Nach 35 Jahren als Landarzt im Waldachtal geht Horst Richter in den Ruhestand / Nachfolgerin übernimmt ab morgen die Praxis

Von Eberhard Wagner

Waldachtal-Lützenhardt. Nach 43 Jahren ärztlicher Tätigkeit, davon 35 Jahre als Haus- und Landarzt in Waldachtal, bricht heute, am 15. Oktober, für Dr. med. Horst Richter, Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmedizin, der letzte Arbeitstag an.

Ab morgen übernimmt die Ärztin Lacramioara-Cerasela Miclaus als seine Nachfolgerin dessen Praxis in Lützenhardt. Nach dem Motto: "Irgendwann ist es genug" will Horst Richter nun endlich seinen wohlverdienten Ruhestand genießen.

Richter ist gebürtiger Bayer. Die letzten Gymnasialjahre bis zum Abitur verbrachte er am Bodensee. In dieser Zeit lernte er im evangelischen Jugendkreis seine spätere Frau Rosemarie kennen. Das Studium der Medizin in Bonn und Freiburg schloss Richter 1971 mit dem Staatsexamen erfolgreich ab – gleichzeitig erhielt er seinen Doktortitel. Obwohl er zuerst in der Neurologie der Universitätsklinik Freiburg weiterhin wissenschaftlich tätig sein wollte, änderte ein Notfalleinsatz bei einem Schwerstverletzten seine Einstellung. Nach einer 15 Monate währenden Wehrdienstzeit als Stabsarzt strebte er ganz gezielt den Facharzt für Chirurgie an.

Aufgrund der vielfältigen chirurgischen und unfallchirurgischen Möglichkeiten wechselte er von Achern nach Hamm in Nordrehin-Westfalen: Hier wurde der notwendige "OP-Katalog" schnell erreicht und damit auch der Facharzt für Chirurgie. In der damaligen Zeit bedeutete dies: Dreimal in der Woche musste 36 Stunden durchgearbeitet werden, dazwischen wurde normal acht bis neun Stunden gearbeitet. Manchmal kamen so beim Wochenendeinsatz 56 Stunden ohne Unterbrechung zusammen. "Diese Arbeitszeiten waren damals völlig normal", erinnert sich Richter. "Da bist du nur heimgegangen, um endlich mal zu schlafen." Diese Arbeitszeiten führten dazu, dass selbst seine Tochter "fremdelte". "Da wurde es höchste Zeit, das Ruder herumzureißen", erinnert sich der Mediziner.

Er beschloss, nach Baden-Württemberg zurückzukehren, um sich als Haus- und Landarzt niederzulassen. Ebenso hegte er die Hoffnung, ein gemütlicheres Familienleben zu führen, doch auch dort war es dem Arzt nicht gegönnt: Von Montag 0 Uhr bis Samstag 12 Uhr herrschte an seinem neuen Einsatzort rund um die Uhr Dienstbereitschaft; der geregelte Notdienst bestand nur von Samstag 12 Uhr bis Montag 0 Uhr. "Erst in letzter Zeit wurden gezwungenermaßen wegen des zunehmenden Ärztemangels die Dienstbereitschaften und die Notdienste mit Genehmigung der Krankenversicherung geändert", weiß Richter.

Nach Besichtigung vieler sehr gut gehenden Praxen in Baden-Württemberg fuhr er, damals auf Bitten des Alt-Bürgermeisters Rudolf Axt, im Winter 1978 in das tief verschneite Waldachtal.

Am 7. Januar 1980 eröffnete er seine Praxis in Lützenhardt

Richter war so begeistert von der Landschaft, der lieblichen Lage und der "heimeligen Atmosphäre" Waldachtals, dass er sich spontan entschloss: "Hier bleibe ich, hier lasse ich mich als Arzt nieder." So eröffnete er am 7. Januar 1980 seine Landarztpraxis in Waldachtal-Lützenhardt. Seine Patienten dankten es ihm treu, suchten sie doch schon seit Jahren nach einem guten, niedergelassenen Arzt. Ein weiterer Effekt für das Waldachtal: Lützenhardt erhielt nun durch die Niederlassung eines Arztes das Prädikat Luftkurort.

Aufgrund der Ausbildung als Facharzt für Chirurgie erhielt Richter von der Berufsgenossenschaft die Genehmigung, auch alle BG-Unfälle behandeln zu dürfen. Damit gestaltete sich der Praxisalltag in seiner Landarztpraxis in den 35 Jahren recht spannend und sehr facettenreich. In den darauffolgenden Jahren baute er das Kurhotel Pfeiffer zu einer Rehabilitationsklinik auf und leitete diese bis 2007; auch das Kurhotel Sattelackerhof stand unter seiner Regie. Derzeit arbeitet Richter noch als Honorararzt in der Fachklinik Sonnenhof.

In den 35 Jahren entstand in der Gesamtgemeinde Waldachtal so manche tiefe Patientenbeziehung, die oft über drei Generationen hinweg hielt. In all den Jahren war ihm seine Frau Rosemarie eine große Hilfe: "Ohne sie hätte ich diese Leistungen nicht bringen können. Meine Frau verzichtete selbstlos auf ihre eigene Karriere, hat die gesamte Verwaltung übernommen und obendrein sehr oft auch in der Praxis mitgeholfen. So konnte ich mich ganz auf die Medizin konzentrieren."

Bei der Suche nach einem Nachfolger erfuhr er keine Hilfe

Seit Vollendung des 65. Lebensjahres suchte Richter intensiv nach einem Nachfolger für seine Praxis. Obwohl die Politik "vollmundig" die Förderung der Landärzte unterstützen will, erfuhr er keinerlei Hilfe bezüglich der Nachfolgeregelung. Mit etwas Glück fand er schließlich Dr. medic Lacramioara-Cerasela Miclaus: "Sie ist eine sehr engagierte und hoch motivierte Ärztin, die nach den unendlich vielen vorgeschriebenen Pflichtfortbildungen und Seminaren letztlich ab Januar 2014 die Praxis übernehmen konnte", schildert Richter.

Die Ärztin begleitete Richter die letzten neun Monate helfend und wird die Praxis ab dem 16. Oktober alleine führen. Die Gemeinde darf sich glücklich schätzen: In der heutigen Zeit ist es keine Selbstverständlichkeit, für eine Landarztpraxis einen geeigneten Nachfolger zu finden.

Richter war jedoch nicht nur Arzt mit Herz und Leidenschaft, sondern er nimmt auch weiterhin intensiv am Gemeindeleben Waldachtals teil. Er engagiert sich in vielen örtlichen Vereinen wie etwa dem Tennisclub Lützenhardt, wo er 19 Jahre lang deren Vorsitzender war. Für den Gemeinderat Waldachtal wurde er im Mai zum vierten Mal wiedergewählt. So wird er auch weiterhin mit seinem Engagement für die Bürger in Waldachtal verbunden bleiben.

Ab Morgen will er die freie Zeit insbesondere seiner Familie widmen, die, wie er zugibt, in den 43 Jahren ärztlicher Tätigkeit viel zu kurz gekommen ist. Vielleicht wird er auch endlich wieder Zeit finden, japanische Gärten zu besuchen, denn diese gehören zu seinen Favoriten. "Sie strahlen eine herrliche Ruhe und Harmonie aus", erklärt Richter. Auch deshalb hat er sich vor Jahren einen eigenen japanischen Garten hinter seiner Praxis angelegt. Dort sitzt er, wann immer er Zeit hat und sinnt dann auch über seine Hobbies nach: "Ich werde wieder Tennis spielen, Filme für den Video-Club drehen oder eine Familienchronik erstellen", sagt der 68-jährige Mediziner. "Vielleicht schreibe ich ja auch ein Buch über das Leben eines Landarztes?", orakelt Richter. Dass der Mediziner und Menschenfreund für dieses Unterfangen über mehr als genügend Erfahrung verfügt, dürfte wohl niemand ernsthaft bezweifeln.

Heute wird ihn allerdings niemand mehr in seiner Praxis antreffen, denn 21 Hausbesuche stehen auf seinem Programm. "Das ist meine letzte, offizielle Runde – es ist Zeit geworden, mich zu verabschieden." Ganz von der Bildfläche verschwinden wird er wohl doch nicht, denn vielleicht kehrt er ja ab und zu als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung anderer Ärzte zurück.