Zuhörer im Hörsaal C: Fassungslos angesichts der geschilderten Greueltaten des IS. Fotos: Trenkle Foto: Schwarzwälder-Bote

Vortrag: Kizilhan über die Psychologie des islamistischen Terrors

VS-Schwenningen. Wie ist es möglich, dass ganz normale Menschen offenbar ohne bisherige aggressive Tendenzen plötzlich zu Massenmördern werden? Den psychologischen Hintergründen des islamistischen Terrors widmete sich ein Vortrag an der Dualen Hochschule. Obgleich der Referent Professor an der Hochschule und somit häufig zu hören ist, saßen die vorwiegend jungen Zuhörer dicht gedrängt im Schwenninger Hörsaal C.

Jan Kizilhan ist aktuell einer der bekanntesten Fachleute zum Thema. Der Psychologe ist ein Kenner der arabischen Welt und Autor zahlreicher Bücher. Seit Jahren erforscht er die sozialpsychologischen Vorgänge bei Aggression und Gewalt wie auch therapeutische Möglichkeiten, traumatisierten Opfern zu helfen.

Dem Thema geschuldet bot Kizilhan seinen Zuhörern keine harmlosen Informationen. Dies galt besonders für gezeigte Bilder aus dem Kriegsgebiet. "Aus wissenschaftlicher Sicht heraus glaube ich, dass es keinen Menschen gibt, der nicht töten kann", so Kizilhan. Es komme auf die Umstände an. Terrorismus sieht er als klares Gruppenphänomen, in welchem eine gegenseitige Legitimation schließlich die eskalierende Aggression rechtfertigt. Der sogenannten Islamischen Staat (IS) sei eine neue faschistisch-totalitäre Ideologie.

Terror, Grausamkeiten, extreme Gewalt habe es letztlich schon immer gegeben. Das Novum am IS sei die Orientierung seiner Mitglieder am Tod. Es gehe nicht um die positive Gestaltung des Lebens, sondern um den Eintritt ins paradiesische Jenseits als Märtyrer innerhalb des Dschihad. "Der IS kämpft, um zu sterben", so Kizilhan, "das macht es unmöglich, mit ihm in einen Dialog zu treten."

Die Ideologie teile banal zwischen Gut und Böse: Wer sich nicht zum IS und seiner Vorstellung einer perfekten Religion bekenne, werde getötet; möglichst grausam und öffentlichkeitswirksam.

Möglich werde solch ein Genozid durch die "Dehumanisierung des Gegenübers", so der Psychologe. Die Mörder sprächen den Opfern ab, Menschen zu sein. "Das gab es auch bei den Nazis: privat ein liebevoller, empfindsamer Vater mit viel Gefühl am Klavier, ansonsten völlig empathieloser Massenmörder."

Die Phantasie einer perfekten Religion verspreche Sympathisanten auf der Seite Gottes zu kämpfen. "Etwas simpel ausgedrückt: Stellen sie sich einen bisherigen Versager vor, der in Vertretung Gottes plötzlich Herr über Leben und Tod sein kann", so Kizilhan. Diesen Hintergrund fände man besonders bei Konvertiten aus nicht islamischen Ländern. Solche zeigten meist besondere Grausamkeit.

Wer bislang vielleicht der bequemen Erklärung folgte, die Mitglieder des IS seien schlicht Soziopathen, psychisch Kranke oder Menschen mit geringer Intelligenz, den musste Kizilhan enttäuschen: Innerhalb der Ideologie folge das Verhalten logischen Prinzipien und die angewandten Mittel zeigten klare Wirkung. Einerseits diene es der bewussten Verbreitung von Angst und Schrecken, Mord und der Vergewaltigung von Frauen, andererseits gebe es ansprechende Werbung in den neuen Medien. Tatsächliche psychische Erkrankungen fände man bei Kindersoldaten, bei denen man bewusst durch die Ermordung der Eltern eine Bindungsstörung erzeuge, woraufhin extreme Grausamkeit im Verhalten erreicht werden könne.

Der Professor sieht im IS eine gewaltige kulturelle Regression, ein Zurückfallen auf frühere Stufen der Entwicklung. Der IS erzeuge eine Misstrauensgesellschaft, in welcher niemand dem anderen vertraut. Die Idee der "perfekten Religion" lasse keine Veränderungen zu, folglich auch keine Verhandlungen.

Was ist zu tun? Kizilhan sieht außerhalb der massiven militärischen Intervention keine Möglichkeit, den IS zu besiegen. "Das ist nicht einfach, doch bei gemeinsamem Vorgehen durchaus machbar. Ich wundere mich, dass es nicht konsequenter angegangen wird. Wir müssen trotz der Erfolge des IS sagen: Jetzt erst recht!", so Kizilhan.

Jan Kizilhan sprach persönlich sowohl mit Opfern als auch Tätern des IS. In beiden vorgestellten Beispielen, kamen die Zuhörer an die Grenzen des Aushaltbaren. So berichtete Kizilhan von einer jungen Frau, welche sich bewusst das Gesicht mit Benzin übergossen und angezündet hatte, um weiteren Vergewaltigungen zu entgehen. Sie überlebte, das Gesicht war jedoch kaum mehr zu erkennen.

Sprechen konnte Kizilhan auch mit einem inhaftierten IS-Henker. Je mehr Morde begangen würden, umso eher könne sich eine gewisse Lust am Töten einstellen. Erkennbar sei dies an besagtem Henker gewesen: Er berichtete von der Lust, den Opfern einen immer grausameren Tod zu bescheren. So habe er das Fallbeil immer unschärfer gemacht, damit die Menschen qualvoll verbluteten.