Bevor man eine Information weiterleitet, sollte man sie immer prüfen. Foto: dpa/Yui Mok

Auch in Deutschland gibt es Desinformation – und zwar nicht nur im Internet. Wie sie sich verbreitet und was das für die kommenden Wahlen bedeutet, erklärt die Psychologin Lea Frühwirth.

Vor Deutschland liegt ein Superwahljahr. Schon jetzt warnen Experten davor, dass sich rund um den Wahlkampf gezielte Falschmeldungen verbreiten werden: sogenannte Desinformation. Wie das funktioniert, weiß die Psychologin Lea Frühwirth, die bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) in Berlin zu dem Thema forscht. Im Interview erzählt sie, wie mit Falschmeldungen Wahlen manipuliert werden, wie sie sich verbreiten und wie man sich davor schützen kann.

Frau Frühwirth, als Journalistin sollten mir eigentlich keine Fehler unterlaufen. Wenn es aber doch passieren würde: Wäre das dann Desinformation?

Nein. Entscheidend ist, mit welcher Absicht die Informationen gestreut werden. Von Desinformation spricht man, wenn bewusst falsche Fakten verbreitet werden, um Schaden zu verursachen. Oft geht es darum, gesellschaftliche Verunsicherung auszulösen.

Im Juni wird über das europäische Parlament abgestimmt, im Herbst über die Landtage in drei ostdeutschen Bundesländern. Wie wird Desinformation diese Wahlen beeinflussen?

Es wird wahrscheinlich Versuche geben, bestimmte Erzählungen zu streuen, die sich auf Wahlentscheidungen auswirken können. Wahlen sind ein klassischer Anlass für Beeinflussungsversuche. Die Vorbereitungen können schon ein Jahr vorher beginnen. Das geht dann auch über den Wahltag hinaus. Denken Sie an die Abwahl von Donald Trump vor vier Jahren. Auch danach hielt sich zum Beispiel die Falschbehauptung, dass ihm die Wahl „gestohlen“ worden sei.

Befürchten Sie, dass sich Desinformation bei den kommenden Wahlen in Deutschland auf die Ergebnisse auswirken könnte?

Das ist gut möglich. Trotzdem lässt sich das nicht klar beantworten. Für ein Wahlergebnis gibt es immer viele Ursachen. Den Einfluss einzelner Faktoren kann man nicht so einfach messen.

Wie gehen Sie dann als Forscherin vor?

Man kann sich beispielsweise anschauen, welche falschen Narrative sich verbreiten und wie die Gesellschaft darauf reagiert. Wir haben etwa nach der Eskalation des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 einen starken Anstieg an prorussischen Propagandainhalten in Deutschland beobachtet. Es gab bestimmte Erzählungen, die in einzelnen Meldungen immer wieder auftauchten: zum Beispiel, dass die Ukraine von Nazis regiert würde oder dass Selenskyj Drogen nehme. Wir haben Menschen im Verlauf des Jahres nach der Eskalation zum Angriffskrieg befragt, wie sie zu bestimmten prorussischen Propaganda- und Verschwörungserzählungen stehen. Und konnten einen Anstieg der Zustimmungswerte feststellen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wir haben Leuten unter anderem die Aussage vorgelegt: „Putin geht gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht.“ Im April 2022 haben 12 Prozent der Befragten dieser Aussage zugestimmt. Im Oktober waren es dann schon 18 Prozent. Aber wie ich sagte: Trotzdem kann man nicht genau sagen, welchen Anteil Desinformation und Propaganda daran hatten. Es gibt eben immer weitere Faktoren.

Wie verbreiten sich solche Narrative?

Das ist sehr vielseitig. Viel davon passiert im Internet. Wer soziale Medien nutzt, muss dort aktuell mit Desinformation rechnen. Aber Desinformation kann sich auch in der analogen Welt verbreiten. Sie kann überall passieren, wo Menschen miteinander kommunizieren – und dort auch unwissentlich geteilt werden, also zur Falschinformation werden. Zum Beispiel beim Plausch in der Kaffeeküche mit einem Kollegen. Oder ich finde sie als Flyer in meinem Briefkasten. Das ist alles möglich.

Wer hat ein Interesse daran, Desinformation zu streuen?

Es gibt die Vorstellung, dass Russland hinter aller Desinformation stecken würde. Richtig ist: Russland ist ein wichtiger Akteur, der Desinformation bewusst einsetzt. Aber nicht der einzige. Auch China und der Iran versuchen, andere Gesellschaften zu beeinflussen. Neben Staaten können es aber auch politische Gruppen mit bestimmten Interessen sein, die versuchen, den Diskurs zu manipulieren.

Wie kann man sich als Bürgerin und Bürger davor schützen, auf Desinformation hereinzufallen?

Viele glauben, dass Desinformation etwas sei, worauf alle anderen hereinfallen – nur man selbst nicht. Aber das ist falsch. Wenn Desinformation mir etwa eine Erzählung anbietet, die zu meinem Weltbild passt, dann prüfe ich es weniger. Oft geht es um Inhalte, die mich empören oder emotional berühren. Das kann ein Warnzeichen sein. Wenn eine Meldung starke Emotionen in mir auslöst, sollte ich besonders vorsichtig sein – und die Information auf keinen Fall teilen, bevor ich sie geprüft habe.