Porträt: Hagelflieger-Berufspilot Sebastian Keller seit zwei Jahren mit an Bord / "Ich glaube an das Prinzip"
"Ich dürfte auch eine A-380 fliegen", erzählt Sebastian Keller im Cockpit der zweimotorigen Patenavia P 68, dem Hagelflieger der Landkreise Schwarzwald-Baar und Tuttlingen.
Villingen-Schwenningen. Nur ein Berufspilot darf die Maschine steuern, Hobbypiloten ohne zusätzliche Ausbildung im Instrumentenflug können die Aufgabe nicht übernehmen.
Die Maschine Baujahr 1975, kürzlich auf dem Schwenninger Flugplatzfest zu bestaunen, ist voll auf den Instrumentenflug aufgerüstet. Damit ist auch eine Orientierung möglich, wenn die Sicht nicht mehr gegeben ist. Genau dies kann bei einem Einsatz durchaus passieren.
Unterhalb der Wolken
Normalerweise kreist der Hagelflieger unterhalb der Gewitterwolken und versprüht dort das Silberjodid, welches Kristallisationskerne für die Wassermoleküle der aufgeladen Wolken bietet, damit sich, wenn überhaupt, nur möglichst kleine Hagelkörner bilden. Das Mittel wird von der Wolken förmlich aufgesogen.
Gerät die Maschine selbst in die dunklen Wolken hinein und geht dabei die Sicht verloren, hilft auch die Orientierung an der Schwerkraft nicht mehr. "Es ist eben nicht immer nur sie, welche uns in den Sitz presst. Auch eine Kurve oder ein starker Aufwind kann dies tun und schon trügt die natürliche Orientierung kräftig", erzählt Sebastian Keller. Das Gefühl für Oben und Unten gehe verloren – nur noch die Technik können dann helfen.
Wäre es nicht spannender statt einer im Verhältnis kleinen zweimotorigen Maschine mit engem Cockpit und Einsatzgebiet über zwei Landkreisen einen riesigen Airbus mit 300-fachem Gewicht, 800 Passagieren und der ganzen Welt als Reichweite zu fliegen? Sebastian Keller, seit 2016 mit im Team des Hagelfliegers, winkt ab und sagt eindeutig nein. "Letztlich ist die Airline-Fliegerei nichts anderes als eine Art Busfahren. Das wird irgendwann langweilig, weil es immer das Gleiche ist."
Im Gewitter über den Orten der beiden Landkreise kann es hingegen ganz schön spannend werden: Elf Einsätze hatte er bereits in diesem Jahr, 2016 waren es zehn. Anders als in der Verkehrsfliegerei wird meistens alleine geflogen.
Wirksamkeit nicht sicher
Und: Das Hagelflieger-Fliegen basiert auf Bereitschaftsdienst. Keller betreibt es im Nebenberuf. Nicht jede Region in Deutschland, welche schon einmal von stärkstem Hagel heimgesucht wurde, unterhält einen solchen, zumindest potenziellen Schutz.
Die Wirksamkeit des versprühten Silberjodids ist bislang wissenschaftlich nicht sicher nachgewiesen. Immerhin kam es im Schwarzwald-Baar-Kreis seit dem verheerenden Hagelunwetter 2006, bei dem Tennisball-große Hagelkörner in Villingen-Schwenningen, Mönchweiler, Trossingen und Dauchingen durch die vorherige Bildung einer gewaltigen Gewitter-Superzelle rund 120 Menschen verletzten und Dächer wie auch Autos zerschlugen, zu keinen derartigen Zerstörungen mehr.
Sebastian Keller glaubt an das Prinzip. Mehr noch: Sogar Schadstoffe könnten solche Kristallisationskerne bilden. Im Ruhrgebiet mit seiner früheren Schwerindustrie und den damit verbundenen hochaufsteigenden Abgasen sei Niederschlag so gut wie immer nur als Regen, nicht als Hagel gefallen.
"Wir wohnen für die Bildung von Hagelkörnern eigentlich schon zu sauber", lacht er.
"Wir hätten sie gebraucht"
Aus Villingendorf erhielt der Verein zur Hagelabwehr im Sommer die nachfolgende Nachricht eines Bürgers: "Am vergangenen Freitag – Spätnachmittag – hätten wir Villingendorfer den Einsatz eines Hagelfliegers gebraucht, denn mit ungeheurer Wucht fegte ein Hagelgewitter über die Raumschaft Rottweil-Nord und Villingendorf und hinterließ durch den großkörnigen Hagel viele Schäden." Im Kreis Rottweil wird an die Wirksamkeit des Hagelfliegers bislang offiziell nicht geglaubt und der Flieger von der Politik nicht unterstützt.