Seit einem Schlaganfall wird Erika Nagel von Ehemann gepflegt / Von einem Tag auf den anderen ist alles anders

Von Alicja Bienger

VS-Schwenningen. Rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland (etwa 1,8 Millionen) werden zuhause versorgt. Mit der Pflegereform 2015 sollen sich die Bedingungen für pflegende Angehörige verbessern. Der Schwenninger Josef Nagel ist einer von ihnen: Seit fast zwei Jahren pflegt er seine schwerkranke Ehefrau in den eigenen vier Wänden.

Wenn Josef Nagel mit seiner Frau spricht, dann sieht man auf den ersten Blick: Die beiden verstehen sich, nicht nur auf emotionaler Ebene, sondern auch auf geistiger. Denn obwohl Erika Nagel seit ihrem Schlaganfall vor fast zwei Jahren nicht mehr sprechen und sich kaum noch bewegen kann, "geistig ist sie fitter als ich", sagt der Schwenninger. Erika Nagel strahlt bei diesen Worten, in ihren Augen glitzern Tränen.

Mit Erika Nagels Schlaganfall im Januar 2013 veränderte sich das Leben des Ehepaars von heute auf morgen. Die damals 72-Jährige wurde über Nacht zum Pflegefall. Ein zweiter Schlaganfall vor wenigen Monaten raubte ihr Sprechvermögen und Schluckreflex. Seither kann sie keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen und wird über eine Magensonde ernährt.

Josef Nagel lässt den Blick über das Spezialbett gleiten, über dem ein elektrischer Lift hängt, der das Umbetten der Kranken erleichtern soll. "Als ich meine Frau nach dem ersten Schlaganfall aus der Reha holte, waren Bett, Rollstuhl und so weiter schon da", erinnert sich der 74-Jährige an die Hilfe von Kranken- und Pflegekasse und dem ambulanten Pflegedienst. Seine Tochter aus erster Ehe habe ihm mit dem "Papierkram" geholfen. Für den ehemaligen Möbelverkäufer stand nie zur Debatte, dass er seine Frau – das Paar hat 2002 geheiratet – selbst pflegen würde: "Damals habe ich geschworen: ›In guten wie in schlechten Tagen‹. Jeder muss für den anderen da sein", sagt er und blickt seine Frau liebevoll an.

Dabei kam ihm zugute, dass er bereits in Rente ist, denn die Pflege zuhause ist, so Nagel, "ein 26-Stunden-Job". Morgens und abends bekommt er Hilfe von einer Fachkraft des ambulanten Pflegedienstes, die für die Körperhygiene der Kranken, das Zu-Bett-Bringen und den Wechsel der Nahrungsschläuche zuständig ist. Stehen Arztbesuche an, hilft das Deutsche Rote Kreuz, denn Josef Nagel könnte seine Frau und den Rollstuhl niemals mit dem eigenen Auto in die Klinik bringen. Alles andere – wie man die Flüssignahrungsbeutel auswechselt, welche Medikamente man gibt und vieles mehr – musste der Rentner nach kurzer Einweisung in der Reha selbst lernen. Umso dankbarer ist er für die große Hilfe vonseiten der Diakoniestation Schwenningen und findet für Günter Sänger, Monika Fadhila und ihr Team nur lobende Worte.

Als ihm klar wurde, dass alles, was er mit seiner Frau bis zu jenem Tag im Januar 2013 unternommen hatte, nicht mehr möglich sein würde – die gemeinsamen Ausflüge an den Schluchsee, wo das Paar Urlaub im Wohnwagen machte, das Segeln, die Spaziergänge – "das war schon ein großer Schock", gibt Nagel zu. Derzeit kann das Ehepaar wegen des Rollstuhls das Haus im Stadtviertel Rieten nur über eine notdürftige Spanholzrampe gemeinsam verlassen. Josef Nagel will deshalb im kommenden Jahr, wenn die Pflegereform eingeführt ist, eine richtige Rampe einbauen lassen – genau wie einen anderen Badewannenlift, denn mit dem jetzigen kommen seine Frau und er nicht zurecht.

Wenn die Rampe erst mal da ist, kommen die Nagels endlich wieder einmal unter Menschen. Darauf freut Josef Nagel sich schon, denn die sozialen Kontakte sind nach der Erkrankung seiner Frau weniger geworden. "Viele Freunde, die wir früher regelmäßig getroffen haben, kommen überhaupt nicht mehr. Alle haben Angst, sie so zu sehen", sagt er und blickt auf seine Frau. "Einige haben sogar gesagt: ›Hättest du sie lieber sterben lassen.‹ Dabei liegt sie doch nicht im Koma."