DHB-Vizepräsident Bob Hanning ist ein Denker und ein Macher. Foto: dpa

Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes Bob Hanning spricht im Interview über die WM-Chancen des deutschen Teams, TV-Gelder, die Müllabfuhr und die Bundestrainer-Suche.

Rouen - DHB-Vizepräsident Bob Hanning spricht über die WM-Chancen der deutschen Handballer, das Niveau des Turniers, den Ärger über die fehlenden Liveübertragungen im Fernsehen und den möglichen Nachfolger des scheidenden Bundestrainers Dagur Sigurdsson.

Herr Hanning, stimmt es, dass Sie sagen, was Sie denken?
Ja.
Dann sagen Sie uns doch, ob Sie denken, dass Deutschland Weltmeister wird.
Jetzt werde ich gleich mit den eigenen Waffen geschlagen (lacht). Ich glaube, dass es Mannschaften gibt, die weiter sind als wir. Explizit die Franzosen und die Dänen. Es gibt Mannschaften, die auf Augenhöhe mit uns sind, wie Spanien. Alle diese Teams können wir an jedem Tag schlagen. Aber ich sage ebenso ganz ehrlich: Wir können auch gegen die Slowenen verlieren.
Sie sind der Frage ein bisschen ausgewichen.
Was ich in dieser Mannschaft spüre, ist die Lust auf den Titel. Von daher sage ich: Ja, wir können Weltmeister werden, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht höher, als dass wir es nicht werden.
Wie beurteilen Sie den bisherigen Verlauf?
Er bereitet mir große Sorgen.
Sie machen Witze?
Nein. Der Vorteil ist zwar, dass wir bisher in unserer Gruppe wenig Körner gelassen haben. Da hat das Training bei den Bundesligisten in der Heimat die Spieler sicher mehr Kraft gekostet als unsere bisherigen WM-Auftritte. Aber die richtig schweren Spiele fehlten uns – genau das bereitet mir Sorgen.
Einmal in der K.-o.-Phase nicht auf der Höhe...
…und schon fährst du nach Hause. Deshalb ist auch der Härtetest gegen Kroatien so wichtig. Wir brauchen das Gefühl, einen großen Gegner geschlagen zu haben. Mal ganz davon abgesehen, dass wir gerne in Paris weiterspielen wollen und nicht 700 Kilometer weiter weg in Montpellier.
Sie wirken äußerst entspannt. Täuscht der Eindruck?
Keineswegs. Während eines großen Turniers habe ich die meiste Zeit. Da bin ich auch am kreativsten, weil ich am meisten schlafe. Ich führe viele Gespräche und beschäftige mich auch frühzeitig mit der Karriereplanung einzelner Spieler. Es müssen ja nicht alle TV-Experten werden.
Wie sieht so etwas aus?
Nehmen wir zum Beispiel Carsten Lichtlein. Ihn will ich zum Torwart-Trainer der Nationalmannschaft machen. Da gehört es dazu, dass ich auch mit seinem Verein über eine entsprechende theoretische Ausbildung rede. Oder ich beschäftige mich mit unseren künftigen Strukturen.
In denen der bisherige Co-Trainer Axel Kromer Sportdirektor werden soll?
Ja, das wäre mein Wunsch. Er hat das Geschäft von der Pike auf in einem der führenden Landesverbände in Württemberg gelernt. Wolfgang Sommerfeld wird uns in anderer Funktion erhalten bleiben. Er ist ein Riesengewinn für den Deutschen Handballbund. Seine Qualität dürfen wir unter keinen Umständen verlieren.
Ist der die Tinte unter dem Vertrag von Kromer schon trocken?
Axel und der Verband müssen sich noch auf einen Vertrag einigen.

Bob Hanning über den TV-Blackout und Sigurdssons Nachfolger

Reden wir über das Ärgernis, dass die WM in Deutschland nicht im Fernsehen übertragen wird.
Das ist eine Katastrophe.
Und schuld daran ist der geldgierige Weltverband IHF, der den Ast absägt, auf dem der Handball sitzt?
Präsident Hassan Moustafa ist ein Geschäftsmann. Ohne dass ich irgendwelche Berührungspunkte zu ihm hätte, muss ich klar sagen: Ich hätte genauso entschieden. Wenn er dieses Angebot von beIN Sports (Anm. d. Red.: rund 81 Millionen Euro für die weltweiten Rechten an den WM-Turnieren 2015 und 2017) ausgeschlagen hätte, hätte er sich strafbar gemacht.
Warum?
Weil er gegen die Interessen des gesamten Handballs verstoßen hätte – und das nur zum Wohl eines einzelnen Landes.
Deutschland.
Wir dürfen nicht immer nur von unserem hohem Ross herunterschauen. Es ist typisch deutsch immer zu sagen: Die anderen sind schuld. Überall auf der Welt bekommt man eine technische Lösung hin, nur bei uns nicht. Vielleicht hat Frau Merkel ja recht, dass wir in Deutschland aufpassen müssen, das digitale Zeitalter nicht zu verschlafen.
Warum hat Deutschland so wenig Einfluss in der IHF?
Weil wir es jahrelang verpasst haben, kompetente Leute dort zu installieren. Inzwischen haben wir zum Beispiel in Mark Schober, Jutta Ehrmann und Klaus Feldmann gute Leute in den Gremien drin.
Im Dezember findet die Frauen-WM in Deutschland statt. Kann es sein, dass auch von diesem Ereignis nichts im frei-empfangbaren TV zu sehen sein wird?
Ja. Wir sind nur ein Spielball, ich kann leider nichts versprechen. Aber völlig klar ist: Erneut eine schwarze Mattscheibe wäre ein riesiger Schaden für den Frauen-Handball.
Sie bekommen für Ihre Aussagen häufig Prügel. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe mir eine Darts-Scheibe gekauft und entschieden, dass man mich nicht treffen kann.
Prallt das alles wirklich an Ihnen ab?
Ich scheue keine Konfrontation, wenn ich von einer Sache überzeugt bin. Von meinen Freunden mal abgesehen, ist mir auch egal, was andere über mich denken.
Ex-Bundestrainer Heiner Brand warf Ihnen sogar eine „narzisstische Störung“ vor.
Wir haben im Präsidium die Verantwortung, die Macht im Sinne des Handballs einzusetzen. Das macht mir persönlich viel Spaß. Zum Brand-System äußere ich mich schon lange nicht mehr. Ich möchte diese Erfolgsgeschichte zu Ende erzählen. Die nächste kann dann ein anderer erzählen.
Wann wird das sein?
Ich werde im Februar 49. Die Zeit zwischen dem 48. und 55. Lebensjahr ist in der Regel die Schönste des Lebens. Man hat noch keine Zipperlein, aber schon genügend Lebenserfahrung. Ich liebe den Handball, er ist meine Leidenschaft. Dem opfere ich eine Zeit lang alles. Ich werde mich noch einmal wählen lassen, aber eine dritte Amtsperiode gibt es nicht. Ist das Projekt 2020 abgeschlossen, ist definitiv Schluss beim DHB.
Was machen Sie dann?
Auf den Malediven könnte ich es nicht nur ein paar Wochen aushalten (schmunzelt). Das ist für mich ein Paradies. Aber ich habe ja auch noch die Geschäftsführer-Aufgabe bei den Füchsen Berlin. Das ist meine Familie. Und dort ist es meine Vision – nach dem Vorbild des FC Barcelona – mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs deutscher Meister zu werden.
Muss Ihr Jugendspieler, wenn er die Schule schwänzt, immer noch für einen Tag zum Arbeiten zur Müllabfuhr?
Es gibt viele Möglichkeiten, den Spielern begreiflich zu machen, welch ein Privileg es ist, eines Tages als Handballer sein Geld zu verdienen. Respekt ist einer der Werte, die wir bei den Füchsen den Heranwachsenden vermitteln.
Zurück zum DHB. Dagur Sigurdsson hört schon nach der WM auf. Es kam der Vorwurf auf, Sie hätten nicht genug um ihn gekämpft.
Wir haben entschieden, uns dazu während der WM nicht zu äußern. Nur so viel: Dagur hat den Handball in Deutschland wieder in die Weltspitze gebracht. Ich habe ihn gegen viele Widerstände durchgesetzt. Die, die jetzt am lautesten kritisieren, haben damals ihre Favoriten nicht durchgebracht und gesagt: Der Hanning mit seiner Vision vom Olympiasieg 2020 muss zum Arzt.
Und jetzt wird Markus Baur vom TVB Stuttgart Sigurdssons Nachfolger, weil der SC DHfK Leipzig eine zu hohe Ablösesumme für Christian Prokop fordert?
Das kann so kommen. Beide Lösungen können kommen. Und ich stehe auch hinter beiden Lösungen. Beide können das Projekt mit mir gemeinsam zu Ende bringen. Aber während der WM reden wir darüber nicht.
Wäre ein aktueller Gewinn des WM-Titels nicht ein undankbarer Start für den Nachfolger?
Jeder Erfolg bringt uns weiter.