47-jähiger Rollstuhlfahrerin kann Haus ohne Hilfe nicht verlassen / Neue Bleibe mit bezahlbarer Miete gesucht

Von Martina Zieglwalner

Villingen-Schwenningen. Sie lebt wie eine Gefangene in ihrer Wohnung, kann das Haus nur mit Unterstützung von Hilfsorganisationen verlassen und findet keine behindertengerechte Bleibe, die für sie bezahlbar ist.

Eine 47-jährige Frau aus Schwenningen, die unter multipler Sklerose (MS) leidet und auf den Rollstuhl angewiesen ist. Seit 18 Jahren lebt sie im dritten Stock, hat sich in ihren vier Wänden ein Nest gebaut, in dem sie sich wohlfühlt. Das sich aber auch als Käfig erwiesen hat.

Seit fünf Jahren sitzt sie im Rollstuhl und kommt nur noch nach draußen, wenn sie zu Ärzten oder ins Krankenhaus muss. Dann tragen sie Mitarbeiter des Roten Kreuzes über die steile und enge Treppe.

Bis es gar nicht mehr ging, sei sie auf allen vieren nach unten gekrochen, erzählt die 47-Jährige, habe sich auch auf die Suche nach einer geeigneten Wohnung in einem Haus mit Aufzug gemacht. Ohne Erfolg.

Ob Altbauwohnungen mit zu vielen Stufen und zu engen Türen für den Rollstuhl oder für sie unbezahlbare Luxuswohnungen, nichts kam in Frage. "Wenn heute gebaut wird, dann sind es Wohnungen mit gehobenem Standard, das ist für mich mit meiner Frührente unerschwinglich", schildert sie ihre Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt. Auch betreutes Wohnen sei zu teuer für ihren Geldbeutel.

Jetzt hat sich der Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt eingeschaltet. Hannelore Radigk vom Beirat und der Behindertenbeauftragten Renate Gravenstein ist es ein Anliegen, für die Frau möglichst schnell eine Lösung zu finden, aber auch verstärkt auf das gesellschaftliche Problem aufmerksam zu machen. Für die beiden ist das Schicksal der 47-Jährigen kein Einzelfall.

Denn die als Menschenrecht für Menschen mit Behinderungen erklärte Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller am Leben, sei längst nicht umgesetzt. Da sei auch die Stadt gefordert, beispielsweise für bezahlbaren behindertengerechten Wohnraum zu sorgen.

Es gelte, nicht nur den Profit im Kopf zu haben, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen. "Eigentlich müssten bei jedem Neubau zumindest die Wohnungen in den ersten zwei Stockwerken barrierefrei sein", nennt Hannelore Radigk eine Vorgabe, für die sich der Beirat stark machen möchte.

"Ich will so lange wie möglich selbstbestimmt leben", nennt denn auch die Rollstuhlfahrerin ihren festen Willen. Und zeigt sich entsetzt vom ernst gemeinten Vorschlag, doch in eine Senioreneinrichtung zu ziehen. "Ich kämpfe jeden Tag, dass ich nicht in ein Heim komme", betont sie. Ein Netzwerk an Freunden steht ihr Tag für Tag in diesem Kampf zur Seite. Einkäufe sind zu erledigen, das Essen zu kochen oder die Post aus dem Briefkasten zu holen.

Da fehle es grundsätzlich an Unterstützung für Menschen mit Behinderungen, beispielweise einem Besuchsdienst, Nachbarschaftshilfe oder Schülern, die auf ein Gespräch oder zum Vorlesen vorbeischauen. "Es gäbe bestimmt viele Menschen, die ein solches Angebot gerne annehmen würden", ist sich Renate Gravenstein sicher, dass solche Modelle gefragt sind.

"Ich würde einfach gerne mal wieder unter Menschen gehen oder an der frische Luft sein", bringt die 47-Jährige ihre elementaren Wünsche auf den Punkt. Die nur in Erfüllung gehen, wenn sie eine barrierefreie und billige Wohnung findet. Möglichst in der Innenstadt, um auch mal selbstständig in Geschäfte oder ein Café zu kommen. Nach Jahren des Eingesperrtseins sehnt sie sich nach einem möglichst eigenständigen Leben.