter beherbergte, das Haus Gottlieb, in dem Verkehrs- und Bauamt untergebracht waren, sowie die alte Nagelschmiede.

Letztere befand sich an diesem Platz bereits seit 1696, erbaut vom Nagelschmied Christoph Haas. Seine Nachfahren bekleideten eine Zeit lang zudem das Amt des Dorfvogts. Beim großen Brand 1865 blieb das Haus zwar verschont, doch mit dem Wechsel vom 19. ins 20. Jahrhundert endete auch die Nagelschmied-Tradition an diesem Standort. Südwestlich wurde 1896 die sogenannte neue Nagelschmiede gebaut.

Das Haus beherbergte zuerst zwei Eisen- und Haushaltswarenläden, ehe 1930 die Lebensmittelkette Gottlieb ein Geschäft eröffnete – künftig rangierte das Gebäude unter dem Namen Haus Gottlieb.

Als es 1968 abgerissen wurde, befand sich darin das Bauamt. Hans-Martin Müller erinnert sich in einem Beitrag zurück: "Wollte man nun als Rathaus-Mitarbeiter vom Hauptgebäude mit irgendwelchen Akten oder zu einer Besprechung ins Bauamt, so gab es einen ›direkten‹ Weg." Über einen Abstellraum für Besen und Putzmittel sowie mehrere Büros ging es zu einer Außentür. "Man schritt auf dem Flachdach eines eingeschossigen Nebengebäudes über einen nicht ganz risikolos zu begehenden Lattenrost zur nächsten Außentür", erzählt er.

Müllers Geschichte zeigt: Zwar war das Rathaus mit den von der alten Klosterruine genutzten, braunen Sandsteinen aus heutiger Sicht schön anzusehen, doch den damaligen Ansprüchen hat es nicht unbedingt genügt.

Ein echter Alleskönner

Das Haus selbst entstand Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach seiner Fertigstellung war es ein echter Alleskönner. Drei Schulsäle, zwei Lehrerwohnungen und Räume für die Gemeindeverwaltung waren darin untergebracht. Damit nicht genug: Auch das Wacht- und Arrestlokal war im Rathaus zu finden.

Über die Jahre hinweg – nicht zuletzt, als durch den Bau der Robert-Gerwig-Schule die Unterrichtsräume nicht mehr gebraucht wurden – wurde das Anwesen immer wieder umgenutzt, mehrfach aus- und umgebaut. 1968 hatte es allerdings endgültig ausgedient.

Für Günter Lauffer war das Ende des alten Rathauses der Anfang seiner Karriere als Bürgermeister. "Als ich kam, war das Rathaus schon weg", erinnert er sich. Die Stadtverwaltung war laut Lauffer zum Teil im ehemaligen Berggasthof und in der Stadtmitte bei Matthias Bäuerle untergebracht. Die eher ungewöhnliche Situation habe sich nicht wesentlich auf die Arbeit ausgewirkt. Immerhin: Dem neuen Stadtoberhaupt blieb erspart, in luftigen Höhen über Lattenroste zu tänzeln.

Kurz vor dem Jahreswechsel wurde schließlich im Dezember 1971 das neue Rathaus fertiggestellt. Im selben Jahr eröffnete ein neues Städtebauförderungsgesetz die Chance, durch Finanzspritzen von Bund und Land eine umfassende Sanierungsmaßnahme umzusetzen. St. Georgen schaffte es laut dem Alt-Bürgermeister als eine der ersten Städte in das Förderprogramm. Was heute angesichts der fünften Sanierung fast nicht zu glauben ist: St. Georgen wurde Anfang der 70er-Jahre damit, zumindest was die neuen Architekturpläne angeht, zum Vorzeigeprojekt. Abreißen und neu bauen lautete sodann die Devise – und die Liste der nicht mehr benötigten Gebäude stieg.

Info

Mit der geplanten Innenstadtsanierung hat sich St. Georgen einem Millionenprojekt angenommen. In den kommenden Jahren wird gebaggert, gespachtelt und gebaut. Die Bergstadt, wie man sie heute kennt, wird damit auch ein Stück weit verschwinden. Grund genug, zurückzublicken: In unserer Sommerserie Zeitreise veröffentlichen wir wöchentlich eine Geschichte über die Gebäude und Areale, die bereits nach der ersten Sanierung für immer verschwanden – vom Zünderschlössle über das Kaufhaus Raff bis hin zum Café Schöner.

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Glosse: Bierernstes Geschäft

Die Rathausuhr allein wäre eine ganze Geschichte wert. Im 19. Jahrhundert von Anton Häkler gebaut, reisten Teile davon nicht nur von Vöhrenbach nach St. Georgen.

Glaubt man alten Berichten, sollte die Stadt alles Erhaltenswerte aus dem Rathaus schaffen, ehe die Abrissbirne geschwungen wird. Denn was sich bei Beginn der Arbeiten noch im Gebäude befand, sollte der Abrissfirma gehören.

Dass vor dem Abbruch das Uhrwerk, nicht aber das Zifferblatt und Vorwerk entfernt wurden, kam dem St. Georgener Gottlieb Grimm zu Ohren. Kurzerhand sicherte er sich die historischen Teile – im Tausch gegen einen Kasten Bier. Rollend ging es für das Zifferblatt zum Schaufenster des Geschäftsmannes, wo es fortan zur Zierde stand.

Ob es die Verantwortlichen vermissten? Georg Papst jedenfalls erkannte dessen Wert, kaufte es ab und stellte es sich in den Garten. Die Jahre vergingen, ehe der Verwaltung eines Tages die Ohren klingelten. Sie baten Grimm und Papst um die "Herausgabe". Mehr als 15 Jahre später kehrte das Zifferblatt damit wieder zurück in den Besitz der Stadt. Wenn das gute Stück doch nur reden könnte. Denn wie heißt es so schön? Wenn einer eine Reise tut. . .