Mittendrin im Familienleben: Yves mit Schwester Merle und seinen Eltern Sandra und Jürgen Geiger Foto: Müssigmann Foto: Schwarzwälder-Bote

Lützenhardter Vereine und Donum Vitae organisieren Spenden für den schwer kanken Yves Geiger und seine Familie

Von Lena Müssigmann

Waldachtal/Freudenstadt-Igelsberg. Yves Geiger ist viereinhalb Jahre alt. Er ist zu früh auf die Welt gekommen und hätte sie beinahe zu früh wieder verlassen.Seit einem Wasserstau im Gehirn vor zwei Jahren ist er ein Pflegefall. Die Ärzte sprechen von einem Wachkoma. Pflege rund um die Uhr ist nötig, um finanzielle Unterstützung muss die Familie kämpfen.

Yves liegt auf der Couch im Igelsberger Häuschen der Familie Geiger, das Wohnzimmer ist von gelbem Herbstlicht geflutet. Ein kleines Gerät ist immer bei ihm, das die Signale seines Körpers durch einen Sensor am Zeigefinger abnimmt und in rote Zahlen auf dem Display umsetzt. Sauerstoffsättigung im Blut: 95 Prozent. Herzfrequenz: 100 Schläge pro Minute. "Alles ok", sagt Sandra Geiger. Wenn ihn Papa Jürgen Geiger (48), der gebürtig aus Lützenhardt stammt, am Bauch kitzelt, steigt die Zahl. Und ein fröhlicher Ausdruck huscht über das Kindergesicht. "Er kriegt das mit", sagt der Vater und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Dauernd am Heulen", entschuldigt er sich. "Die Nerven liegen blank." Er beugt sich zu Yves: "Aber du bist ein Kämpfer, gell.

Sandra (35) und Jürgen Geiger haben mit ihrem Sohn Yves schon viele Höhen und Tiefen durchgemacht. Zu viele für nur vier Jahre. Frühjahr 2008. Der erste Schock. Das Kind in Sandra Geigers Bauch hat Wasser im Kopf. Oder Blut. Die Ärzte in der Tübinger Frauenklinik sehen es nicht so genau. Was sie aber sagen können: Das Baby wird schwerstbehindert zur Welt kommen. Die Eltern könnten es darauf ankommen lassen, ob das Kind ohne medizinische Soforthilfe lebensfähig sei. Eine Option, über die Geigers nachdenken.

Paar findet Ruhe in der Krankenhaus-Kapelle

"Ich habe mich völlig leer gefühlt", sagt Jürgen Geiger. Zwischen den Untersuchungen findet das Paar Ruhe in der Krankenhaus-Kapelle. "Da war für uns plötzlich klar: Wir werden den Ärzten sagen, dass er Yves heißt, und alles für ihn getan werden soll", sagt der Vater, dem beim Erzählen immer wieder die Stimme versagt. Kaiserschnitt in der 33. Schwangerschaftswoche. Yves war 2650 Gramm schwer. Er konnte sich bewegen und aus der Flasche trinken. Für Sandra Geiger damals ein Hochgefühl.

Das, was die Frauenärzte beim Ultraschall als schwarze Schatten in Yves Kopf gesehen hatten, drückte in einer Beule aus dem kleinen Kinderschädel heraus: Wasser. Die Mediziner stellen fest, dass der Ablaufkanal für die Hirnflüssigkeit in Yves Rückenmark fehlt. An seinem dritten Lebenstag wird der Junge zum ersten Mal operiert. Ein Ventil wird an seinem Kopf eingesetzt. Dadurch kann überschüssiges Hirnwasser durch einen Schlauch, der unter die Haut gelegt wird, vom Kopf in den Bauchraum abfließen.

Mit diesem System konnte Yves aufwachsen wie jedes andere Kind. Die Schäden, die der erhöhte Wasserdruck im Säuglingsgehirn angerichtet hat, waren gering. Jürgen Geiger legt einen Film ein. Über den Fernsehbildschirm flimmert das Bild des kleinen Yves, wie er hüpft, neugierig in die Kamera schaut. Er hat sprechen gelernt, konnte nach Frühförderung in den Kindergarten gehen, tanzte gerne zu Musik. Ein Test zeigt: "Er war nur ein halbes Jahr in seiner Entwicklung verzögert", sagt Sandra Geiger. Jürgen Geiger streicht Yves während des Gesprächs immer wieder über den Kopf.

Am 10. Oktober 2011, Yves ist dreieinhalb Jahre alt, geht alles von vorne los, was Geigers überwunden geglaubt hatten. Yves muss sich am Morgen übergeben. Magen-Darm-Grippe, aus dem Kindergarten mitgebracht, denkt Sandra Geiger. Als er schwächer wird, fahren sie zur Kinderärztin nach Freudenstadt. "Da hat er seine letzten Worte gesprochen: Ich bin so allein", sagt Jürgen Geiger mit erstickter Stimme.

Wie sich später herausstellt, hat das Eiweiß in Yves Hirnflüssigkeit das Ventil des künstlichen Abflusssystems verstopft. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird das Kind bewusstlos. Der Wasserdruck in Yves Gehirn steigt so weit, dass es die wichtigsten Funktionen nicht mehr ausführt. Die Atmung fällt aus. Erst als das Ventil im Krankenhaus punktiert wird, lässt der Druck nach. Yves wird operiert, ein neues System eingesetzt. "In einer Woche sind Sie wieder draußen, sagte uns ein Arzt in Tübingen. An den Satz kann ich mich noch erinnern", sagt Sandra Geiger. Danach verschwimmt die Zeit zwischen Hiobsbotschaften.

Yves wird in den Wachzustand geholt. Als er die Augen aufschlägt, sind seine Pupillen unterschiedlich groß. Ein Alarmsignal für die Ärzte. Durch den Sauerstoffmangel war das Gehirn so sehr angeschwollen, dass das gesamte Hirnwasser verdrängt worden war. "Das Gehirn lag quasi trocken", erklärt Jürgen Geiger und fasst bei der Erklärung immer wieder an seinen eigenen Kopf, um klar zu machen, worum es geht. Er kennt sich aus mit Fachbegriffen und medizinischen Feinheiten. Der einzige Ausweg damals: Den Schädel aufschneiden, so dass das Gehirn mehr Platz hat. Rechts und links wird der Schädelknochen entfernt, nur ein Steg in der Mitte bleibt stehen. "Ihr Kind wird nicht überleben", sagt eine Ärztin.

"Auf seine Weise bekommt er alles mit"

Warten. Bangen. Fürchten. Tagelang. Muss er das noch weiter durchmachen? Die Eltern waren psychisch am Ende. Sie hätten gerne Yves Schmerzen gelindert und ihn gehen lassen. "Aber der Chirurg hätte dafür sehen müssen, dass das ganze Gehirn kaputt ist", sagt Jürgen Geiger, "und das konnte er nicht eindeutig sagen." Unterlagen für die Organspende hatten sie schon ausgefüllt. Die Eltern hatten keine Kraft mehr. Der kleine Kämpfer, wie ihn sein Vater immer nennt, aber doch.

Sechs Wochen später beginnt eine halbjährige Reha in einer Spezialklinik im bayerischen Vogtareuth. Yves atmet inzwischen selbstständig. Über einen Luftröhrenschnitt wird er mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt. Ernährt wird er über eine Magensonde, "Pute, Mais, Karotte", sagt Sandra Geiger. Wachkoma heißt die Diagnose der Ärzte. "Auf seine Weise bekommt er alles mit", ist der Vater überzeugt.

6. Juni 2012. Sandra Geiger kommt mit Yves zurück in das Häuschen in Igelsberg. "Wir hatten erstmal Chaos", sagt sie. "Wie kriegen wir das alles hin?" Die Angst vor dem Moment, in dem das kleine Überwachungsgerät piept, weil Yves Atmung aussetzt. Was tun, wenn sich der kleine Körper verkrampft, was mehrmals täglich passiert? Die Angst hat sich gelegt. Wenn Yves erschrickt und ganz starr wird, beugt sie sich über ihn. Es wirkt als ob sie in seine Welt abtaucht, um ihn zu beruhigen. Drumherum wuselt Yves kleine Schwester Merle (2) und Hund Romeo. Yves ist immer mitten drin im Familienleben.

Sandra Geiger setzt ihn auf, lehnt ihn am Sofa gegen ihren Oberkörper, massiert ihm die Ohrläppchen. "Woher ich die Kraft nehme, weiß ich nicht so genau", sagt sie. "Es ist mein Kind." Ihr Mann wird von einer unbestimmten Hoffnung getragen. "Der Glaube, dass es immer weitergeht, gibt mir Kraft."

Täglich kommt ein Pflegedienst über Nacht ins Haus, der von 22 bis 7 Uhr bei Yves ist und reagiert, falls der Alarm losgeht. Von 8 bis 14 Uhr wird Yves ebenfalls von einem Pflegedienst versorgt, sodass Sandra Geiger Zeit für Merle und den Haushalt hat. Zweimal pro Woche ist Yves für je vier Stunden in einem Kindergarten "für besondere Kinder", sagt Sandra Geiger, in Dornstetten.

Ringen um Einordnung in höchste Pflegestufe

Doch um die Einordnung in die höchste Pflegestufe musste die Familie ringen. Ingrid Grossmann-Reck von der Schwangerschaftsberatung Donum Vitae begleitet die Familie seit vier Jahren und hat beim Papierkrieg geholfen. Und beim ewigen Kampf um Geld. Das fehlt. Jürgen Geiger schult gerade zum Altenpfleger um, um den Weg aus der Privatinsolvenz zu finden, die er vor vier Jahren anmelden musste. Ein Mineralienhandel hatte damals nicht genug abgeworfen. Das Igelsberger Haus ist eng, über drei Stockwerke erstreckt sich die Wohnung. Im Januar steht ein Umzug in eine behindertengerechte Wohnung in Waldachtal-Lützenhardt an, wo Apotheke und Einkaufsmöglichkeit nur ums Eck liegen. Das Auto der Familie ist 14 Jahre alt und auch nicht behindertengerecht ausgestattet – ein neues kann sich die Familie nicht leisten. Die Patentante von Yves, Anja Störzer, und ihr Mann Uwe haben deshalb die Aktion "Waldachtal hilft" ins Leben gerufen. Die Lützenhardter Vereine und Donum Vitae organisieren eine Spendenaktion. Am 17. Februar wird es einen Aktionstag im Haus des Gastes in Jürgen Geigers Heimatort Lützenhardt geben. Ein ökumenischer Gottesdienst macht den Auftakt. Anschließend gibt es Mittagessen, Kaffee und Kuchen und Unterhaltung vom Musikverein. Yves mag Musik. Benjamin Blümchen, und Mozart hört er gerne, sagt der Papa und hält seinem Sohn die Hand. "Gell, Großer."

Spenden sind möglich unter den Kontos: Empfänger: Donum Vitae; Kontonummer: 38666006; Volksbank eG Horb-Freudenstadt, BLZ 64291010; Betreff: Spende Yves Geiger