Polizisten auf dem Marsch über eine Wiese. Freiwillige sollen jetzt zwei Tage auf einen Einsatz im Irak vorbereitet werden. Foto: Seeger

Land will Freiwillige in Irak schicken. Beamte der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen sollen sie fit machen.

Villingen-Schwenningen - 20 Themen wie "Gefahr von Angriffen" und "Geiselnahme" geben Ministeriale für die Ausbildung der Irak-Freiwilligen aus dem Südwesten vor. Unmöglich, sagen deren potenzielle Ausbilder.

 

Plötzlich waren sie da. Herangerobbt im kniehohen Gras, das südwestlich des Fleckchens Bajerke Fardiye in die irakische Wüste wächst. "Es knallte ein paar Mal", erzählt Mirza Ibrahim. Dann schlug der kurdische Peschmerga-Kämpfer auf dem Boden auf. Blut breitete sich auf seiner sandfarbenen Uniform aus. Der Islamische Staat war in die Provinz Duhok zurückgekehrt – wieder einmal.

 

Das Scharmützel bei Fardiye Ende April wäre kaum der Rede wert. Aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will baden-württembergische Freiwillige in diese Region entsenden. Dort sollen sie, so heißt es in einer vom Staatsministerium herausgegebenen "Interessensbekundung" vom 17. März, im Rahmen des Projektes "Sonderkontingent für besonders schutzwürdige Frauen und Kinder im Nordirak" Daten für Visum-Verfahren erfassen, betroffene Frauen und Kinder betreuen oder – zusammen mit einer Sicherheitsfirma – auf dem Weg nach Baden-Württemberg begleiten. Unter dem Eindruck der barbarischen Angriffe der Dschihadisten auf Jesiden in Syrien hatte die Landesregierung sich entschieden, bis zu 1000 Frauen und Kinder in den deutschen Südwesten zu holen und hier therapeutisch zu betreuen.

 

Eine Aufgabe, für die Kretschmanns Ministeriale "Beamtinnen und Beamte aller Fachrichtungen sowie Tarifbeschäftigte des Landes Baden-Württemberg" suchen. Die unbewaffnet und in Zivil auftretenden Freiwilligen sollen zwei Tage auf ihre Irak-Mission vorbereitet werden. Ausbilder der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen sollen die Truppe "für Gefahrensituationen in Krisengebieten sensibilisieren", ihnen ihre "Rolle als humanitäre Einsatzkräfte bewusst" machen und ihnen Kenntnisse über "richtiges Verhalten in Krisengebieten" vermitteln.

 

20 inhaltliche Vorgaben wollen die Bediensteten des Staatsministeriums umgesetzt wissen. Dazu gehören Themen wie "Verhalten an Checkpoints" ebenso wie Gefahren durch Angriffe, Anschläge, Geiselnahmen oder Minen. Dieselben Trainingsinhalte, für die unbewaffnete Militärbeobachter unter dem Kommando der Vereinten Nationen (UN) vier Wochen gedrillt werden. Eine Ausbildung, für die sich Offiziere und Feldwebel frühestens nach mindestens sechs Jahren Dienstzeit in den Streitkräften bewerben können.

 

Der vom Staatsministerium verordnete Blitzdrill sei "ein sehr, sehr ambitioniertes Vorhaben, wenn man die international geltenden Standards zugrundelegt", ist sich der brasilianische Oberstleutnant Pablo Leon sicher. Leon wurde in Sierra Leone, dem Libanon, Tschad und Sudan eingesetzt. Er bildet für die UN Militärbeobachter aus – auch in Deutschland. Der Oberstleutnant grantelt über die baden-württembergischen Trainingspläne: "Verantwortungslos!"

 

Für erfahrene Ausbilder ist das Vorhaben "sehr, sehr ambitioniert"

 

Ähnlich müssen es auch die Experten des Instituts für Fortbildung an der Hochschule für Polizei sehen. Ihnen obliegt es, Kretschmanns Freiwillige für den Irak fit zu machen. Das sei in zwei Tagen indes nicht zu machen, protestieren die Instrukteure im Staatsministerium.

 

Hinter vorgehaltener Hand werden Beamte deutlicher. Von einem "Himmelfahrtskommando" sprechen sie. Davon, dass "den Freiwilligen in zwei Tagen der trügerische Eindruck vermittelt wird, sich in einem Kriegsgebiet wie dem Nordirak zurechtzufinden". Und davon, dass der Ministerpräsident "mit dem Leben der Missionsteilnehmer" spiele.

 

Das Staatsministerium gibt sich bei Fragen zu diesen Punkten wortkarg und spitzfindig. Es handle sich bei der zweitägigen Veranstaltung nicht um eine Ausbildung, sondern um eine Einweisung in die vorgegebenen Themen. Bei der Tätigkeit handle es sich um eine humanitäre Aufgabe und keinen polizeilichen Auslandseinsatz, "weshalb sich die Inhalte der Seminare grundsätzlich unterscheiden und ein Vergleich weder sinnvoll noch möglich ist".

 

Hilfsorganisationen wie World Vision lassen ihre Entwicklungshelfer mindestens fünf Tage ein anspruchsvolles Training mit denselben Inhalten bei der Bundeswehr in Hammelburg durchlaufen. Kretschmanns Berater scheinen diesen Unterschied durch ihre Auswahl der Freiwilligen kompensieren zu wollen. Bei denen würden "Vorkenntnisse und -erfahrungen erhoben und dann individuelle Fort- und Weiterbildungen" vereinbart. Wie die Landesregierung die Lage im Nordirak analysiert, ob sie dabei auf die Erkenntnisse ausländischer wie nationaler Sicherheitsbehörden zurückgreift, wer im Notfall die humanitären Helfer aus dem Südwesten aus der Gefahrenzone holt – dazu schweigen die Ministerialen. Versichern aber: Die Landesregierung könne "kurzfristig auf eine Veränderung der Sicherheitslage reagieren".