Die Schwenninger Schriftstellerin Nina Jäckle wird für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Foto: Zimmermann Foto: Schwarzwälder-Bote

Erfolgreiche Schwenninger Schriftstellerin erhält am 9. Juni Italo-Svevo-Preis

VS-Schwenningen (mz). Die Schwenninger Schriftstellerin Nina Jäckle eilt von Erfolg zu Erfolg. Nach dem renommierten Tukan-Preis wird ihr nun am 9. Juni der gut dotierte Italo-Svevo-Preis verliehen – als einer "herausragenden deutschen Autorin", die für ihre "literarische Spielart des ästhetischen Eigensinns" zu rühmen ist.

Ausgezeichnet wird Jäckle für ihr Gesamtwerk: Erzählungen, Kurzgeschichten, Setzkastentexte und Reflexionen, poetische Parabeln, "Romane" genannte (Ver-)Dichtungen und Hörspiele. Sie verfüge, so die Begründung, "über ein großes Formenrepertoire. In ihrer Prosa halten sich Anmut und Präzision die Waage, und zu ihren ästhetischen Vorzügen zählen nicht zuletzt das Gespür für Rhythmus und die Musikalität der Sprache.

Ein eher altmodisch anmutender Begriff wie Takt trifft zu, und zugleich vibriert in dieser Prosa, was Ingeborg Bachmann Starkstrom Zeitgenossenschaft genannt hat".

Was wäre die reine Form ohne inhaltliche Aussage, das filigrane Kunstwerk aus Sprache ohne die einfühlsame Behandlung des nach innen sprechenden Menschen in seiner existenziellen Einsamkeit? Jäckle lehrt uns das Wesentliche zu erkennen im "Auslassen des Gemeinten", im Verlust, in der ihre Figuren umgebenden Leere, in der alle Selbstgewissheit verloren geht. Gehalt und Gestalt werden in einzigartiger Weise eins. Worte und Werte wahren ihren Sinn in Jäckles jedem gewählten Thema gewachsener "Gegensprache" wider jene, die uns gleichgültig macht gegen Katastrophen im Gleichstrom nichtssagender Formeln einer (gespielten) Bestürzung versteinerter Herzen.

Die zwei zuletzt erschienenen Bücher dienen zum Beweis. Zum einen "Warten" mit Graphiken Franziska Neuberts, eine Miniatur von atemberaubender Präzision über die Verlorenheit im abgeschlossenen Raum, die alle Wahrnehmung verändert, aufs Hören reduziert und so gesteigert: Ein verlassener Liebhaber wartet, endlos beinah, auf die Rückkehr der Geliebten. Bis zum Ausbruch in die Welt der baugleichen Wohnung darüber. Er stiehlt sich ins Leben der belauschten Nachbarin, nimmt sich, was ihm genommen wurde: Anwesenheit. Am Ende reiht er die Schuhe der Vermissten zu einer langen Reihe auf, sie weisen mit der Spitze zum Ausgang. Der Ausweg liegt nahe ... zwischen Erwartung und Erinnerung.

Zum anderen "Der lange Atem" in der Zeit nach der Katastrophe von Fukushima: ein Buch über einen Phantombildzeichner, der anhand der Fotos aus dem Meer geborgener Leichen die Gesichter rekonstruiert, damit deren Angehörige sie identifizieren können. Und der um das Unsägliche weiß: "Es sind noch längst nicht alle Verletzten geboren worden." Missgebildet wie mancher Schmetterling (griechisch: Psyche), der zugleich verweist auf die seelischen Schäden der (geliebte Nächste) Überlebenden. Aus namenlosen Toten lässt der einsame Zeichner am Schreibtisch wieder Menschen "mit einer erzählbaren Vergangenheit" erstehen: Er nimmt dem Tod das letzte Recht durch das Bezeichnen der Verlorenen, das Erinnern, das Erzählen. Doch wer sich ganz der Geschichte hingibt, läuft darüber Gefahr, die Gegenwart zu verlieren: Die Frau des Zeichners will leben, im Jetzt, nach dem unerhörten Geschehen. Sie trennt sich von ihrem Mann. Nicht alles hält die Liebe aus.

Jäckles Sprache hält der Tragödie stand, im Großen wie im Kleinen: Kein Wort zu viel, jedes am richtigen Platz.

Nina Jäckles leise Stimme wird von geübten Ohren wie denen der Laudatorin Beatrix Langner gehört in einer überlauten Welt. Sie gebe "den poetischen Raum der Stille zurück, in dem das Vorsprachliche, die Angst vor dem Ungesagten, vor den Ungeheuern in der eigenen Brust zu ihrem Recht kommen. Denn sie erzählt von der Gefährdung des Menschen, der, solange er lebt und denkt, seiner selbst genau so wenig gewiss sein kann wie der Welt, die er sich gemacht hat."