Kein erhöhtes Risiko von islamistischen Tendenzen in Villingen-Schwenningen / Stärker Stellung beziehen

Villingen-Schwenningen. Jan Kizilhan ist Professor an der Dualen Hochschule (DH) in Schwenningen und leitet dort den Studiengang Psychische Erkrankungen und Sucht. Zudem hat er in Psychologie und Orientalistik promoviert, forscht dazu international und berät weltweit Institutionen und Regierungen. Der Schwarzwälder Bote sprach mit ihm über seine Sichtweise zum aktuellen Terrorismus-Problem und den Auswirkungen auf VS.

Wie haben Sie persönlich auf die blutigen Anschläge in Paris reagiert?

Natürlich war ich sehr geschockt und emotional betroffen, aber überrascht hat mich die Vorgehensweise der Terroristen nicht.

Als die IS-Anhänger im Juli 2014 in den Irak einmarschiert sind, haben sie den Christen und anderen Religionen in der Welt den Krieg erklärt. Daher war zu erwarten, dass sie hier weitere Zellen einsetzen – mit dem Ziel, Angst und Schrecken in Europa zu verbreiten und neuen Nährboden zu schaffen.

Wie gehen Sie an der Hochschule mit dem Thema um? Gibt es für Studenten eine konkrete Plattform?

Bereits seit einigen Monaten wird das Thema Terrorismus an der DH behandelt, Diskussionen zwischen Studenten und Dozenten stehen mittlerweile auf der Tagesordnung. Durch meinen Lehr-Schwerpunkt setze ich mich unter anderem gezielt mit dem Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen auseinander. In meinen Kursen diskutieren wir oft die Frage ›Wie können Menschen so etwas machen?‹. Wir versuchen zudem stets, unseren Studenten ein differenziertes und reflektiertes Denken ohne Vorurteile nahezubringen. Die Migrationsforschung, die an unserer Hochschule betrieben wird, macht in diesem Zusammenhang großen Sinn. Für die nahe Zukunft überlegen wir, gemeinsame Projekte mit den Flüchtlingen in VS aufzustellen.

Wie schätzen Sie eine potenzielle Gefahr für Deutschland, aber auch für die Stadt Villingen-Schwenningen ein?

Grundsätzlich besteht in Deutschland zwar ein gewisses Risiko, das meiner Einschätzung nach aber nicht besonders hoch ist. Grund zur Panik und ›Paranoia‹ besteht also nicht. Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten wie Ulm, Berlin oder Frankfurt ist Villingen-Schwenningen kein besonderer Hort mit islamistischen Tendenzen. Die muslimischen Gemeinden bestehen aus demokratischen Bürgern und sind gut in das Stadtwesen integriert.

Was muss in VS getan werden, um die Radikalisierung von Extremisten zu verhindern?

Zunächst muss klargestellt werden: Es geht nicht um den Islam, sondern um Terroristen. Ich empfehle den muslimischen Vereinen, stets wachsam vor Terroristen in ihren Moscheen zu sein und nicht davor zurückzuschrecken, die Polizei einzuschalten. Schweigen ist meiner Meinung nach ein Zeichen falscher Solidarität – nur, um nicht als ›Vaterlands-Verräter‹ dazustehen.

Die muslimischen Vereinen müssen noch viel stärker Stellung beziehen. Je öffentlicher sie auftreten, desto besser.

Wie empfinden sie die Reaktion der Bevölkerung in VS auf den Terrorismus, der in Form von Kundgebung und Demo zum Ausdruck gekommen ist?

Ich finde es schade, dass nicht alle drei Gruppierungen, die in Villingen getrennt aufgetreten sind, gemeinsam Flagge gegen den Terror gezeigt haben. Diese Art der Teilung schreckt meiner Meinung nach ab und ist nicht effektiv, um in der gesamten Bevölkerung ein demokratisches Bewusstsein zu verankern. Es ruft stattdessen wieder ein ideologisches Schubladendenken hervor.

Fragen von Mareike Bloss